Nun setzt sich auch in deutschen Kanzleien die Erkenntnis durch, dass eine trotzige Abwehrhaltung die schlechteste Antwort auf Veränderungen ist. Zum bundesweiten Jahrestreffen, dem Deutschen Anwaltstag Ende Mai in Essen, laden die Juristen erstmals Start-ups ein, ihre Ideen vorzustellen.
Es ist ein schwieriger Spagat: Von den etwa 100 Legal-tech-Start-ups, die es inzwischen in Deutschland gibt, bieten viele auch Software, die Kanzleien hilft, ihre Arbeit schneller und günstiger zu erledigen. Die Algorithmen nehmen den Anwälten also Arbeit ab. In Zukunft aber werden sie viele von ihnen überflüssig machen.
Wie diese Zukunft aussieht, lässt sich im Berliner E-Werk besichtigen. In den Backsteinhallen nahe dem Bundesfinanzministerium befand sich früher einer der berühmtesten Technoclubs der Welt. Nun haben hier das Handwerkerportal MyHammer und die Jobbörse Stepstone ihren Sitz. Und ein Start-up, das weit weniger bekannt ist, aber technologisch zu den fortschrittlichsten Unternehmen aus Deutschland gehört: Leverton.
Kreative Computer
IBMs Superrechner Watson erfindet Kochrezepte: Der Nutzer gibt Zutaten und Stile wie asiatisch oder vegan an – die Maschine erfindet ein Gericht.
Die Webplattform verkauft automatisch komponierte Songs. Der Kunde definiert Genre, Tempo und Grundstimmung.
Das kalifornische Projekt will Nutzern ermöglichen, ein eigenes Auto zu designen, das dann Software selbstständig optimiert und produziert.
Der Anbieter nutzt Strategien der Evolution, um aus Vorgaben der Kunden Skulpturen zu entwerfen, die dann ein 3-D Drucker fertigt.
Gründer Emilio Matthaei demonstriert, was seine Algorithmen seit der Gründung vor fünf Jahren gelernt haben: Auf seinem Laptop startet Matthaei die Software. In der Mitte des Bildschirms erscheint ein englischer Mietvertrag. Daneben auf einen Blick alle relevanten Daten, wie Adresse, Laufzeit und die Einnahmen, die von Levertons Texterkennungssoftware automatisch ausgelesen werden. Ein Klick auf den entsprechenden Wert ruft die dazugehörige Stelle im Vertrag auf.
Seine Kunden sind Milliardenkonzerne wie Jones Lang LaSalle, die Zehntausende Immobilien verwalten und dabei auch auf Matthaei setzen: Mit einem weiteren Klick, öffnet er eine Weltkarte. Für jede Stadt kann er sich das örtliche Portfolio des Immobilienmanagers anzeigen lassen, die Objekte nach Größe oder Wert gefiltert. Noch ein Klick ruft zu jeder Immobilie den zugehörigen Vertrag auf. Dabei spielt es keine Rolle, ob dieser auf Englisch oder Japanisch verfasst wurde. Die Software beherrscht inzwischen 20 Sprachen. „Wir bereiten Informationen, die in verschiedenen Sprachen abgelegt sind, in einer Sprache auf.“
Intelligentes Geschäft: Weltweite Umsätze mit selbstlernender Software
4,7 Milliarden Dollar
Quelle: IDC
5,3 Milliarden Dollar
6,2 Milliarden Dollar (Prognose)
7,4 Milliarden Dollar (Prognose)
8,7 Milliarden Dollar (Prognose)
10,3 Milliarden Dollar (Prognose)
Auf die Idee brachte ihn einst sein Bruder, der als Anwalt Hunderte Mietverträge analysieren musste und nach einem Weg suchte, das mit weniger Aufwand erledigen zu können. Matthaei, der damals bei einer Bank in London arbeitete, erkannte die enormen Möglichkeiten. Er tat sich mit Spezialisten vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz zusammen und entwickelte einen Prototyp.
Inzwischen gehören große Konzerne wie die Deutsche Bank oder der Fondsanbieter Union Investment zu den Kunden des Berliner Start-ups und auch große Anwaltskanzleien wie Freshfields oder Clifford Chance. Bei Letzteren macht das Lesen und Auswerten von Verträgen einen Großteil der Arbeit aus, weiß Micha-Manuel Bues. Bis vor Kurzem arbeitete er noch für die Münchner Kanzlei Gleiss Lutz. Im vergangenen Jahr heuerte er als Deutschlandchef bei Leverton an. „Es gibt in Kanzleien viele stupide Tätigkeiten, für die man keine hochausgebildeten Anwälte braucht“, sagt Bues. „Dokumente durchsehen kann gute Software sogar besser als der Mensch.“ Und die Juristen haben dann den Kopf frei – für die wirklich komplizierten Fälle.