Smart Meter als Standard „Für Endverbraucher höhere Gebühren, aber kein Mehrwert“ 

Ein digitaler Stromzähler. Quelle: imago images

Nach dem Willen der Regierung sollen intelligente Stromzähler Standard werden, viele Start-ups stehen dafür schon parat. Noch aber bremsen die Innovationsskepsis der Energieversorger und Mängel in der Regulierung den Ausbau.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

„Zählerfreunde“ haben Tobias Keussen und seine vier Mitstreiter ihr Start-up getauft. Der Name ist Programm: Die Gründer wollen Menschen von Smart Metern begeistern – wohlwissend, dass die digital vernetzten Stromzähler keinen allzu guten Ruf haben. „Die Technik hat für den Endverbraucher bisher höhere Gebühren, aber keinen Mehrwert bedeutet“, sagt Keussen. Zählerfreunde will das ändern – mit einer Software, die Nutzern zu Kosteneinsparungen verhelfen soll. In einem ersten Schritt bereitet das Start-up die Messdaten der Smart Meter in einer App zu übersichtlichen Grafiken auf und gibt passend zum Stromverbrauch Energiespartipps.

Doch dabei soll es nicht bleiben: „Unser Ziel ist es zur zentralen Energiemanagement-Plattform im Haushalt zu werden“, so der Gründer. Schon jetzt bietet das Start-up einen Tarifwechsel-Service an. Passend zum tatsächlichen Verbrauch ermittelt Zählerfreunde den günstigsten Ökostromtarif und erledigt den Papierkram für den Wechsel. Von den Einsparungen zwackt das Start-up 20 Prozent als Gebühr ab – davon wird die Hälfte für gemeinnützige Projekte gespendet, die andere Hälfte dient zur Finanzierung der ansonsten kostenlosen App. 

Die Zielgruppe ist noch überschaubar. Laut der Bundesnetzagentur waren bis Ende 2021 gerade einmal 130.400 Smart Meter in Deutschland installiert, bei gut 52 Millionen Stromzählern insgesamt. Das aber dürfte sich bald ändern. Denn die Ampel-Koalition hat sich vorgenommen, die neuen Zähler zum Standard zu machen. So soll die Umrüstung auf intelligente Stromzähler bei Abnehmern, die mehr als 6.000 Kilowattstunden Strom pro Jahr verbrauchen, bis Ende 2030 verpflichtend werden. Wer weniger verbraucht, kann sich freiwillig für die neuen Zähler entscheiden. Anders als bisher darf dafür nur noch maximal 20 Euro im Jahr in Rechnung gestellt werden, kaum mehr als die Nutzungsgebühr für analoge Zähler. „Es wird mehr und mehr freiwillige Einbauten geben“, sagt Keussen. 

Metr hilft mit smarter Technologie beim Sparen im Heizungskeller. Würde Wagniskapitalgeber Herbert Mangesius investieren?
von Michael Kroker

Neuer Zugang in den Haushalt

Die Wette auf eine schnellere Verbreitung von Smart Metern eint Zählerfreunde mit vielen anderen Start-ups. „Die wachsende digitale Infrastruktur wird die Gründeraktivität auf dem Energiemarkt sicherlich fördern“, sagt Philipp Richard, der bei der Deutschen Energie-Agentur (dena) den Bereich Digitale Technologien und Start-up-Ökosystem leitet. 
Plattformen zur Datenauswertung, wie Zählerfreunde sie baut, sind laut Richard nur ein mögliches neues Geschäftsmodell. „Großes Potenzial sehen wir vor allem bei dynamischen Stromtarifen.“ Denn die exakten Messdaten der Smart Meter erlauben es, die Stromverträge stärker am ständig schwankenden Handelspreis auszurichten. Das soll auch die Energiewende voranbringen: Verbraucher haben dann einen Anreiz, Strom zu sparen, wenn Windräder und Fotovoltaikanlagen gerade wenig einspeisen.

