Maschinenbau-Veteran Hundsdörfer arbeitet für Markt-Pilot „Ich halte nichts vom angeblichen Ausverkauf Deutschlands“

Rainer Hundsdörfer und Markt-Pilot-Gründer Tobias Rieker. Quelle: Markt-Pilot

Rainer Hundsdörfer, einst Chef von Heidelberger Druckmaschinen, hilft jetzt einem Start-up. Ein Gespräch über die Zukunft des deutschen Standorts, skeptische Mittelständler und die Frage, was eine Karriere beschleunigt.

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WirtschaftsWoche: Im Sommer lief Ihr Vertrag als Vorstandschef bei Heidelberger Druckmaschinen aus. Ein Blick in den Vergütungsbericht zeigt: Arbeiten müssten Sie wahrscheinlich nicht mehr.
Rainer Hundsdörfer (lacht): Das stimmt, Gott sei Dank ist das schon eine ganze Weile so. Mir war es aber immer wichtiger, Spaß bei der Arbeit zu haben. Denn wenn man Dinge mit Vergnügen macht, macht man sie in der Regel auch gut. Und wenn man dann noch zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist, macht man Karriere.

Im Oktober sind Sie trotzdem noch als Senior Advisor beim Esslinger Start-up Markt-Pilot eingestiegen. Was reizt Sie daran?
Im Maschinenbau hatte ich bisher eine lange Karriere, bei Trumpf, Weinig, Schäffler, EBM-Papst oder zuletzt bei Heidelberger. Überall ist das Ersatzteilgeschäft eine große Herausforderung. Es ist ein wichtiger Margen- und Umsatzträger für die Unternehmen, der aber von Drittanbietern bedroht wird. Früher waren diese nur lokal unterwegs. Heutzutage, in Zeiten des Internets, lassen sie sich leicht finden. Für Maschinenbauunternehmen ist es deshalb von enormer Wichtigkeit, dass sie Transparenz über den Ersatzteilmarkt und dessen Preise erhalten, um eine wettbewerbsfähige und marktorientierte Preisstrategie zu realisieren. Nach meiner Zeit bei Heidelberger wollte sich Markt-Pilot-Gründer Tobias Rieker mit mir als Maschinenbauveteran austauschen. Diese Einladung zum Gespräch habe ich gerne angenommen. Es war inspirierend zu hören, was das Team in den vergangenen zweieinhalb Jahren alles geschafft hat und dieser dynamische Unternehmergeist ist die perfekte Ergänzung zu meinen mittlerweile mehr als 40 Jahren Erfahrung im Maschinenbau.

Start-ups wollen in der Regel bewusst alles anders machen als die etablierten Firmen in ihrer Branche. Was bringt da ein Veteran mit an Bord?
Was ich beisteuern kann, ist der Erfahrungsschatz von jemandem, der sich mit diesen Aufgaben den Großteil seines Berufslebens befasst hat. Ich repräsentiere die Sicht des Maschinenbaus und kenne diesen wie meine Westentasche. Durch meine langjährige Erfahrung weiß ich vielleicht an der einen oder anderen Stelle schon etwas mehr und kann dieses Wissen einbringen. Zwar lernt man aus Fehlern auch immer, aber nicht jeden muss man zwei oder sogar dreimal machen.

Zur Person

Wie steht es um Ihre Kontakte zu anderen Unternehmen, zu potenziellen Kunden für Markt-Pilot?
Es hilft, dass ich nicht ganz unbekannt bin in der Branche. Wenn ich einem Maschinenhersteller sage, dass die Lösung funktioniert und es wichtig ist, ein marktorientiertes Ersatzteil-Pricing zu realisieren, dann guckt er sich das in der Regel an. Ich kenne viele Menschen in der Maschinenbauindustrie, mit denen ich einfach ehrlich über das Thema spreche und darauf aufmerksam mache. Manche haben die Herausforderung beim Ersatzteilgeschäft noch gar nicht erkannt, obwohl sie diese natürlich genauso haben.

Tut sich der traditionsreiche deutsche Maschinenbau da schwer zuzuhören?
Viele reden vom Ausverkauf Deutschlands als Industrieland. Davon halte ich nichts. Ich bin überzeugt, dass Deutschland an der Stelle eine große Stärke hat. Wir können Maschinenbau vom Feinsten und auch in der IT sind wir bei weitem nicht so schlecht, wie manch einer behauptet. Wenn wir es schaffen diese beiden Komponenten zusammenzubringen, sind wir für die nächsten 10, 15 Jahre wieder unschlagbar.

Und das kann gelingen?
Die großen Maschinenbauer haben bereits mehr oder weniger das Thema Digitalisierung vorangetrieben, im Wesentlichen aus eigener Kraft. Häufig glauben die großen Firmen, dass sie alles selber machen und intern umsetzen können. Das geht auch, aber solche Eigenentwicklungen dauern oft sehr lange - die Zusammenarbeit mit Start-ups bringt hier wichtige Schnelligkeit und Effizienz. Die kleineren Unternehmen hingegen stehen vor echten Herausforderungen. Für die Digitalisierung von Prozessen fehlt es hier an Kapazitäten und diese kann nicht allein aus eigener Kraft vorangetrieben werden. Genau hier ist eine Lücke entstanden, die Unternehmen wie Markt-Pilot mit innovativen Lösungen sehr gut schließen können. Start-ups können dem Maschinenbau helfen – wenn er sich helfen lässt.

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Woran hakt es?
Wichtig ist es, Vertrauen aufzubauen. Oft sind Maschinenbauunternehmen noch klassische Mittelständler und Familienunternehmer, die häufig sehr verschlossen und skeptisch sind. Für sie ist erst einmal jeder ein Feind, der nicht zu ihnen gehört. Aber beide Parteien müssen es wagen und aufeinander zugehen. Ich bin mir sicher, dass der Mut zur Zusammenarbeit und ein ehrlicher Austausch sich auszahlen.

Worauf müssen Start-ups im Maschinenbau achten, wenn sie erfolgreich sein wollen?
Es kann tatsächlich schon helfen, sich nicht als Start-up zu bezeichnen. Damit verbinden manche Maschinenbauer nicht unbedingt eine Firma mit soliden und strukturierten Prozessen, der man Vertrauen schenken kann. Der Auftritt macht also schon einen riesigen Unterschied. Im Idealfall drängt man sich nicht zu stark selbst in den Vordergrund, sondern lässt Kunden berichten und von der Lösung erzählen. So kann es gelingen, nicht nur ein gutes Produkt zu entwickeln, sondern es auch zu verkaufen.

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Nach den ersten drei Monaten auf der anderen Seite: Wie groß sind denn aus Ihrer Sicht noch die Kulturunterschiede zwischen Konzern und Start-up?
Es fängt damit an, dass es keine Förmlichkeiten gibt. Das mögen manche Konzerne auch versuchen, dort wirkt es jedoch schnell aufgesetzt. Aber sich an das Start-up-Umfeld zu gewöhnen, das fällt recht leicht. Dazu kommt: In großen Firmen gibt es immer einen enormen Abstimmungsbedarf und   wahnsinnig viele Bewahrer. Die halten die Augen auch dann noch geschlossen, wenn sie mit 200 km/h auf die Wand zurasen. Im Start-up ist es viel schnelllebiger und die Dinge gehen auf Zuruf, auch wenn Markt-Pilot definitiv keine kleine Bastelstube mehr ist.

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