Service statt Vermittlung Warum immer mehr Start-ups eigene Handwerker anstellen

Achtung, Auftrag! Viele Start-ups versuchten sich in den vergangenen Jahren als digitale Vermittler für Handwerker. Doch die sind darauf gar nicht angewiesen. Quelle: dpa

Ob Badsanierung, Heizungsbau oder Elektrotechnik: Handwerker haben seit Jahren volle Auftragsbücher. Auf digitale Vermittlungsplattformen sind sie nicht angewiesen. Deshalb gehen die nun einen ungewöhnlichen Schritt.

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Auf Rückrufe hat er vergeblich gewartet. Wenn er mal jemanden erreicht hat, dann wurde er doch nur vertröstet. Und manchmal schallten ihm am Telefon sogar Beleidigungen entgegen: Bei der Suche nach einem Handwerker erging es Till Pirnay anfangs kaum besser als manchem privaten Bauherren. Dabei serviert der Kölner den Betrieben regelmäßige Aufträge auf dem Silbertablett. Denn sein Start-up übernimmt für Energiekonzerne wie Eon und Batteriehersteller wie Sonnen die Montage von Photovoltaikanlagen und Ladestationen. „Wir wollten, dass sich Elektrotechniker Aufträge selbstständig auf unserem Portal abholen“, erzählt Pirnay, der das Start-up Installion vor zwei Jahren zusammen Claus Wohlgemuth und Florian Meyer-Delpho gegründet hat. Doch das Trio hat unterschätzt, wie wenige Handwerker es in manchen Gebieten inzwischen gibt – und wie viel die verbliebenen um die Ohren haben.

„Gute Handwerker sind im Moment voll ausgelastet und auf rein digitale Vermittler nicht angewiesen“, sagt der Gründer. Ein Zeichen für die vollen Auftragsbücher: Der Zentralverband des Handwerks sieht die Wartezeiten im Baubereich auch nach einer coronabedingten Delle bei aktuell noch 13 Wochen. Bei Ausbau-Aufträgen beträgt sie rund zehn Wochen.

Durch die beharrliche Telefon-Akquise hat sich Installion zwar eine Basis von knapp 500 Betrieben aufgebaut, die nun regelmäßig für das Gründer-Trio tätig sind. Doch noch immer gibt es weitaus mehr Aufträge, als das Start-up vermitteln kann. Installion ist deswegen dazu übergegangen, selbst Elektrotechniker einzustellen und zu schulen. In Köln, Hannover und Ulm gibt es bereits „Montagehubs“ – aktuell sind nach Angaben der Gründer drei Viertel der insgesamt 50 Mitarbeiter des Start-ups Handwerker. Und das soll erst der Anfang sein: Quer durch die Republik sollen bis Ende des kommenden Jahres 20 Niederlassungen mit je vier bis acht Mitarbeitern entstehen.

Seltene Spezialisten

Mehr und mehr junge Unternehmen, die die baunahen Dienstleistungen digitalisieren wollen, machen eine ganz ähnliche Entwicklung durch wie Installion – und wandeln sich so vom Software-Start-up zum eigenen Handwerksbetrieb. Das Solar-Start-up Enpal beispielsweise, das Photovoltaik-Anlagen an Endkunden vermietet, konkurriert mit Installion um Elektrotechniker: 170 Handwerker, die aktuell ein Viertel der Anlagen aufbauen, beschäftigt die Firma von Mario Kohle bereits. Der Badsanierer Banovo setzt ebenfalls auf einen großen Stamm eigener Handwerker. Und in München baut der Unternehmer Jens Zabel mit Crafty gerade eine Holding auf, die Betriebe verschiedenster Gewerke unter einem Dach vereinen soll.

Von alteingesessen Handwerkbetrieben, die mit einer Handvoll Mitarbeiter nur lokal tätig sind, wollen sich die Start-ups deutlich abheben. Sie werben mit einer bundesweiten Präsenz und transparenten Preisen. Digitale Prozesse und Automatisierungen sollen den Kunden mehr Verlässlichkeit bieten – und den Unternehmen höhere Margen.

