Logistik Wie Start-ups den städtischen Lieferverkehr aufs E-Bike verlagern wollen

Hermes hat angekündigt, in den 80 größten deutschen Städten Sendungen bis 2025 emissionsfrei zuzustellen. Cargobikes seien dafür ein wichtiger Baustein, so ein Unternehmenssprecher. Quelle: Hermès

Mit innovativen Cargo-Fahrrädern buhlen junge Unternehmen um die Gunst von Logistikunternehmen. Die Zustellung in Innenstädten soll so schneller vonstatten gehen und helfen, ambitionierte Klimaziele zu erreichen.

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Es ist eher ungewöhnlich, dass ein Weltkonzern per Kontaktformular auf der Homepage bei einem deutschen Start-up anklopft. Doch genau so suchte Amazon einen Zulieferer für seine Supermarktkette Whole Foods. Ein Glücksfall für Carla Cargo: Aus der Anfrage sollte der bis dahin wichtigste Auftrag der Geschichte des 2015 gegründeten Start-ups werden – und ihm einen kräftigen Wachstumsschub geben.

Das Produkt, das den US-Konzern überzeugt hat, ist ein Fahrradanhänger. Gleich 300 Stück hat Whole Foods im vergangenen Jahr bei dem Start-up mit Sitz in Kenzingen bei Freiburg bestellt, um Kunden in New York mit Lebensmitteln zu beliefern. Das Modell „Carla“ bietet eine große Ladefläche, auf die Lieferboxen und andere Aufbauten passen – und soll wendiger und robuster als Konkurrenzprodukte sein. Zudem gibt es eine Variante mit unterstützendem Elektromotor.

Seinen Ursprung hat der Exportschlager in einem solidarischen Landwirtschafts-Verein: Die Mitglieder der Gartencoop Freiburg entwickelten den Anhänger, um Obst und Gemüse klimafreundlich auszuliefern. Bald fragten auch Kuriere und Handwerker an – vor fünf Jahren gründete der Ingenieur Markus Bergmann dann das Start-up. Mehr als 600 der Anhänger sind inzwischen verkauft, die 14 Mitarbeiter kommen kaum mit der Produktion hinterher. Sogar aus Australien trudeln Bestellungen ein. „Am aktuellen Standort können wir bis zu 1000 Carlas pro Jahr produzieren“, sagt Vertriebschef David Hansen. „Nächstes Jahr werden wir sicher einen neuen Standort benötigen.“

Schneller ans Ziel

Auch andere deutsche Start-ups schrauben eifrig an passenden Fahrzeugen für einen emissionsfreien Lieferverkehr. Der Bedarf ist groß – denn auf der sogenannten letzten Meile zum Kunden fühlen sich Logistikunternehmen zunehmend gebremst: Zu Stoßzeiten kommen sie mit klassischen Lieferwagen in Großstädten kaum voran, Parkplätze sind Mangelware. Hinzu kommt, dass vielerorts Fahrer fehlen – mit den E-Bikes, für die es keinen Führerschein braucht, vergrößert sich der mögliche Mitarbeiter-Pool deutlich, so die Hoffnung.

Ein weiterer Treiber sind selbstgesetzte Klimaziele. Beispiel Hermes: Die Otto-Tochter hat angekündigt, in den 80 größten deutschen Städten Sendungen bis 2025 emissionsfrei zuzustellen. Cargobikes seien dafür ein wichtiger Baustein, sagt ein Unternehmenssprecher. Bereits jetzt seien 20 Lastenräder verschiedener Hersteller in Städten wie Rostock, Berlin und Cottbus unterwegs. Insgesamt wurden laut dem Zweirad-Industrie-Verband im Jahr 2018 bereits rund 40.000 E-Lastenräder in Deutschland an Unternehmen und Privatleute verkauft. Marktzahlen für das vergangene Jahr werden erst im März veröffentlicht, erwartet wird aber eine deutliche Steigerung.

Während etablierte Fahrradhersteller mit Cargo-Bikes oft vor allem auf Privatkunden zielen, sprechen viele Newcomer gezielt Logistiker und Lieferdienste an. Mit Citkar und Ono stehen etwa in Berlin zwei Unternehmen in den Startlöchern, die zuletzt mit ambitionierten Neuentwicklungen auf sich aufmerksam gemacht haben. Mit ihren Fahrerkabinen und wechselbaren Ladeboxen erinnern die Drei- beziehungsweise Vierräder mehr an kleine Lieferautos als an ein Fahrrad.

Know-how aus der Automobilbranche

Tatsächlich ist bei Onos „Pedal Assisted Transporter“ (PAD) auch ein Automobil-Designer am Werk gewesen: Mitgründer Murat Günak war lange für Mercedes und Volkswagen tätig. Sein Fokus bei der Entwicklung: Die Fracht soll sich dank standardisierter Boxen mit einem Ladevolumen von zwei Kubikmetern blitzschnell wechseln lassen. „Die Cargo-Units vereinfachen die Umsetzung neuer Logistik-Konzepte“, sagt Ono-Chef Beres Seelbach. So sei denkbar, dass Waren in den Containern auf weiten Strecken zunächst per Lkw oder, wie jüngst von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer vorgeschlagen, per U-Bahn in städtische Depots transportiert werden. Ohne die Ware darin umpacken zu müssen, könnten dann die E-Bikes die Fracht übernehmen.

