Kooperationen mit Start-ups Warum viele Unternehmen lieber Kunde als Investor werden

Zukunft im Coworking-Space: Zu den Venture-Client-Pionieren zählt auch Telefónica Deutschland – mit der Innovationseinheit Wayra. Quelle: PR

Beteiligungen an jungen Firmen bringen oft nicht den erhofften Innovationsschub. Nun steuern Konzerne und Mittelständler um – und wollen Start-ups stärker zu Lieferanten machen. Spezielle Abteilungen sollen für das nötige Tempo sorgen.

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Eine erste Arbeitsprobe der neuen Abteilung ist bereits für alle sichtbar: Seit dem Herbst zeigt Otto im Onlineshop an, wie viel Kohlendioxid (CO2) bei der Fertigung eines Multimediaproduktes anfällt, Kunden können die Emissionen auf Wunsch durch eine zusätzliche Zahlung kompensieren. Für den Service arbeitet Otto mit dem Schweizer Technologieunternehmen South Pole zusammen. Eingefädelt hat das Dock 6 – so nennt der Handelskonzern die Anfang vergangenen Jahres gegründete Einheit, die Kooperationen mit Start-ups vorantreiben soll.

Zwar hat Otto auch vorher schon Produkte und Dienstleistungen bei jungen Unternehmen eingekauft. Doch das fünfköpfige Team von Dock 6 will die Kooperationen systematischer angehen: „Wir suchen weltweit nach Lösungen für ganz konkrete Problemstellungen der Fachabteilungen“, sagt Managerin Julia Kunstmann, die vor dem Wechsel in die Konzernwelt selbst Chefin eines Start-ups war. Bis zu 15 Pilotprojekte sollen im kommenden Geschäftsjahr auf den Weg gebracht werden. Das kann ein Angebot für Kunden wie der angezeigte CO2-Fußabdruck von Produkten im Onlineshop sein, ebenso wie eine Software, die interne Abläufe beschleunigt.

Soll für Otto die Kooperationen mit Start-ups vorantreiben: das Team von Dock 6. Quelle: PR

Nicht nur Otto erhofft sich von Start-up-Verstehern in den eigenen Reihen neue Impulse. Ob BMW, Siemens, Bosch oder Telefónica: Mehr und mehr Unternehmen bauen sogenannte Venture-Client-Einheiten auf. Der Begriff lehnt sich an Venture Capital an – englisch für Risikokapital. Doch statt um einen finanziellen Einsatz geht es um das Wagnis, Start-ups zu Lieferanten zu machen – auch wenn deren Lösungen noch nicht ausgereift sind. Im Gegenzug erhoffen sich die etablierten Unternehmen, früh Zugang zu neuen Technologien zu erhalten.

BMW und Telefónica gehen voran

Nach Überzeugung von Gregor Gimmy wird dieser neue Ansatz die Aktivitäten als Wagniskapitalgeber unter den etablierten Unternehmen zunehmend verdrängen. „Konzerne haben lange vor allem auf Acceleratoren-Programme oder strategische Minderheitsbeteiligungen an Start-ups gesetzt“, sagt Gimmy, der mit seiner Firma 27 Pilots Unternehmen wie Otto beim Aufbau von Venture-Client-Einheiten berät. „Das hat alles viel Geld gekostet, doch der erhoffte Technologietransfer blieb aus.“ Gefehlt habe vor allem die Verbindung zu den Fachabteilungen, die sich dann doch oft für etablierte Lieferanten entschieden.

Eine Blaupause für die neue Herangehensweise ist die BMW Start-up-Garage: Unter der damaligen Führung von Gimmy hat der Autobauer 2015 die Venture-Client-Einheit aufgebaut. Daraus sind viele Kooperationen hervorgegangen: So setzt BMW die Software des israelischen Techunternehmens Tactile Mobility ein, um mit Sensoren die Fahrbahnoberfläche und den Zustand von Autos zu analysieren. Ein anderes Beispiel ist Wandelbots, ein Dresdener Start-up, bei dem BMW Robotiksoftware einkauft.

Zu den Venture-Client-Pionieren zählt auch die Telefónica Deutschland, vor allem bekannt für seine Mobilfunkmarke O2. Deren Innovationseinheit Wayra verstand sich bei der Gründung vor zehn Jahren noch als Wagniskapitalarm des Unternehmens. Inzwischen geht es vor allem darum, Produkte und Dienstleistungen bei Start-ups einzukaufen. Statt Kosten zu verursachen, verhelfe man dem Konzern zu Effizienzgewinnen und neuen Geschäftsfeldern, sagt Florian Bogenschütz, der 2020 die Leitung von Wayra übernommen hat. Und anders als früher gebe es nun eine enge Abstimmung mit den Fachabteilungen: „Wir drehen niemandem irgendeine hippe Technologie an, die keiner braucht.“

Start-ups stellt Wayra sechsstellige Jahresumsätze mit einem Großkonzern in Aussicht – und verspricht Abkürzungen bei der Vertragsanbahnung. So werde der Einkaufsprozess von den sonst üblichen sechs Monaten auf vier Wochen verkürzt. Insgesamt betreut das zehnköpfige Team derzeit 50 Start-ups. Kooperationen gibt es beispielsweise mit dem KI-basierten Kommunikationstrainer Vcoach und der Weiterbildungsplattform Cobrainer.