Während etablierte Stromanbieter mit flexiblen Tarifen noch hadern, bieten schon jetzt eine Reihe von jungen Unternehmen sie an – darunter etwa das norwegische Start-up Tibber, das seit dem Mai 2020 auch in Deutschland aktiv ist. Mitmischen will auch das 2021 von Matthias Martensen und Karl Villanueva gegründete Unternehmen Ostrom. Das Berliner Start-up wirbt damit, dass es seine Einkaufspreise an die Kunden weitergibt. Statt an Aufschlägen pro Verbrauchseinheit verdient Ostrom an einer monatlichen Gebühr. „Anders als klassische Versorger profitieren wir nicht davon, wenn unsere Kunden viel Strom verbrauchen“, sagt Martensen. Gestartet ist Ostrom mit einem variablen Tarif, in dem der Kilowattstunden-Preis monatlich angepasst werden kann. Für Smart-Meter-Nutzer will das Start-up Ende März einen dynamischen Tarif mit stündlichen Preisänderungen anbieten. „Auf Dauer wird der Smart-Meter-Tarif bei uns zum Standard werden“, sagt der Gründer. 

Nach Einschätzung der dena ist der Zeitpunkt für solche Angebote günstig: „Angesichts der stark gestiegenen Energiepreise infolge des Kriegs in der Ukraine sind Verbraucher nun offener für neue Lösungen“, beobachtet Richard. Selbiges gelte für Investoren, die in der Vergangenheit oft einen Bogen um den komplexen Energiesektor gemacht hätten. Ostrom etwa hat im vergangenen Jahr in zwei Runden zusammen fast 14 Millionen Euro eingesammelt – was angesichts der aktuellen Großwetterlage bei Start-up-Finanzierungen durchaus bemerkenswert ist.

Gründern geht es nicht schnell genug

Doch trotz des Rückenwinds aus dem Markt fühlen sich die Start-ups unnötig ausgebremst. Sie kritisieren, dass auch die neuen Smart-Meter-Pläne der Regierung noch zu ambitionslos seien: „Die Grenze für den verpflichtenden Ausbau ist mit 6.000 Kilowattstunden sehr hoch gesetzt“, sagt Keussen von Zählerfreunde. Für die meisten Haushalte blieben Smart-Meter freiwillig. Auch Ostrom-Mitgründer Martensen blickt oft neidisch ins europäische Ausland: Unter anderem in Skandinavien, Italien und Österreich seien die Geräte längst Standard. 



Martensen zweifelt zudem am Innovationswillen der lokalen Netzbetreiber wie den Stadtwerken, die in der Regel auch für die Stromzähler zuständig sind. „Bis Kundenanträge auf einen freiwilligen Smart-Meter-Einbau umgesetzt werden, kann viel Zeit vergehen“, so der Gründer. Ostrom will die Zähler deswegen künftig auch selbst bei Kunden einbauen. Auch Zählerfreunde bietet Nutzern, die noch auf ein Smart Meter warten, eine Alternative: Das Start-up verschickt auf Wunsch einen WLAN-fähigen Ausleseknopf, mit dem sich digitale, aber nicht vernetzte Stromzähler nachrüsten lassen. 

Das Hantieren mit Hardware ist den Software-Start-ups zwar ein Dorn im Auge. Immerhin lösen sie damit aber auch ein weiteres Problem: Aktuell ist es gar nicht so leicht, an die Smart-Meter-Daten heranzukommen. Einheitliche Prozesse für die Datenweitergabe von den Messstellenbetreibern an Energieservice-Anbieter fehlten bislang, sagt Keussen. „Theoretisch müssten wir uns mit über 900 Grundversorgern über die Form der Datenbereitstellung einigen“. Zählerfreunde konzentriere sich nun auf direkte Kooperationen mit den großen Messtellenbetreibern, um passende Schnittstellen zu entwickeln. 

