Mütter als Gründerinnen Zwischen Spielplatz und Investoren-Call

Geschäftsrisiken im Blick: Mütter, die parallel ein Unternehmen gründen, müssen mit Vorurteilen anderer ebenso wie mit der Doppelbelastung zuhause klarkommen. Foto: dpa Quelle: dpa

Mütter, die gründen, müssen sich oft beweisen. Nicht nur in ihrem Umfeld begegnen sie jeder Menge Skepsis – auch Geldgeber fragen sich: Können die das?

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Als Silke Kärcher im Februar 2016 erfuhr, dass sie schwanger ist, war die damals 32-Jährige hin- und hergerissen zwischen Freude und Schock. Zwar hatte sie sich immer ein Kind gewünscht, doch der Zeitpunkt, so empfand es Kärcher damals, war denkbar schlecht. Nur zehn Wochen zuvor hatte sie zusammen mit ihren Co-Gründerinnen Jessika Schwandt und Susan Wache ein eigenes Unternehmen auf den Weg gebracht: Feelspace. Wichtigstes Produkt ist ein vibrierender Gürtel, der sehbehinderten Menschen Wege und Richtungen fühlbar macht.

Silke Kärcher hatte Angst: Würde sie es schaffen, Kind und Start-up unter einen Hut zu bekommen? „Wir standen in den Startlöchern, um etwas Großes auf den Weg zu bringen – und dann hatte ich plötzlich das Gefühl ausgebremst worden zu sein.“ Im Team diskutierten die Frauen das Für und Wider. Eine Mitgründerin hatte Bedenken, riet ihr in einem ersten Impuls, die Stelle als CEO niederzulegen.

Eine Reaktion, die nicht selten vorkommt, sagt Katja Thiede. Die 38-Jährige betreibt das Beratungsnetzwerk Parentpreneurs, mit dem sie gründungswillige Eltern – allen voran Frauen – in ihrem Prozess des Start-up-Aufbaus berät: „Frauen bekommen von ihrem Umfeld oft zu hören, dass nur eines möglich ist: Unternehmerin zu sein – oder Kinder zu bekommen.“  Dass das nicht stimmt, weiß die Berlinerin allerdings aus eigener Erfahrung. Als ihre Tochter vier Monate alt war, gründete sie selbst ein Coworking-Büro, das Nutzern nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch eine Kinderbetreuung anbietet.

„Gründen wollte ich schon lange, aber erst als ich in meiner Elternzeit war, bin ich den Schritt endlich gegangen.“ Zu dieser Zeit sei sie besonders kreativ und effektiv gewesen – trotz Schlafmangel und Erschöpfung. „Verglichen mit kinderlosen Gründern und Gründerinnen hat man natürlich weniger Zeit, die man in die Umsetzung der eigenen Business-Idee stecken kann, aber gleichzeitig ist man besonders effektiv, weil man gelernt hat freie Zeitfenster möglichst gewinnbringend auszunutzen.“

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Nicht die Zeit zählt, nur das Ergebnis

Das lernte auch Silke Kärcher unter Hochdruck. „In den ersten Wochen und Monaten nach der Geburt meines Sohnes lernte ich mich punktgenau zu konzentrieren: nämlich dann, wenn der Papa den Kleinen betreute oder abends, wenn das Baby schlief.“ Kärchers Credo: Nicht die Zeit, die ich aufwende, zählt, sondern das Ergebnis. Dass das ein sinnvoller Weg ist, zeigt auch eine KfW-Studie aus dem Jahr 2016: Darin heißt es, dass gründende Mütter zwar bei der Arbeitszeit kürzertreten und statt der bei Gründern üblichen 50 nur 36 Wochenstunden arbeiten. Doch Auswirkungen auf Wachstumsambitionen habe diese Entscheidung nicht – im Gegenteil: Während neun Prozent aller Gründerinnen angeben, deutlich wachsen zu wollen, sind es unter den Mompreneurs sogar 14 Prozent.

