Onlinehandel Wie Start-ups die Retouren-Flut bekämpfen

Das Start-up Presize Averspricht: Algorithmen können anhand des siebensekündigen Handyvideos automatisch den Brust-, Taillen- und Hüftumfang sowie die Arm- und Beinlänge des Nutzers berechnen. Quelle: PR

Jedes zweite, online bestellte Kleidungsstück geht zurück. Die Retourenberge sind immens. Digitale Vermessungstechnologien sollen Kunden jetzt dabei helfen, Mode von der Stange passgenau zu bestellen.

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Es ist eine einfache Drehung um die eigene Achse, die den Online-Einkauf treffsicherer machen soll. Seit ein paar Wochen bietet der Modehändler S.Oliver in seiner Einkaufs-App das Feld „Finde deine Größe“ an. Wer darauf klickt, wird zunächst nach Alter, Geschlecht, Köpergröße und Gewicht gefragt. Dann folgen die Instruktionen für ein Video-Selfie: Das Smartphone wird leicht angewinkelt an eine Wand gelehnt, der Nutzer dreht sich mit ausgebreiteten Armen im Kreis. Ausziehen muss er sich dafür nicht, empfohlen wird aber eine halbwegs enganliegende Kleidung.

Der Sinn der Übung: Obwohl einzelne T-Shirts, Pullover und Sakkos unterschiedlich ausfallen, soll die App Kunden stets die richtige Größe empfehlen – unabhängig von den Angaben im Etikett. Dazu berechnen Algorithmen anhand des siebensekündigen Videos automatisch den Brust-, Taillen- und Hüftumfang sowie die Arm- und Beinlänge des Nutzers. Das Video wird danach gelöscht, so das Versprechen. Die ermittelten Werte werden mit denen der Kleidungsstücke abgeglichen.

Die Technologie, die das Modeunternehmen aus Rottendorf bei Würzburg einsetzt, stammt aus München. Dort sitzt mit Presize ein Start-up, das in der Branche derzeit aufmerksam beobachtet wird. Denn die Gründer Leon Szeli, Awais Shafique und Tomislav Tomov behaupten, eines der drängendsten Probleme im E-Commerce gelöst zu haben. „Falsch bestellte Größen sind im Fashion-Bereich der Hauptgrund für Rücksendungen“, sagt Szeli. „Diese lassen sich mit unserer Technologie um mehr als die Hälfte senken.“ 

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Tatsächlich wird der Retourenberg im Onlinehandel immer größer. Im vergangenen Jahr summierten sich alleine in Deutschland die Rücksendungen nach Schätzungen der Universität Bamberg auf 500 Millionen Produkte. Dieses Jahr dürften es infolge der Corona-Lockdowns noch mehr werden. Der Modehandel hat daran einen enormen Anteil: Laut Erhebungen des Handels-Forschungsinstituts EHI liegt die Rücksendequote dort bei knapp 50 Prozent, während branchenübergreifend nur jede fünfte Bestellung zurückgeht. 

Viele Onlinehändler versuchen zwar, mit ausführlichen Produktbeschreibungen, Detailbildern, Videos und Kundenrezensionen gegenzusteuern. Doch gebracht hat all das nur wenig, so die Einschätzung von Björn Asdecker, Leiter der Forschungsgruppe Retourenmanagement der Universität Bamberg. Gerade beim Kleidungskauf kalkulieren Kunden schon bei der Bestellung eine Rücksendung mit ein – auch weil die meisten Händler diese nach wie vor kostenlos anbieten. Der gleiche Artikel landet für die Anprobe zu Hause oft in verschiedenen Größen im Warenkorb.

Aus Sorge vor Umsatzeinbußen mag kaum ein Modehändler an den kostenlosen Retouren rütteln. Stattdessen ruhen die Hoffnungen auf einer funktionierenden Online-Größenberatung. „Datenanalyse, Künstliche Intelligenz und bereits vorhandene Alltagstechnologien wie Handykameras zur Körpervermessung ermöglichen künftig signifikante Einsparpotenziale“, sagt Experte Asdecker. Voraussetzung sei natürlich, dass Händler und Kunden diese Technologien auch einsetzen. 

Die Bereitschaft dazu wächst zumindest: Presize zählt laut Gründer Szeli knapp anderthalb Jahre nach der Gründung 21 Unternehmen zu seinen Kunden. Zu den Investoren des Start-ups gehört neben dem bekannten US-Accelerator Plug and Play auch Chris Brenninkmeyer, Spross der C&A-Eigentümerfamilie. 

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Doch auch andere Anbieter haben den Markt für sich entdeckt. 3DLook aus Kalifornien und das Züricher Start-up Fision etwa sind mit ähnlichen Technologien unterwegs. Auch Onefid will im Modemarkt Fuß zu fassen – und das wortwörtlich: Die Kölner vereinfachen mit ihrer Smartphone-App sowie stationären Scannern den Schuhkauf. 

Erste Bemühungen Deutschlands Online-Shopper zu vermessen, gab es bereits vor zehn Jahren. Damals bot das Berliner Start-up UPcloud eine Körpervermessung per Webcam an. Durchgesetzt hat sich das Verfahren, bei dem sich Kunden mit einer CD in der Hand in einem bestimmten Abstand vor den Computer stellen mussten, nicht. Auch große 3D-Scanner, bei denen sich Kunden einmal offline vermessen lassen müssen, werden kaum genutzt. 

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