Die vier wertvollsten US-Internetunternehmen - Apple, Microsoft, Google und Amazon - weisen bei einem Durchschnittsalter von 28 Jahren einen höheren Marktwert auf als die Dax-30-Unternehmen zusammengenommen, obwohl die Mehrheit der größten deutschen Konzerne bereits seit dem 19. Jahrhundert existieren.
Für den Gründerboom vielleicht noch entscheidender als das Potential exponentiellen Wachstums ist die gesunkene Hemmschwelle für die Gründung eines Unternehmens. Eine noch relativ junge Entwicklung in der deutschen Startup-Szene ist dafür mitverantwortlich: Die Entstehung von Company Buildern. Dabei handelt es sich um Einrichtungen, die Unternehmen am Fließband herstellen, indem sie Entrepreneure, die eine vielversprechende Idee und die nötige Qualifikation zur Umsetzung haben, mit dem benötigen Anfangskapital versorgen und sie mit der Bereitstellung von Büroräumen, Mitarbeiter-Ressourcen, Know-how und Kontakten unterstützen. Der Weg von einer aussichtsreichen Idee bis hin zu einem funktionierenden Online-Angebot kann innerhalb eines Vierteljahres bewerkstelligt werden. Doch welche Auswirkungen haben diese Company Builder auf die Startup-Szene und haben sie tatsächlich einen nachhaltigen wirtschaftlichen Nutzen?
Warum Gründer im Nebenerwerb starten
Um eine Basis für Selbstständigkeit im Vollerwerb zu schaffen.
Quelle: KfW, Inmit/Uni Trier
Um Geschäftsideen erproben zu können.
Um durch Sozialversicherungen geschützt zu sein.
Um das finanzielle Risiko zu verringern.
Um eine Erwerbsalternative zu haben.
Um finanziell abgesichert zu sein.
Um Fähigkeiten zu nutzen.
Die Schnelligkeit, mit der heutzutage ein Online-Unternehmen gegründet werden kann, ist den standardisierbaren Prozessen beim Aufbau eines jungen Unternehmens und der enormen Skalierbarkeit aller nicht-physischen digitalen Wertschöpfungen geschuldet. Darauf baut das Prinzip der Company Builder auf. Der Vergleich mit einer klassischen Produktionsfabrik liegt nahe. Ähnlich der Montage eines Autos am Fließband können Internetunternehmen zusammengebaut werden. Das mag sich komisch anhören, funktioniert aber wirklich so.
Limitierender Faktor sind dann nur noch hinreichend originelle Ideen. Solche Ideen werden meist von einem außenstehenden Initiator vorgestellt, vom Company Builder ausgewählt und der Initiator dann als CEO und Geschäftsführer der neu gegründeten Gesellschaft mandatiert, ein großer Teil der Ressourcen insbesondere in den ersten beiden Jahren aber vom Company Builder beigesteuert. Dementsprechend verbleibt ein großer Teil der Unternehmensanteile der so produzierten Startups beim Company Builder. Für den Initiator stellt sich also die Frage, ob ihm die unsichere Taube auf dem Dach lieber ist oder der sichere Spatz in der Hand. Man kann den Company Building-Prozess auch als eine Art praktische Ausbildung zum Unternehmertum betrachten.
Die Gastautoren
Christoph Gerlinger ist Gründer und CEO der German Startups Group Berlin AG, einem jungen Berliner Venture Capital-Anbieter. Zuvor hat er selbst zwei Startups gegründet, bis zur Größe von rund 200 Mitarbeitern aufgebaut und an die Börse geführt.
Dr. Martin Pätzold, Mitglied des Bundestages, ist Berichterstatter der CDU/CSU Bundestagsfraktion für die europäische Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik im Ausschuss für Arbeit und Soziales. Als Berliner Bundestagsabgeordneter liegt ihm die Entwicklung der Startup Szene in der deutschen Hauptstadt besonders am Herzen.
