Trotz dieses enormen Wachstums: Ihr größerer und bekannterer Wettbewerber Hellofresh ist mit 1,8 Milliarden Euro Umsatz (2019) ungefähr siebenmal so groß. Dieser Vorsprung liegt doch nicht nur daran, dass Hellofresh drei Jahre vor Marley Spoon gegründet wurde, oder?
Hellofresh ist drei Jahre früher gestartet und hat wesentlich mehr Kapital aufgenommen als wir, dadurch konnten sie länger und schneller wachsen. Aktuell wachsen wir jedoch etwas schneller. Aber sie sind die einzige andere Firma, die dieses Geschäftsmodell global betreibt; in den USA gibt es noch zwei weitere, lokale Wettbewerber. Der Lebensmittelbereich ist ein Riesenmarkt, und in diesem Kontext sind wir beide noch klein. Unsere Ambition ist nicht, der Größte zu sein, sondern der Beste. Wir sehen uns im gesunden Wettbewerbsverhältnis, man hält sich gegenseitig auf Trab. Wenn Hellofresh den Aldi des Marktes baut, bauen wir eben den Lidl, das ist auch nicht schlecht.
Wie wollen Sie sich abheben von Hellofresh, wie dem Konkurrenten Marktanteile abnehmen?
Als wir 2014 gestartet sind, gab es nur Hellofresh, und damals haben die entschieden, was die Kunden kochen. Wir haben gesagt: Das ist der falsche Ansatz. Vielmehr sollte der Kunde das selbst entscheiden. Dann haben wir diesen Gedanken, ich kann mir aussuchen, was ich koche, in den Markt getragen. Hellofresh hat uns das nachgemacht. Dann haben wir im Herbst 2017 in den USA unsere günstigere Zweitmarke Dinnerly auf den Markt gebracht. Denn der Durchschnittsamerikaner kocht für fünf US-Dollar pro Portion, den erreichen wir mit Marley Spoon gar nicht. Wir haben festgestellt: Viele können sich unsere Boxen auch nicht leisten. Inzwischen gibt es Dinnerly auch in Australien, Deutschland und seit Februar in den Niederlanden. Hellofresh hat auch das nachgemacht mit ihrer günstigeren Marke „Every plate“.
Sie sehen sich also schon vorne?
Der Platz ist für beide Firmen da. Hellofresh und Marley Spoon nehmen sich gegenseitig kaum Kunden weg. Wir sehen den Supermarkt als Hauptwettbewerber: Unser Wachstum kommt hauptsächlich von klassischen Supermarkt-Kunden, die zu uns wechseln. Es ist daher nicht unser Fokus, Hellofresh Marktanteile abzunehmen.
Wie viel steuert Ihre Günstig-Marke Dinnerly mittlerweile zum Gesamtumsatz bei?
Genaue Zahlen dazu veröffentlichen wir nicht. Aber Dinnerly und Marley Spoon sind beide signifikant. Langfristig ist der Dinnerly-Markt sogar der größere.
Was hat es mit Marley Spoons Geschmacksprofil-Algorithmus und Nachfrageprognose-Modellen auf sich?
Der Kunde hat jede Woche 30 Rezepte zur Auswahl. Wenn ein Kunde sechs unserer Boxen bestellt hat, können wir mit einer Wahrscheinlichkeit von 94 Prozent die Auswahl der siebten Box vorhersagen. Für jeden Kunden und jedes Rezept können wir einen Beliebtheits-Score berechnen, auf einer Skala von 0 – mag der Kunde überhaupt nicht – bis 100 – mag der Kunde sehr gerne. Je häufiger jemand Marley Spoon benutzt, desto besser schmeckt es ihm also, hoffentlich. Das ist ähnlich wie bei Spotify: Je länger ich bei denen Musik höre, umso besser wissen die, was ich mag. Also bleibe ich bei Spotify.
Wieso sind Sie eigentlich in Australien an der Börse – und nicht in Ihrem Heimatmarkt Deutschland?
Australien ist vor allem unter europäischen Gründern als attraktiver E-Commerce-Markt bekannt: Die Städte haben eine hohe Kaufkraft, sind innovationsfreudig, und von den USA wird Australien meist als zu weit weg abgeschrieben. Bei unserer Australien-Expansion hatten wir auch das Glück, dass Klaus Hommels von unserem Investor Lakestar einen guten Kontakt in Australien hatte. Dieser Kontakt ist nun seit bald sechs Jahren unser Australien-CEO. Und als wir 2018 an die Börse gehen wollten, hatte unsere Firma noch nicht die Größe für die Frankfurter Börse. Aber für die australische Börse war ein 46-Millionen-Euro-IPO groß genug.
Inzwischen machen Sie 254 Millionen Euro Umsatz…
Mittlerweile sind wir wohl groß genug für Börse Frankfurt. Ich will eine dortige Notierung auch nicht ausschließen, aber es pressiert nicht.
Was bedeutet eigentlich der Name Marley Spoon?
Mein Mitgründer Till und ich waren in den 90er Jahren mal auf Rucksackreise, unter anderem in Indonesien. Als wir auf einer kleinen Insel namens Pulau Weh waren, nördlich von Sumatra, brach ein heftiger Sturm los. Wir retteten uns in eine kleine Hütte. Dort empfing uns ein sehr netter Indonesier und gab uns zu Essen und zu Trinken. Und diese Hütte hieß „Marleys“. An diese Behaglichkeit und Gastfreundschaft haben wir uns erinnert, als wir 2014 unser Unternehmen gegründet haben.
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