Mittelständler gehen gemeinsam auf Partnersuche

Neben börsennotierten Großkonzernen wollen sich auch Mittelständler stärker für die Zusammenarbeit mit Start-ups öffnen. Innerhalb des Innovationsnetzwerks It’s OWL haben der Hausgerätehersteller Miele, das Lebensmittelunternehmen Dr. Oetker und der Verbindungstechnikspezialist Wago vergangenen Sommer Stratosfare als gemeinsame Venture-Client-Initiative ins Leben gerufen. „Wir heben so Synergien“, sagt It’s-OWL-Geschäftsführer Günter Korder. „Wenn wir eine Technologie für Firma A suchen, aber das identifizierte und vorqualifizierte Start-up nicht hundertprozentig passt, passt es vielleicht perfekt bei Firma B.“

Gemeinsam wollen die Initiatoren zudem mehr Strahlkraft in der Szene entwickeln: Start-ups locken sie damit, dass sie potenziell gleich mehrere produzierende Unternehmen der Region als mögliche Kunden gewinnen können. Gesucht werden Kooperationspartner weltweit. Das Fraunhofer-Institut für Entwurfstechnik Mechatronik in Paderborn begleitet das Projekt wissenschaftlich – und soll weitere Unternehmen aus dem Netzwerk für die Zusammenarbeit mit Start-ups fit machen.

Ob bei Stratosfare oder in den Großkonzernen: Die neuen Start-up-Teams verstehen sich als Vermittler zwischen den Welten. „Etablierte Unternehmen und Start-ups arbeiten bisher oft nicht zusammen, obwohl sie voneinander profitieren können“, sagt Dock-6-Managerin Kunstmann. Die typischen Hürden: Gründer dringen nicht zu den richtigen Ansprechpartnern im Konzern vor. Deren Einkäufer wiederum haben Start-ups kaum auf dem Schirm – oder erschlagen sie mit strikten Vertragsbedingungen.

„Traditionelle Einkaufsprozesse von Großkonzernen ziehen sich Monate oder sogar Jahre hin“, sagt 27-Pilots-Chef Gimmy. Innovationsprozesse würden so gebremst. Er rät, dass Konzerne für Start-ups ihre Anforderungen anpassen – und nicht dieselben Maßstäbe wie bei etablierten Lieferanten anlegen. Das könne etwa Zertifizierungen oder Liefervereinbarungen betreffen, sagt Gimmy: „Es geht darum, schnell in eine praktische Umsetzung von einzigartigen und strategisch relevanten Technologien zu kommen.“

Ringen um Firmenanteile

Doch nicht alle Venture-Client-Einheiten beschränken sich darauf, Fachabteilungen mit Start-ups zusammenzubringen. Wayra beispielsweise tritt auch weiterhin als Investor auf – auch wenn die Beteiligung anders als früher erst der zweite Schritt ist. „Wir bekommen durch die Kundenbeziehung tiefe Einsichten in die Start-ups“, sagt Bogenschütz. „Warum sollten wir dann nicht auch investieren, wenn wir an das Geschäftsmodell glauben?“ Die Option zur Investition schreibt Wayra sogar vertraglich fest.

Start-ups ist die Aussicht auf eine Kapitalspritze in der Regel zwar hochwillkommen. Ausgerechnet den wichtigen Referenzkunden in den Gesellschafterkreis zu holen, kann aber für die Unternehmensentwicklung auch hinderlich sein. So dürfte es dem Vertrieb schwerfallen, direkte Wettbewerber des Investors als Kunden zu gewinnen. Und: Nicht jedem Gründer schmeckt es, sich schon bei einem Pilotprojekt zu weiteren Kooperationen zu verpflichten.

Heimwerkers neuer Liebling? Kurts Toolbox vermietet Werkzeuge über Automaten. Quelle: PR

Auf Unabhängigkeit bedacht ist etwa Benjamin Ferreau, Chef von Kurts Toolbox. Das Start-up vermietet Werkzeuge über Automaten, die einer Packstation ähneln. Heimwerker können sich per App rund um die Uhr Bohrmaschinen, Stichsägen oder Schleifgeräte leihen. Seit Dezember steht eine der deutschlandweit zehn Stationen auf dem Parkplatz eines Kölner Obi-Marktes. Angebahnt hat das die neue Venture-Client-Einheit der Baumarktkette.

Die Zusammenarbeit biete dem Start-up die Möglichkeit, schneller neue Standorte zu erschließen, so Ferreau: „Wichtig war uns aber, dass das nicht zwangsweise mit einem Investment verknüpft ist.“ Die Kooperation sei für beide Seiten eine gute Gelegenheit, die Intentionen des jeweils anderen besser kennenzulernen. Konfliktpotenzial birgt schon das Geschäftsmodell: Ist der Verleihdienst von Kurts Toolbox erfolgreich, werden weniger Werkzeuge neu gekauft – als Investor müsste Obi also bereit sein, sich ein Stück weit selbst Konkurrenz zu machen.

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