Oft werden Company Builder von den Gründern erfolgreicher Startups ins Leben gerufen, nachdem sie ihr Unternehmen verkauft haben. Dr. Fabian (31) und Ferry Heilemann (27) liefern ein Beispiel dafür. 2009 gründeten die beiden Brüder DailyDeal, eine Art deutsche Groupon, verkauften 2011 für einen hohen Millionenbetrag an Google, erwarben nach Restrukturierungen Teile davon zurück und bauten daraus u.a. ihren Company Builder Sky & Sand, aus dem beispielsweise das Startup pepperbill hervorging, ein erfolgreicher Anbieter von iPad-Kassensystemen.
Zweifel an den Gründerfabriken
Auch aus eigenen unternehmerischen Erfolgen hervorgegangen ist Rocket Internet, der Company Builder der weithin bekannten Brüder Alexander (38), Marc (43) und Oliver (40) Samwer, der mit 75 produzierten Startups und 27 Standorten nach eigenen Verlautbarungen weltweit das größte Unternehmen seiner Art ist, über 20.000 Arbeitsplätze inhouse und in den erschaffenen Startups kreiert hat und nun einen Börsengang anstrebt.
Die ebenfalls sehr erfolgreichen Internet-Unternehmer Lukasz Gadowski (36) und Kolja Hebenstreit (30) haben den wohl zweitgrößten deutschen Company Builder Team Europe mit einem beachtlichen Personalapparat von in der Spitze über 350 eigenen Mitarbeitern geschaffen, um einen Dauerbetrieb bei der Produktion von Unternehmen zu gewährleisten. Unter diesem Tatendrang entstanden u.a. mit SponsorPay eines der in Europa und USA führenden Ad-Tech-Unternehmen sowie der hierzulande als Lieferheld agierende Essenbestell-Gigant Delivery Hero, der bereits mehr als 260 Millionen Euro Investorengelder angezogen und einen Börsengang in den USA angekündigt hat, wo der etwas größere Wettbewerber GrubHub bei einer Bewertung von 2,8 Milliarden Dollar gehandelt wird.
Naturgemäß gibt es auch Zweifel am Prinzip des Company Building. Viel hat die in den Freiheitsgraden limitierte Fließbandproduktion nicht mit dem romantisierten Startup-Feeling zu tun, das erst in den Hinterhöfen Berlins zwischen T-Shirt-Trägern und Club Mate wirklich zur Geltung kommt, totale Unabhängigkeit verspricht und die Gründerszene von der Welt der Konzerne, Banken, Anwaltskanzleien und Unternehmensberater unterscheidet. Weiche Faktoren wie die Arbeitsatmosphäre und nicht allein finanzielle Überlegungen sind es häufig, die hochqualifizierte junge Menschen dazu bewegen, sich gegen eine Karriere bei herkömmlichen Unternehmen zu entscheiden.
Eine großen Konzernen in nichts nachstehende Professionalität, wie sie bei Company Buildern oft an den Tag gelegt wird, zahlt sich jedoch häufig in barer Münze aus. Das Team von Project A rund um Rocket Internet-Aussteiger Dr. Florian Heinemann konnte jüngst einen sogenannten Exit in Höhe von 50 Millionen Euro mit dem von Sebastian Vettel beworbenen Online-Reifenshop Tirendo verbuchen. Der Käufer kann mit seiner Anschaffung überaus zufrieden sein. Tirendos Umsatz nähert sich 100 Million Euro pro Jahr nach nur zweieinhalbjährigem Bestehen. Derzeit setzt Project A auf das Startup NU3, einen Online-Shop für Nahrungsergänzungsmittel.
Einen sich absetzenden Ansatz verfolgt der Company Builder Rheingau Founders, der sich selbst als Gründungsmanufaktur statt als Fabrik sieht und es sich aufgrund seiner schmalen, kostensparenden Struktur erlauben kann, auch mal über längere Zeiträume keine neuen Startups hervorzubringen. Rheingau Founders erhält im Jahr über 1.000 Bewerbungen um Unterstützung beim Unternehmensaufbau, hat bisher über 400 Arbeitsplätze in Deutschland geschaffen und zur Finanzierung ihrer Schützlinge einen hohen zweistelligen Millionenbetrag allein von ausländischen Investoren angelockt.
