Lebensmittel aus Insekten Kommt jetzt das große Krabbeln?

Lebensmittel aus Insekten haben in Deutschland einen schweren Stand. Quelle: dpa

Seit Jahren versuchen Gründer, Lebensmittel aus Insekten an den Markt zu bringen – ohne großen Erfolg. Jetzt naht die weitgehende Freigabe der EU. Wie überzeugt man die Verbraucher vom kräftigen Biss in die Larve?

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Manchmal besteht die hohe Kunst des Marketings darin, die wichtigste Botschaft nicht ganz so laut herauszuposaunen. So zumindest hält es das Unternehmen Bugfoundation, das seinen neuen Burger-Patty in „Beat Burger“ umbenennt. Dabei ist die Hauptzutat die gleiche  wie im „Bux Burger“, 2018 beworben als „erster Insektenburger Deutschlands“: gemahlene Buffaloinsekten – also die Larven des Getreideschimmelkäfers. „Bei vielen Menschen löst das noch immer unangenehme Assoziationen aus“, sagt Mitgründer Max Krämer.

Was das bedeutet, musste Krämer seinerzeit schmerzhaft lernen. Da erhielt die Bugfoundation zwar große mediale Aufmerksamkeit und rasch auch Bestellungen von Handelsketten wie Rewe und Edeka. Doch die Verkaufszahlen blieben hinter den Erwartungen zurück. Viele Supermärkte schmissen die Pattys nach einer Probephase wieder aus dem Sortiment. „Das hat uns schwer zu schaffen gemacht“, räumt Krämer ein. „Die große Herausforderung ist es, eine Listung auf Dauer zu behalten.“

Der Beat Burger soll nun neuen Schwung bringen – und massenkompatibler sein: Angepriesen wird er als umwelt- und tierfreundliche Alternative zu Hacksteaks. Dank neuer Rezeptur ist er auch für Veganer geeignet, die bei Insekten ein Auge zudrücken. 

Der Neustart von Bugfoundation fällt in eine Zeit der Extreme für die noch überschaubare Zahl der Unternehmen, die Insekten zu Lebensmitteln verarbeiten. Auf der einen Seite schafft eine bevorstehende EU-Zulassung Perspektiven für neues Wachstum. Denn aktuell dürfen die stark proteinhaltigen Mehle aus zerkleinerten Insekten nur in einem begrenzten Rahmen in Lebensmittel verarbeitet und verkauft werden.

Auf der anderen Seite ist die Skepsis der Verbraucher nach wie vor riesig. Und die Coronakrise erschwert es, daran etwas zu ändern. Denn Verkostungen – ob im Supermarkt, bei Festivals oder auf Messen – sind derzeit kaum möglich. Diese Probiermöglichkeiten sind aber entscheidend, um Einkäufer des Handels und Endkunden auf den Geschmack zu bringen, wie eine aktuelle Umfrage der Verbraucherzentralen zeigt. Man müsse erst an die hierzulande noch ungewohnten Lebensmittel „herangeführt werden“, so ein Tenor der qualitativen Marktforschungsstudie.

Aus nach „sechs Jahren Achterbahnfahrt“

Ein viel beachtetes Start-up hat gerade die Segel gestrichen. „Leider reichte unsere finanzielle Ausstattung nicht, um unsere Vision einer nachhaltigen Proteinversorgung durch die Coronakrise zu führen“, teilte Swarm vor zwei Wochen über das Karrierenetzwerk Linkedin mit. Es sei nicht gelungen, in den letzten Monaten geeignete Investoren zu finden. Die Konsequenz: „Nach sechs Jahren Achterbahnfahrt schließen wir ab und packen ein.“
Angetreten war das Kölner Start-up mit Fitnessriegeln aus Grillenmehl. Wie bei Bugfoundation war das Interesse des Einzelhandels zunächst groß – doch auf die erste Euphorie folgte beim Blick auf die Verkaufszahlen bald Ernüchterung. Zuletzt schwenkte Swarm auf insektenhaltiges Hundefutter um.

Augenscheinlich vor dem Aus steht auch das Berliner Start-up Insack, das neben Riegeln auch chipsartige Snacks herstellte. Die Webseite ist verwaist, einer der Mitgründer hat das Unternehmen laut Handelsregister kurz vor Weihnachten verlassen. Eine Anfrage der WirtschaftsWoche blieb unbeantwortet. „Die Branche ist auf einem dünnen Eis unterwegs, weil sie noch so jung ist“, sagt Bugfoundation-Chef Krämer. „Die Coronakrise hat die Geschäfte noch einmal erschwert.“

Attraktiv für Sportler

Dabei sprechen die objektiven Fakten nach wie vor für die Insektenkost. Der hohe Eiweißgehalt ist besonders für Sportler attraktiv. Auch die Nachhaltigkeit ist ein schlagender Punkt: Bugfoundation argumentiert, dass sich etwa Buffalo-Insekten 28-mal effizienter als Rindfleisch produzieren lassen. Sie verbrauchen deutlich weniger Futter, Wasser und Land. Die Tiere leben zudem auch in freier Wildbahn gerne in großen Populationen zusammen – die Massenzucht scheint ethisch deswegen unbedenklich.

Weltweit essen Schätzungen zufolge 2,5 Milliarden Menschen regelmäßig Insekten, etwa in Asien und Südamerika. In Europa ist der Verzehr so wenig verbreitet, dass dafür lange klare Regularien fehlten. „Wir haben 2014 einfach mal angefangen“, sagt Bugfoundation-Gründer Krämer. Bis zum Marktstart in Deutschland dauerte es, die Behörden wussten schlicht nicht, wie sie das in den Burgern enthaltene Insektenmehl rechtlich behandeln sollen. 2018 hat die Europäische Union insektenhaltige Lebensmittel dann als „Novel Food“ klassifiziert und Gutachten von den Anbietern gefordert. Übergangsweise durften diese ihre Produkte weiterhin verkaufen.

