Pizzalieferservice Milano Vice Wie ausgerechnet ein Pizzalieferdienst an sechs Millionen Dollar kommt

Die beiden Gründer: Dennis Murselovic und Rudolf Donauer vor einem Partnerbetrieb von Milano Vice. Quelle: PR

Ein altes Geschäftsmodell mit ein paar neuen Zutaten: Ein Berliner Start-up will eine deutschlandweite Pizzakette aufbauen, ohne eigene Läden zu besitzen. Und begeistert damit mitten in der Finanzierungsflaute plötzlich Wagniskapitalgeber. Warum nur?

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Die Karte ist klassisch gehalten: Es gibt Margaritha, Salami, Funghi, Hawaii oder ein paar andere Traditionsrezepte. Auf Wunsch ist die Mahlzeit auch als Pinsa erhältlich, eine etwas fluffigere Teigvariante. Nach der Onlinebestellung wird die Pizza pünktlich geliefert, ist heiß – und schmeckt. So weit, so normal: Mehrere Tausend Pizzerien bieten quer durch Deutschland ihre Dienste an, einige Ketten wie Dominos, L’Osteria oder Call-a-Pizza sind in der ganzen Republik mit Filialen vertreten.

Und doch hat der junge Lieferdienst Milano Vice, der sich selbst als erste „virtuelle Pizza-Restaurantkette“  bezeichnet, in einer sechsmonatigen Testphase nach eigenen Angaben bereits mehr als 100.000 Pizzen verkauft. Sowie gleich mehrere Geldgeber heißhungrig gemacht: Sechs Millionen Dollar stellten Investoren wie Coefficient Capital aus den USA, Speedinvest aus Wien oder CG Partners aus Berlin bereit. Ebenfalls mit dabei sind Business Angels, die ihr Geld mit Start-ups wie Just Spices oder Sennder gemacht haben.

Dabei ist die Stimmung in der Start-up-Szene derzeit eher gedrückt: Gründer blicken noch skeptischer in die Zukunft als im Coronakrisenjahr 2020, wie eine aktuelle Umfrage des Bundesverbands Deutsche Start-ups zeigt. Nur noch gut jedes zweite Start-up (54,2 Prozent) geht von einer positiven Entwicklung der Geschäfte aus, fast 18 Prozentpunkte weniger als vor einem Jahr (72,1 Prozent). 2020 hatten noch gut 58 Prozent der jungen Firmen positive Geschäftserwartungen. Die politischen und ökonomischen Verwerfungen und das veränderte Umfeld an den Finanzmärkten führten bei Investoren zu Zurückhaltung, gerade bei spätphasigen Finanzierungsrunden, sagte Gesa Miczaika, stellvertretende Vorsitzende des Verbands. „Da für Start-ups externes Kapital elementar ist, sorgt dies aktuell für Verunsicherung.“ Statt rasantes Wachstum steht zügige Profitabilität im Fokus. 

Ausgerechnet aber Milano Vice zeigt mit einer auf den ersten Blick nicht gerade innovativen Idee, dass durchaus Geld für Gründer bereitsteht: „Wenn man es einmal geschafft hat, beim Kunden eine Marke zu positionieren, dann ist die Pizzalieferung ein Geschäft mit hohen Margen“, sagt Rudolf Donauer, der das Start-up gemeinsam mit Dennis Murselovic aufbaut. Auf welches Erfolgsrezept wetten die Gründer?

BWL trifft Backstube

Die Geschäftsführer setzen auf ein sogenanntes „Asset-Light-Modell“, mit dem auch Techunternehmen wie Flixbus rasch gewachsen sind. Statt eigene Küchen anzumieten, eigenes Personal anzulernen und eigene Fahrer zu finden, überlässt das Start-up diese Aufgabe seinen Partnern. Herausforderungen, mit denen sich die Gastronomiebranche herumschlagen muss, schlagen so nur indirekt auf die eigene Bilanz durch. 

Die Partnerbetriebe zahlen eine monatliche Gebühr, abhängig vom Umsatz, und kaufen die notwendigen Zutaten und den Pizzaofen bei Milano Vice. Nach einem ähnlichen Modell funktionieren auch Franchiseunternehmen wie McDonalds oder Subway. Dazu kommt noch ein wenig Technologie: Die Software des Start-ups soll beispielsweise genau vorhersagen, wie viele Vorräte die Betriebe einkaufen sollten. Und das Team am Firmensitz von Milano Vice kontrolliert, wie lange die Mitarbeiter vor Ort für eine Pizza benötigen.

Im November 2021 hat das Start-up in Berlin losgelegt. Mittlerweile gibt es 30 Partnerbetriebe in und um die Hauptstadt sowie in Hamburg und Köln. Bis zum Jahresende sollen es 80 Betriebe sein. „Wir wollen mittelfristig mit Milano Vice in jeder großen deutschen Stadt starten“, gibt Donauer als Devise aus. Den teilnehmenden Unternehmen verspricht das Start-up, ihre Auslastung deutlich zu erhöhen. „Häufig sind Mitarbeiter und Küchen in der Gastronomie außerhalb der Stoßzeiten gar nicht richtig ausgelastet“, sagt Donauer.