Kritische Stimmen in der Branche gibt es auch zur Verlässlichkeit der Datenübertragungen. „Es passiert immer wieder, dass die Kommunikation abbricht und Messwerte ganz fehlen, weil diese auf den Geräten selbst nicht gespeichert werden“, sagt Frederik Pfisterer, Gründer von Solarize. Das Stuttgarter Start-up bietet eine Abrechnungssoftware für Mieterstrom-Projekte an. Davon ist immer dann die Rede, wenn Immobilienbesitzer ihre Mieter mit selbst erzeugtem Strom versorgen. In der Praxis passiert das noch selten – unter anderem weil in den Häusern für die saubere Abrechnung neue Zähler eingebaut werden müssen.

Sind künftig überall Smart Meter installiert, fiele zumindest diese Hürde weg. Von Freudensprüngen über das politische Bemühen ist Pfisterer aber weit entfernt. „Die Technik ist unnötig stark reguliert und veraltet“, wettert der Solarize-Gründer. Er hätte sich gewünscht, dass stattdessen sogenannte Lastgangzähler zum Standard werden. Diese Zählertechnik kommt bei Großabnehmern zum Einsatz. Die Geräte übermitteln ebenfalls den Stromverbrauch, speichern die Daten zusätzlich aber auch lokal. Pfisterer fürchtet zudem, dass der Smart-Meter-Ausbau nur langsam vorangeht: „Im Moment mangelt es sowohl an Geräten als auch an Elektrikern, die sie installieren.“

Chaostage in Lehrte Die seltsame Pleite der Helma Eigenheimbau AG

Nach dem Insolvenzantrag der börsennotierten Helma Eigenheimbau AG kippen nun wichtige Tochterunternehmen in die Insolvenz – und das Pleite-Manöver des Aufsichtsrats wirft neue Fragen auf.

Galeria Kann der „Rudi Carrell von Galeria“ das Warenhaus retten?

Olivier Van den Bossche soll die letzte große deutsche Warenhauskette Galeria retten. Bei den Mitarbeitern reift jedoch der Eindruck: Außer guter Laune kommt da nicht viel.

Bundesrechnungshof-Kritik „Was sollte die Alternative zum Ausbau der Erneuerbaren sein?“

Der Bundesrechnungshof hält wegen der stockenden Energiewende die Versorgungssicherheit für gefährdet. Nun meldet sich einer der führenden Energiemarktexperten zu Wort – und stellt das Vorgehen des Prüfgremiums infrage.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Steiniger Weg in die Praxis

Die Erfahrungen der Start-ups zeigen: Der Weg zu praxistauglichen Geschäftsmodellen bleibt steinig. „Bei der Gründung haben wir uns alles sehr viel leichter vorgestellt“, räumt Zählerfreunde-Chef Keussen ein. Die Komplexität des Energiemarktes sei aber auch ein Vorteil: Nachahmer hätten es nicht so leicht – und das Know-how der Gründer sei auch bei Energieversorgern und Messstellenbetreibern gefragt. Die können die Software des Start-ups einkaufen und ihren Kunden unter eigenem Namen anbieten. Kooperationen strebt Zählerfreunde zudem mit Hardware-Herstellern an. So entsteht gerade eine Simulationssoftware für Balkonkraftwerke: Schon vor dem Kauf der Mini-Fotovoltaikanlage sollen Kunden so abschätzen können, wieviel Netzstrom sie bei ihrem Verbrauchsprofil einsparen würden. 

Sowohl Zählerfreunde als auch Ostrom suchen zudem die Nähe zu Herstellern von Wärmepumpen und Wallboxes für E-Autos – Geräte, bei denen es kaum eine Rolle spielt, ob diese eine Stunde früher oder später laufen. Die Idee: In einer Welt mit flexiblen Stromtarifen lohnt es sich, beispielsweise das Elektroauto statt nach Feierabend erst in der Nacht zu laden. Denn dann sind die tatsächlichen Strompreise wesentlich geringer. Anwendungsfälle wie diese werden auch die letzten Smart-Meter-Skeptiker überzeugen, glaubt Keussen: „Wenn man mit Smart Metern automatisch Geld spart und die Umwelt schont, macht die Technik doch richtig Spaß.“

Lesen Sie auch: Viel Wind, zu wenig Strom – Das Strom-Paradoxon

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%