Der vielleicht wichtigste Punkt im Leben eines Entrepreneurs ist weder die Idee zur Gründung noch dessen Umsetzung. Sondern der Zeitpunkt, an dem es gilt, Investoren von der Idee zu überzeugen. Es dürfte wenige Vertreter der deutschen Start-up-Szene geben, die über jenen Schritt besser Bescheid wissen als Ijad Madisch. Der 42-Jährige ist promovierter Virologe und gründete im Jahr 2008 sein Unternehmen Researchgate als soziales Netzwerk für Wissenschaftler zum Austausch ihrer Forschungsergebnisse. Im Jahr 2012 konnte er Peter Thiel als Investor gewinnen, den Mitgründer von PayPal und Palantir.
An das entscheidende Meeting vor mehr als zehn Jahren kann sich Madisch noch gut erinnern: Thiel sei als letzter in den Besprechungsraum gekommen, habe sich rechts neben ihn gesetzt; auf seiner links Seite saß bereits Luke Nosek, ebenfalls Mitgründer von PayPal und damals Chefmarketier des Zahlungsdienstleisters. „Thiel stellte mir nur drei Fragen“, erläutert Madisch im „Chefgespräch“, dem Podcast mit WirtschaftsWoche-Ressortleiterin Varinia Bernau.
Die dritte und entscheidende habe gelautet, mit welchen seiner Überzeugungen er bei anderen Menschen anecke. Seine Antwort: „Eine offene Wissenschaft, die komplett konträr zu dem ist, wie man bisher denkt – also Konkurrenzkampf und Silodenken –, bringt Forscher eher zusammen, weil sie verstehen, dass ihre Arbeit ein Teil von etwas Großem ist“, so erinnert sich Madisch. Eine Plattform wie Researchgate könne daher dieses alte Denken aufbrechen und so eine neue Ära des wissenschaftlichen Arbeitens einläuten.
„Nach diesem Satz ist Peter Thiel aufgestanden, hat die Hand auf meine Schulter gelegt, Luke angeschaut und gesagt: I want to invest in this guy – no matter how much it costs“, so Madisch weiter. Ganz offensichtlich hatte er mit seiner Haltung bei dem eigentlich als libertär geltenden Thiel einen Nerv getroffen – ganz ähnlich wie bei Bill Gates, dem anderen prominenten Researchgate-Investor. Den Microsoft-Gründer konnte er von seinem Unternehmen begeistern, obwohl er bei dem Gespräch in kurzer Hose und mit Macintosh-Rechner erschien. Thiel und Gates investierten zuletzt 2017 mehr als 50 Millionen Dollar in das „Facebook für Forscher“.
Derart leicht kam Madisch aber nicht jedes Mal ans Ziel. Lars Hinrichs etwa, der Gründer des deutschen Geschäftsnetzwerkes Xing, betrachtete die gesamte Idee hinter Researchgate damals eher kritisch. „Es gab ja schon Portale wie Xing und soziale Netzwerke für das Privatleben – auf beiden können sich auch Wissenschaftler treffen, so meine Überzeugung“, sagt Hinrichs auf Nachfrage. „Ich war der Überzeugung, dass sich die Leute nicht bei einem dritten Netzwerk anmelden würden – da habe ich mich im Rückblick geirrt.“
Teils skurrile Pitches bei Kapitalgebern
Auch andere Risikokapitalgeber können von teils skurrilen Pitches – so heißen die meist schnellen und prägnanten Vorstellungsrunden von Gründern – aus ihrem Investorenleben berichten. So wie Investor Fabian Heilemann, der vor einigen Jahren des Nachts einen Pitch auf einer Tanzfläche bekam: „Eine Gründerin hat mich um 4 Uhr morgens im Berliner Elektroclub Trust gefragt, ob ich Fabian Heilemann sei“, erinnert sich der heute 40-Jährige, der im Jahr 2009 mit seinem Bruder Ferry das Gutscheinportal DailyDeal gegründet und es nach einem zwischenzeitlichen Wiedereinstieg im Jahr 2015 final veräußert hat. Danach arbeitete er mehrere Jahre als Partner beim deutschen Investor Earlybird und kümmert sich heute um den auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Fonds Aenu.
„Als ich die Frage bejahte, legte die Dame eine Tanzeinlage vor mir hin“, schmunzelt Heilemann. Es sei um ein Fintech gegangen; eingestiegen sei er damals allerdings nicht, weil das Start-up nicht recht in das Portfolio von Earlybird passte. Dem Mut der Gründerin zollt er gleichwohl Respekt: „Ein im Markt etablierter Investor erhält pro Jahr mehrere tausend Pitches von Start-ups – und macht vielleicht zehn Deals“, sagt Heilemann. „Daher sollte ein Gründer möglichst aus der Masse herausstechen.“
Das gilt vor allem in der aktuellen wirtschaftlichen Lage: Denn steigende Zinsen, rückläufige Bewertungen und knausrige Investoren bedeuten düstere Zeiten für Start-ups – zumindest oberflächlich betrachtet: So wurden 2022 laut einer Studie der Beratungsgesellschaft EY 9,9 Milliarden Euro in deutsche Start-ups investiert – ein Rückgang von 43 Prozent gegenüber dem Jahr 2021.
Entlassungen treffen erstmals auch Programmierer
Gründer müssen sich also noch mehr abstrampeln als in normalen Zeiten, um an Geld zu kommen. Ijad Madisch will das jedoch nicht gelten lassen – ganz im Gegenteil: „Es ist gerade jetzt eine super Zeit, um ein Unternehmen zu gründen“, sagt der Researchgate-Chef. Der wichtigste Grund dafür sei, dass diese Krise anders sei als alle Krisen vorher, weil die Entlassungen in vielen großen und kleinen Tech-Unternehmen erstmals auch Programmierer beträfen. „Entwickler haben seit dem Platzen der Dotcom-Blase vor mehr als 20 Jahren ein Selbstverständnis entwickelt, dass es sie nicht treffen kann“, sagt Madisch. Zwei Dekaden lang hätten sich Programmierer quasi unantastbar gefühlt und immer höhere Gehälter verlangen können. „Das ändert sich gerade“, sagt Madisch. „Und das ist gut für Start-ups, weil sie sich die Programmierer jetzt wieder leisten können.“
Einen Wermutstropfen macht er allerdings doch aus, einen recht landesspezifischen: Statt in der Krise eine Chance zu sehen, bestehe in seinen Augen die Gefahr, dass viele Gründer in Deutschland mit der aktuellen wirtschaftlichen Lage doch wieder ängstlich umgehen und sich sagen: „Dann gehe ich eben zu BMW, zu Mercedes-Benz oder zu einer Bank, statt selber zu Gründen“, so Madisch.
Hier hören Sie den Podcast Chefgespräch mit Ijad Madisch