Medizintechnik Wenn Roboter den OP-Saal erobern

Roboter wie der des Jenaer Start-ups Avatera Medical sollen medizinische Eingriffe sicherer und schonender machen. Quelle: Presse

Sie sollen Operationen präziser, schonender und erfolgreicher machen: Roboter sind der aktuelle Trend in der Hightech-Medizin. Zahlreiche Start-ups ringen um den neuen Milliardenmarkt – auch aus Deutschland.

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Die Operation, die Ärzte vor wenigen Wochen in Frankreich durchführten, war eine Premiere: Per Joystick steuerte Rémi Sabatier, Kardiologe an der Universitätsklinik von Caen, Katheter und andere Instrumente durch die Arterien seines Versuchspatienten. Der lag nicht etwa im gleichen Raum auf dem OP-Tisch, sondern 120 Kilometer entfernt in einer Klinik in Rouen, wo ein Roboter die Bewegungen von Sabatier umsetzte.

Die erste ferngesteuerte Gefäßoperation in Europa fand zwar nicht an einem Menschen statt – sondern einem Schwein. Trotzdem zeigte der geglückte Versuch, welches Potenzial Hightech im Operationssaal hat: Roboter, hier vom französischen Start-up Robocath, werden immer öfter im OP-Saal eingesetzt und dürften die Arbeit von Chirurgen in den nächsten Jahren erheblich verändern.

Die Operation aus der Ferne ist dabei nur ein Szenario, etwa wenn es darum geht, Patienten eines Tages Operationen durch die besten Spezialisten zu ermöglichen, auch wenn die auf einem anderen Kontinent arbeiten sollten. Erst einmal geht es darum, alltägliche Eingriffe per Robotik präziser, sicherer und erfolgreicher zu machen.

Ärzte schauen per Kamera mitten in den Körper

So können Roboterarme, die über eine Konsole gesteuert werden, minimalinvasive Eingriffe vereinfachen, bei denen die Instrumente nur noch durch einen fingernagelgroßen Schnitt in der Haut in den Körper eingeführt werden. Per 3D-Kamera können die Ärzte buchstäblich hautnah in die Operationszone schauen. Die Handgriffe des Arztes können per Roboter um ein Vielfaches kleiner durchgeführt werden, auch ein spontanes Zittern können die Maschinen herausrechnen. Anders als am OP-Tisch können die Ärzte ergonomisch an Steuerpulten sitzen – und dadurch länger durchhalten und etwa Rückenschäden vermeiden. Auch ganz neue Operationsverfahren können Roboter möglich machen.

Weil sich Robotik und künstliche Intelligenz in den vergangenen Jahren im Gleichschritt weiterentwickelt haben, kommen nun zahlreiche neue Medizinroboter auf den Markt. Mehrere Start-ups entwickeln Maschinen, die preiswerter und leistungsstärker sein sollen als bisherige Modelle – oder ganz neue medizinische Fachgebiete erobern.

Schnelle Hilfe gegen Herzinfarkt

Laut der International Federation of Robotics wuchs im Jahr 2019 der weltweite Markt für Medizinroboter auf 5,3 Milliarden Dollar. Bis 2022 soll sich der Umsatz mehr als verdoppeln – auf 11,3 Milliarden Dollar. 90 Prozent der Geräte stammen von Unternehmen aus den USA und Europa.

Das Start-up Robocath etwa, mit dessen Gerät R-One der Kardiologe Sabatier die Fernoperation am Schwein durchführte, hat 51 Millionen Euro Wagniskapital eingesammelt, um die Gefäßmedizin auf eine technologisch neue Stufe zu heben.

R-One besteht aus einem Roboterarm und einer davon getrennten Steuerkonsole. Mit dem Arm können Kardiologen so genannte Angioplastien durchführen – Verfahren, mit denen verengte Blutgefäße erweitert werden, um koronare Herzkrankheiten zu behandeln oder akute Herzinfarkte zu behandeln. 

Ärzte sind weniger Strahlung ausgesetzt

Dabei werden Ballonkatheter in die Blutgefäße eingeführt und zu den Engstellen geschoben, um sie zu erweitern. Zusätzlich implantieren die Ärzte oft Stents, also Drahtgeflechte, die das Gefäß von innen stützen. Die neue Technik soll es nun zum einen erlauben, die Instrumente sehr präzise zu bedienen. Zum anderen soll sie die Ärzte selbst schützen: Denn um die betroffenen Blutgefäße während der Operation sichtbar zu machen, werden Röntgenstrahlen eingesetzt. Trotz Schutzkleidung sind die Chirurgen einer Strahlendosis ausgesetzt, die laut einer Studie der American Heart Association ein erhöhtes Krebsrisiko mit sich bringen kann.