Mit Lieferando ist ihnen jüngst ebenfalls ein Exit in signifikanter zweistelliger Millionenhöhe gelungen, der wieder zur Finanzierung von neuen Ideen eingesetzt wird. Davon profitieren könnte etwa das Rheingau-Founders-Schäfchen Itembase, das vor einigen Monaten Morten Lund als Aufsichtsratsvorsitzenden gewinnen konnte, Skype-Gründer und eine Kultfigur der Internet-Szene. Mit über 16 Millionen Kunden und dem strategischen Fonds des Logistik-Giganten UPS als Investmentpartner hat das junge Unternehmen großartige Zukunftsaussichten.
Berlin lockt als boomender Gründerstandort
Diese Zahlen verdeutlichen, dass Company Builder aus volkswirtschaftlicher Sicht betrachtet eine Bereicherung für Deutschland darstellen. Aus welchen Gründen auch immer Internetmillionäre auch nach Vereinnahmung der Erlöse aus dem Verkauf ihrer Unternehmen eine offensichtliche Obsession zum Gründen entwickelt haben, obwohl sie gar nicht mehr arbeiten müssten, sei dahingestellt - ihr Wissen, Kapital und Netzwerk schafft Arbeitsplätze, Steuereinnahmen, individuelles Vermögen und allgemeinen Wohlstand und verwirklicht innovative Ideen, die für die Wahrung der Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland unabdingbar sind.
Berlin ist es durch einzigartige Voraussetzungen gelungen, sich als attraktivster Standort für deutsche Company Builder zu etablieren. Nach dem Mauerfall konnten in Ost-Berlin weniger als 10% der Arbeitsplätze in der Industrie erhalten werden, wodurch ein wirtschaftliches Vakuum entstand, das nur durch frische Ideen und Gründergeist gefüllt werden konnte. 90 Prozent aller heutigen Ost-Berliner Unternehmen wurden nach 1990 gegründet. 15.000 Studenten sind derzeit in IT- und digitalbezogenen Studiengängen eingeschrieben.
Berlin belegt in den Kategorien Lebensqualität und Nachhaltigkeit im internationalen Vergleich mit anderen Metropolen die vordersten Plätze, während die Lebenshaltungskosten äußerst moderat sind. Aus diesem Grund fallen auch die zu zahlenden Gehälter der breit verfügbaren, gut ausgebildeten Arbeitnehmer geringer aus, obwohl diese durch die geringen Kosten häufig einen höheren Lebensstandard besitzen als vergleichbare Angestellte in London, San Francisco oder Paris. Ein umfangreiches kulturelles Angebot bestehend aus Kinos, Theatern, Cafés, Bars und Clubs sowie die im Vergleich beispielsweise zu den USA milden Einwanderungsbestimmungen sorgen für die Immigration hochqualifizierter junger Menschen aus dem Ausland.
Diese Faktoren locken stetig neues kreatives Talent in die Stadt und sorgen für eine boomende Gründerszene, die eine Grundlage für den Erfolg der Company Builder darstellt. Diese Entwicklung sollte die Politik positiv begleiten, indem sie die Rahmenbedingungen setzt. Dazu ist ein Standortmarketing für die deutsche Hauptstadt notwendig, das die Vorteile Berlins herausstellt. Und ein internationaler Flughafen, der seinen Betrieb bald aufnimmt.
Die Berliner Landespolitik hat mit der Delivery Unit, einer zentralen Koordinierungsstelle, die Basis geschaffen, dass die Startup-Initiativen auf eine stabile Grundlage gestellt werden und das wachsende Gründungsnetzwerk in der Stadt koordiniert werden kann. Die Bundespolitik könnte wie ihre Nachbarländer bei der Finanzierung von Startup Unternehmen Investitionen durch Wagniskapital steuerlich begünstigen, wenn diese dem Aufbau eines jungen Unternehmens dienen. Und auch neue Finanzierungsmodelle wie Crowdfunding verdienen staatliche Unterstützung. So könnte der Berliner Standort für Company Builder noch attraktiver werden.