Das Konzept ähnelt dem eines Bremer Unternehmens, das bereits am Markt etabliert ist: Gegründet von dem auf Lkw-Trailer spezialisierten Familienunternehmen Krone und dem Beratungsunternehmen Orbitak, produziert Rytle bereits seit über einem Jahr seine dreirädrigen Cargobikes „Movr“ in Serie. Diese laden standardisierte Transportboxen, für die der Hersteller auch mobile Depots anbietet, von denen aus Zusteller ausschwärmen sollen. Zu den Kunden zählen unter anderem die Paketdienstleister UPS, DPD, GLS und Hermes.

Die Zielgruppe ist anspruchsvoll, sagt Geschäftsführer Ingo Lübs: „Das Wichtigste ist eine hohe Verlässlichkeit. Es darf keine längeren Ausfälle der Fahrzeuge geben.“ Rytle bietet deshalb ein dichtes Servicenetz und eine schnelle Versorgung mit Ersatzteilen. Teils übernimmt das Unternehmen mit seinen 50 Mitarbeitern auch die Wartung im Auftrag der Kunden. Laut Lübs sind inzwischen mehrere hundert Fahrzeuge im Einsatz – angeboten werden diese sowohl zum Einmalkauf als auch in Leasingmodellen.

Tests mit schmutziger Wäsche

Bei Angreifer Ono sind aktuell zwei Protoypen unterwegs – getestet wurden diese unter anderem bei GLS und Hermes sowie dem Wäscherei-Start-up Jonny Fresh. Mit der Serienfertigung will Ono im Sommer beginnen, als Produktionspartner habe man einen Autozulieferer gewonnen, sagt Firmenchef Seelbach. Derzeit ist das Start-up indes auch noch auf der Suche nach weiteren Investoren. Bisher sind die Wolfsburg AG – ein Joint-Venture der Stadt Wolfsburg und des Autokonzerns Volkswagen – sowie zwei Familienunternehmen unter den Gesellschaftern. Vor einem Jahr hatte Ono zudem 260.000 Euro per Crowdfunding eingesammelt.

Konkurrent Citkar ist in einer ähnlichen Unternehmensphase: Das von Jonas Kremer gegründete Start-up testet seine vierrädrigen Lastenfahrräder derzeit bei Pilotkunden, darunter beim Gastronomie-Lieferdienst Transgourmet. Kremer gibt an, dass aktuell 40 der „Loadster“ getauften Fahrzeuge in München, Hannover, Bonn und Berlin unterwegs sind. Geld hatte das Start-up zuletzt im September eingesammelt. Rumford Partners löste den 2018 eingestiegenen Investor TEC Ventures ab – die vergleichsweise kleine Holding investierte nach eigenen Angaben einen siebenstelligen Betrag. Weitere Wagniskapitalgeber seien vorerst nicht nötig, versichert der Gründer.

Auf einem Gelände in Berlin-Marzahn bereitet das aktuell 15-köpfige Unternehmen derzeit die Serienproduktion vor. Die war zuvor mehrmals verschoben worden. Kremer räumt ein, dass die Entwicklung komplexer war als gedacht. „Viele Bauteile kommen von Fahrrad- und Autozuliefern und waren für unser Produkt nur bedingt geeignet.“ Man habe die Komponenten des Loadster deswegen mehrmals angepasst. Man sehe in diesem Jahr ein Potenzial von rund 500 Fahrzeugen.

Logistiker fordern preiswertere Modelle

Rund 7000 Euro inklusive Mehrwertsteuer verlangt Citkar derzeit für die Basisversion. Konkurrent Ono setzt statt auf einen Einmalverkauf auf eine Vermietung – zu einem Monatspreis von 690 Euro. Inklusive sind dafür eine Versicherung, Werkstattbesuche und der Zugang zu Akkutausch-Automaten. Ob die Preise in der vergleichsweise margenschwachen Logistikbranche durchzusetzen sind, ist noch offen.

Immerhin: In vielen Kommunen und Bundesländern gibt es Förderprogramme für Cargo-Bikes, die auch kleine Firmen wie Handwerker zum Umstieg bewegen sollen. Zuschüsse können sich Unternehmen zudem vom Bund holen: Schwerlastenfahrräder und -anhänger werden mit bis zu 2.500 Euro gefördert. Abgerufen wurde der Zuschuss im vergangenen Jahr indes nur 300 Mal. Ein großes Hindernis liege derzeit woanders, beobachtet Rytle-Chef Lübs: „Logistiker können Lastenräder nur sinnvoll mit Mikrodepots in Innenstädten einsetzen.“ Doch viele Kommunen täten sich schwer, entsprechende Flächen zur Verfügung zu stellen.

Eine weitere Herausforderung für die Start-ups: Auch finanzstarke Unternehmen aus der Automobilbranche tasten sich allmählich auf dem wachsenden Markt vor. Volkswagen Nutzfahrzeuge beispielsweise hat vor knapp einem Jahr Cargo-E-Bikes vorgestellt. Und der Zulieferer Schaeffler erprobt seit Oktober bei Pilotkunden vierrädrige Pedelecs. Ende des Jahres sollen sie in Serie gehen.

Carla Cargo fürchtet die neue Konkurrenz nicht – das Start-up sieht seine Anhänger als gute Ergänzung. Diese passten praktisch hinter jedes Lastenfahrzeug, sagt Verkaufschef Hansen. „Carla ist die Lösung für viele Anbieter, damit Kunden ausreichend Volumen transportieren können.“ In diesem Jahr wollen die Freiburger international expandieren – und ihre Anhänger auch offiziell in den USA, Kanada und Australien anbieten. Amazon als Referenzkunde dürfte helfen, einige Türen zu öffnen.

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