Auch Silke Kärcher gibt alles, um ihr Unternehmen nach vorne zu bringen: „Ich kann nicht sagen, dass sich mein unternehmerischer Ehrgeiz durch die Kinder verringert hat.“ Zwar stelle sich der wirtschaftliche Erfolg langsamer ein, weil man natürlich Abstriche machen müsse – etwa, wenn ein Termin ausfalle, weil eines der Kinder erkrankt sei oder das Wochenende freigehalten würde. „Ein schneller Exit, wie ihn manche Gründer anstreben, ist unter diesen Bedingungen nicht möglich“, sagt Kärcher. Für sie und die Mitbegründerinnen sei das allerdings kein Problem, schließlich sei es ihnen ohnehin nicht darum gegangen, ihr Unternehmen so schnell wie möglich zu verkaufen, sondern ein solides und nachhaltiges Start-up aufzubauen.

„Möglichst große Wirkung statt möglichst schneller Exit – diese Einstellung eint viele Gründer mit Kindern. Aus meiner Sicht ist genau das die Form von Unternehmertum, die wir brauchen,“ sagt auch Katja Thiede. Für Silke Kärcher haben sich die anfänglichen Bedenken in Luft aufgelöst. „Die Kombination aus Kind und Arbeit funktionierte besser als erwartet,“ sagt sie. So gut, dass Silke Kärcher nicht nur ein zweites Kind bekam, sondern darüber hinaus nicht die einzige im Team blieb, die sich für Nachwuchs entschied.

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„Die Geburt meines ersten Sohnes war eine Art Befreiungsschlag für uns alle. Wir haben gemerkt: Es ist möglich und man kann beides parallel machen. Auch meine Kollegin, die anfangs besonders skeptisch war, hat mittlerweile zwei Kinder“, erzählt Silke Kärcher. „Das ist hilfreich, denn wir kennen die Situation der Doppelbelastung sehr gut.“ Allerdings sei es nicht so, dass der Anspruch an die eigene Arbeit und die der anderen dadurch geringer sei: „Wir erwarten von uns gegenseitig, dass wir unsere Aufgaben voll und ganz erfüllen.“

Ganz so unproblematisch, wie es sich anhört, sei es aber nicht, Kinder und Gründung unter einen Hut zu bekommen, betont Silke Kärcher. Neben Themen wie Zeitknappheit und schlechtem Gewissen, das auch angestellte Mütter zur Genüge kennen, sei die Skepsis von Außen ein großer Punkt. Anfang 2017 erhielten die Gründerinnen die Zusage eines Geldgebers, der bereit war eine sechsstellige Summe in das Start-up zu investieren. Die eine Hälfte des Geldes floss sofort, die andere sollte abhängig vom Erreichen bestimmter Ziele bezahlt werden – so die Verabredung.

Alles schien gut, doch dann machte ihnen die zweite Schwangerschaft von Silke Kärcher einen Strich durch die Rechnung: „Zu diesem Zeitpunkt war meine Co-Gründerin bereits schwanger, was bei unserem Investor schon nicht gut angekommen war. Als ich dann auch noch verkündete, dass ein zweites Baby im Anmarsch sei, schien er sehr verärgert.“ Der Investor verweigerte die zweite Tranche – offiziell hieß es, dass die Firma die angepeilten Ziele nicht erreicht habe. „Wir standen mit der Entwicklung unseres Produkts sehr gut da und lagen im Plan. Es ist durchaus möglich, dass der Investor unsere Kinder schlicht als Handicap sah, das unseren Erfolg bremsen wird.“ Für Katja Thiede ist das nicht nachvollziehbar. „Aus ihrer Rolle heraus sind Mütter es gewohnt lösungsorientiert zu arbeiten – und sie sind zäh. Schlafentzug, Müdigkeit? Das Gefühl überlastet zu sein? Kein Grund für Mütter nicht zu arbeiten.“

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Kärcher und ihre Co-Gründerinnen trennen sich schließlich von dem Investor und fanden eine andere Beteiligungsgesellschaft, welche die Anteile übernahm. Von Anfang an legten sie die Karten auf den Tisch und berichteten, dass sie nicht nur Gründerinnen, sondern auch Mütter sind. „Das ist schließlich nichts, für das man sich entschuldigen muss“, sagt Silke Kärcher.

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