Musikbranche Schlager stürmen die Umsatz-Charts

Es ist ein oft unterschätzter Markt: Andrea Berg, Helene Fischer & Co lassen nicht nur die Herzen ihrer Fans höher schlagen, sondern auch die Kassen ihrer Plattenfirmen klingeln. Warum der Schlager nicht ausstirbt.

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Andrea Berg ist die derzeit erfolgreichste Schlagersängerin Deutschlands. Quelle: handelsblatt.com

Ihr feuerrotes Haar fliegt wild durch den Wind. Die weitgeöffnete Bluse gewährt einen tiefen Einblick. Die hautenge Hose mit den Lederabnähern passt perfekt zu den schwarzen High Heels. Sexy blickt Andrea Berg vom  Cover ihrer neuen CD. Sie widerspricht dem Klischee vom biederen deutschen Schlager und das kommt bei den Fans gut an. Ihr letztes Album ging 800.000-mal über die Ladentheke.

Ende September hat die 45-Jährige nachgelegt und seitdem mehr als 200.000 Exemplare vom neuen Album "Abenteuer" verkauft. Das bedeutete Platin nach gut zwei Wochen. Das Verkaufsziel ihres Plattenlabels Ariola vom Sony Music Konzern liegt bei einer Millionen Alben.  

Der deutsche Schlager ist nach wie vor lukrativ, für alle Beteiligten. André Selleneit, Chef von Ariola, ist der Meinung, dass der Stellenwert des Genres sogar noch unterschätzt wird. „Der deutsche Schlager hat insgesamt einen Marktanteil von rund sieben Prozent. Real dürfte der Marktanteil noch um rund ein Drittel höher liegen, denn Interpreten wie DJ Ötzi werden zu Pop gezählt, machen aber eindeutig Schlager." 

Berg ist momentan zwar die unangefochtene Marktführerin im Schlagergenre, aber eine One-Woman-Show ist der volkstümliche Musikzirkus lange nicht. Helene Fischer zum Beispiel stellte Mitte Oktober ihr neues Album „Für einen Tag“ bei einem Konzert in Hamburg vor. Live dabei war auch Bild.de. Die Website der Boulevardzeitung übertrug den Auftritt via Live-Stream. Ein Indiz für die Massentauglichkeit des deutschen Schlagers.

Besser als Lady Gaga

Fischers neues Album ist jetzt auf dem Markt. Von der Erwartung darauf im Vorfeld getrieben, stieg ihr Best of-Album von 2010 noch mal auf Platz 24 der Charts. Berg stürmte mit ihrem neuen Album „Abenteuer“ zwischenzeitlich auf den ersten Platz. Das Vorgängeralbum „Schwerelos“ ist immer noch auf Rang 26. Damit hat die Sängerin gleich zwei Alben in den Top 30 und schlägt somit internationale Stars, wie Lady Gaga oder Lenny Kravitz. 

Das erste Halbjahr 2011 hingegen ist für die Schlagerbranche nicht optimal verlaufen. Sie musste laut Bundesverband der Musikindustrie (BVMI) einen Umsatzrückgang von 2,2 Prozent hinnehmen. Für Florian Drücke, Geschäftsführer des BVMI, ist das kein Grund zur Beunruhigung. „Insgesamt befindet sich der Schlager wie auch schon im Jahr 2010 noch immer auf gutem Niveau“, sagt er.  Und könnte sogar noch besser werden: Das letzte Quartal des Jahres 2011 dürfte der Schlager- und Volksmusik einen gewaltigen Umsatzschub bescheren. „Starke Künstler wie Andrea Berg und Helene Fischer haben gerade erst ihre Alben veröffentlicht. Das deutet auf ein starkes viertes Quartal hin“, sagt Selleneit von Ariola. 

Die Schlagerbranche erwirtschaftete in diesem Jahr bis Anfang Juli schon 28,5 Millionen Euro. 2010 waren es laut BVMI rund 72 Millionen Euro. Bei dieser Summe sind Konzerttickets, Fernseheinnahmen und Fanartikel noch nicht eingerechnet. Und die schlagen bei den Stars und Sternchen ebenfalls deutlich zu Buche. 