Reine Marktplätze rund um das Baugewerbe stoßen dagegen an ihre Grenzen. Zwar wächst die Nachfrage auf Seiten der Endkunden: Alleine bei Marktführer Myhammer wurden im vergangenen Jahr 1,1 Millionen Aufträge ausgeschrieben. Wie viele Verträge dann tatsächlich zustande kommen, verrät das Unternehmen aber nicht. Konkurrent Blauarbeit.de verweist darauf, dass die Vermittlung von Aufträgen, die Allrounder erledigen können, am zuverlässigsten gelingt. „Bei uns sind auch viele Spezialisten etwa für Heizung und Sanitär aktiv, regionale Engpässe spüren wir natürlich“, sagt Alexander Oberst, Chef von Portal United. Das Kölner Unternehmen betreibt Blauarbeit.de seit 2005.

Einen besonders schweren Stand im Maklergeschäft haben Neulinge. So wollte das vor fünf Jahren gegründete Start-up Homebell die Branche aufmischen, indem es selbst als Auftragnehmer auftrat: Wer beispielsweise ein Badezimmer fliesen oder ein Wohnzimmer neu tapezieren lassen wollte, bekam vom Start-up ein Festpreisangebot. Ausgeführt haben die Aufträge dann aber Partnerbetriebe. Den Durchbruch schafften die Gründer trotz millionenschwerer Finanzierungsrunden und dem späteren Schwenk auf Firmenkunden nicht. Nach der Insolvenz im vergangenen Jahr übernahm Portal United die Reste des Start-ups – verzichtete aber darauf, die Marke wiederzubeleben.

Homebell sei zu schnell ins Ausland gegangen und habe zu schnell zu viele neue Mitarbeiter eingestellt, sagte Mitgründer Sascha Weiler im Sommer 2019. Branchenkenner vermuten indes, dass das Unternehmen vor allem daran gescheitert ist, Handwerksbetriebe in das Korsett des Portals zu pressen. „Wenn man der Meinung ist, dass der Handwerker sich eine App installiert und dann darüber seine Jobs findet, scheitert man in dem Markt“, sagt Installion-Gründer Pirnay.

Die Grenzen des Vermittlungs-Modells hat auch der 2013 gestartete Heizungs-Spezialist Thermondo schnell erkannt. „Unsere Vision war es, das Immobilienscout unserer Branche zu werden“, sagt Gründer und Geschäftsführer Philipp Pausder. Doch die Handwerksbetriebe räumten dem Start-up keine hohe Priorität ein. Selbst akquirierte Kunden seien von den Installateuren stets bevorzugt worden, Beratungstermine bei Thermondo-Kunden immer wieder ausgefallen. Mit den digitalen Prozessen, für die sich das Start-up rühmt, konnten die Installateure wenig anfangen, berichtet der Gründer. „Uns war schon nach wenigen Monaten klar, dass wir selbst zum Handwerksbetrieb werden müssen.“ Aktuell beschäftigt das Start-up mehr als 260 Handwerker in ganz Deutschland – und will weiter wachsen: „Aktuell stellen wir monatlich etwa 20 neue Mitarbeiter ein.“

Investoren denken um

Der Schritt, Handwerker selbst auf die Gehaltsliste zu nehmen, steht der Start-up-Logik erst einmal entgegen. Typischerweise wollen die jungen Unternehmen möglichst schlank bleiben – und etablierte Anbieter vor allem technologisch angreifen. Denn mit Software lassen sich Skaleneffekte schneller erreichen: Neue Kunden verursachen kaum Kosten, verbessern aber die Profitabilität. Mit jedem operativ tätigen Mitarbeiter wachsen dagegen die Betriebskosten – und die Verpflichtungen, die Start-ups als Arbeitgeber erfüllen müssen. Investoren hat das lange vor allzu personalintensiven Geschäftsmodellen zurückschrecken lassen.