Stolz führt das Start-up das Beispiel eines Bäckers aus Berlin-Pankow an, der seinen Umsatz dank Milano Vice habe vervierfachen können. „Im Prinzip ist jeder Gastronom für uns ein potenzieller Partner“, sagt Donauer, „Pizzerien sind nicht mal unbedingt die besten Ansprechpartner, weil sie sehr ähnliche Stoßzeiten haben.“ Um die Qualitätskontrolle kümmert sich das Start-up, ein paar Tage Training sollen für jeden neu dazugekommenen Laden reichen: „Die Komplexität beim Pizzaherstellen ist überschaubar, wenn die damit einhergehenden Prozesse optimiert wurden“, sagt Donauer.

Inspiriert von einem Youtube-Phänomen

Die Inspiration, so berichtet der Geschäftsführer, sei ihm beim Anschauen eines Youtube-Phänomens gekommen: Der US-Amerikaner Jimmy Donaldson hat als „Mr. Beast“ über 100 Millionen Abonnenten auf der Plattform. Vor knapp zwei Jahren hat der Social-Media-Star begonnen, Burger unter der eigenen Marke zu verkaufen – zubereitet und geliefert aus anonymen Restaurants, sogenannten „Ghostkitchen“. Nach eigenen Angaben habe er so in gut eineinhalb Jahren Umsätze von etwa 100 Millionen Dollar erzielt.

Neu ist das Prinzip der Ghostkitchen, manchmal auch „Dark Kitchen“ oder „Cloud Kitchen“ genannt, auch in Europa nicht: Delivery Hero hat unter dem Namen „Honest Food Company“ eine Tochterfirma gegründet, die gleich verschiedene virtuelle Restaurantmarken entworfen hat – vom „Mamacita California Burritos“ bis hin zur koreanisch anmutenden „Gangnam Kitchen“. In Österreich können Nutzer der App „Mjam“ diese Produkte bestellen. In Deutschland war das Start-up Vertical Food bereits vor einigen Jahren mit einem ähnlichen Modell gestartet und betrieb eigene Küchen, in denen verschiedene Arten von Gerichten parallel gekocht wurden. Heute firmiert das Unternehmen als eigener Lieferdienst „Chefly“, beschränkt auf Berlin.

Appetit auf eine jüngere Zielgruppe

Vor allem fehlt Milano Vice die Popularität eines prominenten Influencers. Das will das Start-up mit grellen Neonfarben auf Webseite und Pizzakartons wettmachen. „Die Marke ist bewusst sehr schrill, laut und bunt, damit sie im Onlineumfeld auffällt“, sagt Donauer, der zuvor unter anderem bei Foodora die Marketingwelt der Essenslieferdienste kennenlernte. Noch hat die junge Marke bei Instagram gerade einmal etwas mehr als 2700 Follower eingesammelt, bei Tiktok folgen 242 Nutzer dem Unternehmen, bei Facebook sind es gerade einmal 40 Fans.

Da ist also noch durchaus Luft nach oben. Auf die jüngere, aber lieferhungrige Zielgruppe hat es das Start-up besonders abgesehen. „Gerade die Generation Y oder Z bestellt gerne online, die nehmen andere bekannte Pizzaketten aber eher als altmodisch wahr“, sagt Donauer. Die Geldgeber glauben ebenfalls, dass das Modell funktioniert. Das Team entwickle „sehr kapitaleffizient eine neue disruptive Virtual Food Franchise Brand, die der Nachfrage von Millennials, Gen Y und Gen Z maßgeschneidert entspricht“, sagt Speedinvest-Partner Julian Blessin.

Großaktionär des Brokers Flatex „Ich habe möglicherweise zu lange zugesehen“

Der Unternehmer Bernd Förtsch ist Großaktionär von Deutschlands wichtigstem Broker Flatexdegiro: In beispielloser Offenheit seziert er jetzt die Fehler des Konzerns. Und kündigt Konsequenzen für den Vorstandschef an.

Energiekosten „Es wird in Deutschland keinen billigen Strom mehr geben“

Wie teuer wird die Energiewende künftig für Haushalte und Betriebe? ZEW-Präsident Achim Wambach warnt vor langfristigen Kostentreibern – und fordert einen völlig neuen Preismechanismus in Deutschland.

TV-Geschäft unter Druck Mit diesen Tricks holt sich Vodafone Kunden in die Bilanz

Der neue deutsche Vodafone-Chef Marcel de Groot braucht dringend Erfolge. Doch sind die neuen Maßnahmen fragwürdig – wie schon in der Vergangenheit. Die Folgen haben Kunden und Aktionäre zu tragen.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Gaudy Foods, das Start-up hinter der Marke Milano Vice, hat trotzdem das Mr.-Beast-Phänomen vor Augen. Denkbar wäre auch eine Kooperation mit deutschen Influencern, die immer häufiger eine Umsatzbeteiligung einem Marketing-Deal vorziehen. „Dann wird sich zeigen, ob wir zuerst eine zweite Marke starten oder lieber in die Internationalisierung gehen“, sagt Donauer.

Lesen Sie auch: Die deutsche Gründerszene kannte in den vergangenen Jahre nur das Wachstum um jeden Preis. Auf einmal aber zeigen sich Investoren zögerlich – und die Start-up-Szene muss in den Sparmodus schalten. Zwei Gründer erzählen, wie sie diesen Schwenk meistern.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%