Semino Rossi zum Beispiel, der mit seinem Hit „Rot sind die Rosen“ die Herzen der Schlagerfans eroberte, vertreibt auf seiner Homepage alles von Semino-Handtüchern über Semino-Kugelschreibern bis hin zu Semino-Kochschürzen. Vor allem bei Live-Konzerten gehen Fanartikel weg wie warme Semmel. 2010 besuchten 200.000 Zuschauer die Tournee von Rossi. Bei seiner Tour im nächsten Jahr rechnet sein Konzertveranstalter Semmel Concerts mit ähnlich vielen Fans.

Verjüngungskur für den Schlager

In der Öffentlichkeit häufig belächelt machen die Stars aus Schlager- und Volksmusik den großen Reibach in der Musikbranche - und das nachhaltig. „Das Segment ist im Moment stark und wird es auch bleiben", sagt Selleneit. Die Zahlen belegen seine These. Während das Genre vor zehn Jahren gerade Mal rund drei Prozent des Gesamtumsatzes der deutschen Musikbranche ausmachte, sind es seit 2007 um die fünf Prozent. 

Gründe hierfür könnten das Wachstum der älteren Generation sein und dass die Problematik illegaler Downloads an diesem Genre, wegen fehlender IT-Kenntnisse der Hörerschaft, vorbeigeht.

Ein Vorurteil, das laut Selleneit nicht richtig ist, „denn es wachsen jüngere Hörer nach“. Die strenge Teilung zwischen den verschiedenen Musikrichtungen sei aufgehoben. „Heute fährt der Verbraucher zu einem Shakira Konzert und morgen hört er die CD von Andrea Berg."

Der Schlager sei ein Teil deutscher Kultur. „Jeder von uns hat schon mal Udo Jürgens gehört, zu DJ Ötzi bei einer Après-Ski-Party getanzt oder auf Mallorca einen Hit von Jürgen Drews mitgesungen.“ Deshalb ist sich der Ariola-Chef sicher: „Der Schlager wird nicht aussterben.“

Während 2009 nur sieben Prozent der Käufer von Schlagermusik zwischen 20 und 29 Jahre alt waren, waren es 2010 schon ganze zwölf Prozent. Drücke vom BVMI ist überzeugt, dass sich dieser Trend fortsetzen wird. „Grund hierfür sind unter anderem Künstler, die auch jüngere Zielgruppen ansprechen, wie beispielsweise Helene Fischer.“

21.000 Facebook-Fans

 Andreas Lehmann, Professor für Systematische Musikwissenschaft an der Universität Würzburg, sieht in alternativen Vermarktungsstrategien einen weiteren Grund für diese Entwicklung. „Die Musik wird heute systematischer gepushed", sagt Lehmann. Alle zur Verfügung stehenden Kanäle würden genutzt - von der Dauerpräsenz der Schlagergruppe Amigos auf Teleshoppingkanälen bis hin zum Profil in sozialen Netzwerken wie Facebook. Andrea Berg etwa hat mehr als 21.000 Facebook-Fans, Helene Fischer immerhin 4500. „Da würde es sogar eher wundern, wenn der volkstümliche Schlager nicht auch bei den 30-Jährigen angekommen wäre", sagt Lehmann. 

Wichtig ist für so manchen Interpreten auch die Vermarktung im Ausland. Matthias Baumann ist Projektleiter bei Semmel Concerts und betreut die neue Tournee von Semino Rossi. Die Benelux-Staaten und Dänemark seien für Rossi ein wichtiger Markt. „Bei der letzten Tour kamen zu einem Konzert im belgischen Hasselt 6000 Zuschauer. Es war brechend voll“, sagt Baumann. Ein Grund, warum Semmel Concerts versucht, den Markt für Rossi in den angrenzenden Ländern auszubauen. Bei seiner Tour 2012 spielt der Sänger zwölf seiner 50 Konzerte im Ausland. 

Solche Erfolge im Ausland hält Selleneit für Ausnahmen. „Große Märkte wie Frankreich oder Großbritannien werden wir mit dem deutschen Schlager nicht erobern, da bin ich realistisch. Die Sprachbarriere ist einfach zu groß."

Dafür hat sich Selleneit auf dem Markt im Inland einiges vorgenommen. Denn seine erfolgreichste Künstlerin Andrea Berg feiert nächstes Jahr 20-jähriges Jubiläum. Durch eine Tour zu Beginn des Jahres will Ariola den Verkauf des Albums „Abenteuer“ noch mal ankurbeln. Außerdem ist 2012 ein Jubiläums-Tonträger geplant. Bei ihren bisherigen Verkaufszahlen könnte die Schlagersängerin dann drei Alben gleichzeitig in den Charts haben. 

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