Doch der Wind hat sich gedreht. Enpal etwa hat sich zuletzt im November ein Millionen-Investment gesichert – neben den Zalando-Gründern kam auch Hollywoodstar Leonardo di Caprio an Bord. Installion steht gerade kurz vor dem Abschluss einer millionenschweren Finanzierungsrunde. Und bei Thermondo hat kürzlich der kanadische Infrastrukturfonds Brookfield die Mehrheit übernommen. Zuvor hatte das Berliner Start-up unter anderem von Eon, HV Capital, Vorwerk Ventures und Rocket Internet Geld bekommen.

Werben um frustrierte Angestellte

Die große Herausforderung für Start-ups wie Thermondo oder Installion: Sie müssen plötzlich starke Arbeitgebermarken in einer Welt aufbauen, die weit weg scheint vom Digital-Geschäft. Pausder sieht darin auch Chancen: „Es gibt viele junge Handwerker, die keine Lust auf administrative Tätigkeiten haben und softwaregestützt arbeiten wollen.“ Installateure schickt Thermondo immer in Zweier-Teams los. Zur Standardausrüstung gehören Tablets, über die die Vor-Ort-Einsätze gesteuert und dokumentiert werden.

Die Start-ups werben mit höheren Freiheitsgraden als bei hierarchisch organisierten Kleinbetrieben. „Wir konnten schon viele Leute für uns gewinnen, die unter cholerischen Chefs gelitten haben“, sagt Installion-Mitgründer Florian Meyer-Delpho. Auf sich aufmerksam machen die Kölner unter anderem bei Instagram. Personal beziehe man außer aus Deutschland auch aus Osteuropa. Offen ist Installion zudem für Quereinsteiger – etwa aus dem durch die Corona-Krise stark gebeutelten Messebau. Ähnlich geht Enpal vor.

Hilfe bei Online-Verzeichnissen

Thermondo betreibt bereits seit zwei Jahren eine unternehmenseigene Akademie, die stark auf E-Learning setzt. So sollen Installateure beispielsweise für Führungsaufgaben fit gemacht werden und ihr Fachwissen vertiefen. Das Start-up bildet zudem seit mehreren Jahren selbst aus. Die Heizungswelt werde immer komplexer, sagt Pausder. Zu etablierten Systemen kommen solarthermische Anlagen und Wärmepumpen. „Spezialisten für diese Technologien findet man auf dem Markt kaum.“

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Um all das brauchen sich klassische Vermittlungsportale nicht zu kümmern – und spüren doch den Engpass. Die Blauarbeit.de-Mutter Portal United versucht nun, die Handwerksbetriebe stärker an sich zu binden. Anders als Myhammer lebt Blauarbeit.de nicht von Provisionen, sondern von monatlichen Gebühren. „Wir wollen unseren Kundeninnen und Kunden helfen, die Digitalisierung insgesamt voranzutreiben“, sagt Firmenchef Oberst. Künftig werde man den Betrieben etwa bei der Erstellung professioneller Internetseiten unter die Arme greifen. Bereits angeboten wird ein Service, der die Unternehmen in Online-Verzeichnisse vom Telefonbuch bis zu Google Maps einträgt.

Zudem gibt es Planspiele, Handwerker auch selbst anzuheuern. Denn Portal United will mit Hilfe der Homebell-Technologie Marken für einzelne Gewerke entwickeln, die gegenüber dem Kunden als Komplettanbieter auftreten. So könnten neue Online-Dachdecker, Badsanierer oder auch Gärtnereien entstehen. „Wir müssen ausprobieren, ob das alleine mit Partnerbetrieben funktioniert“, sagt Oberst. Er sei aber davon überzeugt, dass auch das Maklergeschäft im Handwerk eine Zukunft hat. „Für etablierte Betriebe ist das vor allem attraktiv, um Auftragslücken zu füllen“, sagt Oberst. Für Newcomer wiederum biete sich die Chance, überhaupt erste Kunden und Referenzen einzusammeln.

Mehr zum Thema: Selten ging es dem Handwerk so gut wie heute. Trotzdem sinkt die Zahl derer, die ein neues Unternehmen aufbauen. Dahinter steckt eine Entwicklung, welche die Handwerkerwelt ganz grundlegend verändern dürfte.

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