Nun stehen die Novel-Food-Anträge kurz vor der Genehmigung. Ein Vorbote: Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat Mitte Januar ein Gutachten zu Mehlwürmern veröffentlich. Darin wird das Insekt sowohl als Ganzes wie auch in Pulverform als unbedenklich für den menschlichen Verzehr bewertet. „Die EFSA-Bewertung ist ein riesiger Schritt vorwärts“, sagt Antoine Hubert, Gründer des französischen Züchters Ynsect und Chef des Branchenverbands IPIFF. Zwar beziehe sich das erste Gutachten ausschließlich auf Mehlwürmer – die aber sind mit vielen anderen verwendeten Arten, so auch mit den Buffaloinsekten, eng verwandt.

Zulassungen in der EU stehen bevor

Erste Zulassungen als „neuartiges Lebensmittel“ könnte die EU noch in diesem Frühjahr erteilen, erwartet Hubert. Dies wäre ein Signal in gleich mehrere Richtungen: Hersteller von Produkten aus Insektenmehl könnten ihre Produkte dann europaweit in einem rechtlich einheitlichen Rahmen vertreiben. Das Vertrauen der Verbraucher würde erhöht. Und: Die Produktionskapazitäten könnten schnell steigen. Denn bisher ist die Aufzucht nur in wenigen EU-Ländern zugelassen.

Wie viele andere deutsche Start-ups bezieht Bugfoundation das Insektenmehl derzeit aus den Niederlanden. Der geringe Wettbewerb schlägt sich in vergleichsweise hohen Preisen des Endprodukts nieder. Für ein Patty-Doppelpack des ersten Insektenburgers mussten Kunden im Supermarkt knapp sechs Euro zahlen. Beim Nachfolgeprodukt soll die Preisempfehlung bei maximal 3,50 Euro liegen. Mehr Auswahl bei den Zulieferern würde dem Start-up helfen, die Kosten weiter zu senken – und seine Burger günstiger als Fleischersatz-Varianten zu verkaufen.

Ynsect rüstet sich bereits für eine stark steigende Nachfrage. Das vor zehn Jahren gegründete Start-up baut derzeit nahe der nordfranzösischen Stadt Amiens die nach eigenen Angaben größte vertikale Mehlwurm-Farm der Welt. In einer Halle sollen hier hochautomatisiert 100.000 Tonnen Proteinpulver jährlich produziert werden. Zum Vergleich: Laut IPIFF wurden 2019 in der gesamten EU nur 500 Tonnen insekten-basierter Produkte hergestellt. Bei den Franzosen soll nach der Fertigstellung der neuen Anlage Ende des Jahres die alte Farm in Dole komplett auf die Nahrungsmittelproduktion ausgerichtet werden.

Für 2025 rechnet Ynsect mit einem Gesamtumsatz von 500 Millionen Euro – auf den Lebensmittelsektor sollen zehn bis 25 Prozent entfallen.
Angefangen hat Ynsect vor knapp fünf Jahren mit Haustier-Futter – „alle anderen Märkte waren regulatorisch blockiert“, sagt Hubert. Nach langer Diskussion habe die EU 2017 dann grünes Licht für Insekten als Futter in der Fischzucht gegeben. Eine europaweite Genehmigung als Dünger stehe kurz bevor, ebenso wie die Zulassung mehrerer Insektenarten für Schweine- und Geflügelfutter. Aus ökologischer Sicht seien diese Verwendungszwecke ebenfalls sinnvoll: Verglichen mit bisherigen Produkten falle die CO2-Bilanz deutlich besser aus.

Hollywood-Star glaubt an Insekten-Boom

An das große Potenzial der Mehlwürmer glauben auch Investoren. Vergangenen Oktober hat das Start-up eine Finanzierungsrunde des Vorjahres auf 372 Millionen Dollar aufstocken können. Beteiligt daran war auch Hollywoodstar Robert Downey Jr.. In Deutschland hat zuletzt unter anderem Farminsect erste Business Angels von sich überzeugt. Das Münchener Unternehmen entwickelt ebenfalls Technologien für die Insektenzucht. Die Idee ist, dass Landwirte vor Ort selbst Futtermittel herstellen.
Schwer tun sich dagegen bisher viele der Start-ups, die Insektenlarven zu Lebensmitteln weiterverarbeiten. Oft gelang es den Gründern nur über Crowdfunding an Geld zu kommen. Zu den Ausnahmen zählt Isaac Nutrition. Das Kölner Start-up hat mit seiner Sportlernahrung vor zwei Jahren den Unternehmer Nils Glagau, der auch Juror in der Vox-Show „Die Höhle der Löwen“ ist, als Investor gewonnen. Auch Bug Foundation sticht hervor: Dort hat sich 2018 die Wiesenhof-Mutter PHW-Gruppe beteiligt

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Die Gründer hoffen nun, dass die EU-Zulassung auch unter Investoren für neues Interesse sorgt. So hat Nestlé hat im November bereits insektenhaltiges Futter für Hunde und Katzen angekündigt. Der Sprung in den Lebensmittelbereich ist da nicht mehr weit. Hubert geht davon aus, dass die Branchenriesen auch Know-how einkaufen werden: „Einige Start-ups dürften dadurch zu einem begehrten Übernahmeziel werden.“

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