Mit dem Roboter der Franzosen können die Chirurgen aus sicherer Entfernungen von einigen Metern oder einem anderen Raum operieren und sich so vor Röntgenstrahlen schützen. Allein in Europa, so die Gründer, gebe es 3000 OP-Säle, in denen ihr System eingesetzt werden könne.

Auch der Medizinkonzern Siemens Healthineers ist von der Technik überzeugt und hat im Herbst 2019 für 1,1 Milliarden Dollar den US-Anbieter Corindus übernommen, der ebenfalls einen Roboter für die Gefäßchirurgie entwickelt hat. „Das Gesundheitswesen ist noch immer in einer frühen Phase der Industrialisierung“, sagte Siemens-Healthineers-Chef Bernd Montag unlängst. Das solle sich nun ändern.

Smarte Wasserstrahlen und automatische Blutproben

Derzeit nämlich tauchen diverse Innovationen am Markt auf. Ein Roboter namens Aquabeam des US-Anbieters Prozent Biorobotics erlaubt es bei Patienten mit vergrößerter Prostata, das überschüssige Gewebe hochpräzise mit einem Wasserstrahl zu entfernen – ein Eingriff, dem sich in Deutschland 70.000 Männer pro Jahr unterziehen müssen. Möglich machen den Aquabeam-Ansatz auch moderne Bildgebungsverfahren. Gegenüber herkömmlichen Verfahren, die etwa mit Lasern agieren, soll die Technik schonender sein. Das Schweizer Start-up AOT wiederum will mit einem neuen Laser-Roboter Knochen haarfein durchsägen. Niederländische Forscher haben ein System namens Musa entwickelt, das Operationen an Gefäßen von nur 0,3 Millimeter Breite unterstützen soll. Und Wissenschaftler an der Rutgers-Universität im US-Bundesstaat New Jersey haben eine intelligente Maschine gebaut, die fast ganz von selbst Blutproben nehmen kann, indem sie die Blutgefäße mit Ultraschall, Infrarot-Sensoren und künstlicher Intelligenz aufspürt und die Nadel automatisch injiziert.

Nicht alle Experten sind überzeugt, dass Roboter immer die bessere Wahl sind. Bei bestimmten Eingriffen ergaben Studien, dass die Technik weder die Operationen selbst noch die Heilung beschleunigten. Es gebe auch Nachteile: Die Ärzte müssten intensiv den Umgang mit den Geräten trainieren und Krankenhäuser viel Geld für sie ausgeben.

Gründer aus Jena greifen den Platzhirsch an

Trotzdem wächst die Nachfrage nach der Technik, allen voran beim Marktführer für die Roboter-Chirurgie, Intuitive Surgical aus Kalifornien. Dessen System DaVinci, eine übermannsgroße Maschine mit vier Armen, wird fast in 6000 OP-Sälen weltweit eingesetzt, mehr als 8,5 Millionen Eingriffe wurden damit schon durchgeführt.

Die Kamera des Roboters, dünn wie ein Filzstift, filmt das Operationsfeld in 3D. Der Chirurg kann über ein Okular das Operationsgebiet anschauen, als wäre er selbst in der Bauchhöhle. Nerven und Gefäße werden zehnfach vergrößert dargestellt. Zwei Millionen Euro und mehr kann so eine Maschine schnell kosten.

Ein Start-up aus Jena will dem Platzhirsch nun Konkurrenz machen. Avatera Medical arbeitet an einem Chirurgieroboter, der preiswerter sein soll als die US-Konkurrenz. „Wir konzentrieren uns auf Kliniken, die bislang durch Budgetbeschränkungen vom Erwerb eines Systems für die robotisch-assistierte Chirurgie ausgeschlossen waren“, sagt Oliver Kupka, Geschäftsführer und CEO der Avatera-Medical-Gruppe.

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250 Millionen Euro hat Avatera Medical eingesammelt, um das System zur Marktreife zu bringen. „Die ersten klinischen Einsätze werden im Jahr 2021 in mehreren deutschen und europäischen Kliniken stattfinden“, kündigt Kupka an. Noch in diesem Jahr erwarten die Gründer erste Umsätze. Zunächst soll der Roboter für urologische und gynäkologische Eingriffe eingesetzt werden. Etwas später sollen dann weitere chirurgische Disziplinen hinzukommen, etwa Operationen im Bauchraum. Als Konkurrenz aber müsse die Maschinen kein Arzt sehen, versichert Geschäftsführer Kupka. Der Roboter soll den Arzt schließlich erfolgreicher machen – aber auf absehbare Zeit nicht ersetzen.

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