Star-Investor Thelen "Frank, du bist nicht Steve Jobs"

Frank Thelen Quelle: Nils Bröer für WirtschaftsWoche

Frank Thelen ist aufgestiegen vom Technerd zum Start-up-Botschafter der Nation. Manchmal ist er mehr Selbstdarsteller als Unternehmer. Aber seiner Mission schadet das ganz und gar nicht. Ein Tag im Leben des Investors.

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Frank Thelen kommt gerade von der Bühne, da hat sich schon eine Schlange gebildet. Er muss noch sein Mikrofon abgeben und sich entkabeln lassen, dann schüttelt er die ersten Hände. Nach und nach treten die Besucher der Konferenz vor. Im 30-Sekunden-Takt nimmt Thelen Visitenkarten entgegen. Er duzt, lacht und nickt. In zehn Minuten hört er sich ein Dutzend Geschäftsideen an, lächelt für zwei Selfies, schreibt zwei Autogramme und dreht ein Handyvideo. Jeder, der mit ihm spricht, strahlt danach. Thelen hat dieses Kennenlernen beim Händeschütteln perfektioniert, nach einer halben Minute fühlt sich jeder wie sein Freund.

Thelen ist Gast eines Energiekongresses. Für das Thema ist er wirklich kein Experte, doch daran stört sich niemand. Schließlich ist das Frank Thelen. Er ist einer der wenigen in Deutschland, der mit seinen Investments in Start-ups erfolgreich ist – und der mit seinen wöchentlichen Auftritten als Juror bei der Gründer-Fernsehsendung „Die Höhle der Löwen“ Glamour verströmt. Damit ist Thelen der Mann, der einer deutschen Version von Apple-Gründer Steve Jobs oder Tesla-Erfinder Elon Musk noch am nächsten kommt.

Und solche Leute braucht das Land. Innovationen überziehen die Welt wie Feuerwerke den Himmel an Silvester. Doch keines dieser Feuerwerke wurde in Deutschland gezündet, das Smartphone nicht, Facebook nicht und auch nicht das Elektroauto der Zukunft. „Was mich wirklich ärgert, ist, dass wir alle technologischen Trends der vergangenen Jahrzehnte verpasst haben“, sagt Thelen. Das zu ändern ist seine Mission: Das nächste Amazon, der nächste Tesla sollen aus Deutschland kommen.

Damit hat sich Frank Thelen zum Start-up-Botschafter der Nation befördert. Der 42-Jährige tourt durch die Republik, trifft Politiker, Dax-Vorstandschefs und postet nebenbei Motivationssprüche auf Instagram: Thelen will Entscheider wie Bürger aufrütteln und für die Gründerszene werben. Doch für einen Botschafter unternimmt Thelen verdammt viel, was den Regeln und Routinen der Start-up-Szene widerspricht. Das fängt schon damit an, dass er in Bonn zu Hause ist, nicht in Berlin. Und das hört damit auf, dass er seiner Arbeit keinen Fokus geben will. Seine Investmentfirma Freigeist investiert genauso in fernsehtaugliche Konsumprodukte wie Lizza, eine Pizza ohne Kohlenhydrate, wie in technologisch hoch komplizierte Projekte wie Lilium, einen senkrecht startenden Jet.

Thelen ist ein erfolgreicher Investor, aber vielleicht ein noch besserer Selbstdarsteller. Mit jedem Treffen, jedem Investment verkauft er auch sich selbst: als Markenprodukt. Schadet das womöglich seiner Mission?

Anfang 20 und eine Million Schulden

In der Schlange hat sich ein 18-Jähriger, förmlich gekleidet mit weißem Hemd und Anzugjacke, nach vorne gearbeitet. „Hallo Frank, ich wollte fragen, was ich tun muss, um so zu werden wie du. Ich ...“, setzt er an. „Hast du schon ein paar Zeilen Code geschrieben?“, unterbricht Thelen ihn. „Nein“, sagt der 18-Jährige. „Das ist schlecht“, urteilt Thelen.

Mit dem Programmieren fing alles an, Thelen erzählt das gern, seine Biografie ist eine Story – und die Story ist gut: Thelen muss wegen schlechter Noten das Gymnasium verlassen, seine Eltern schicken ihn in Bonn auf eine Realschule, wo seine Talente besser zur Geltung kommen sollen. Dort lernt er programmieren, schlägt sich Abende und Nächte mit Codes um die Ohren. Mit 18 gründet er sein erstes Unternehmen, mit 22 sammelt er eine Million D-Mark Wagniskapital ein – für eine Art Router, der Faxgeräte mit dem Internet verbindet. Thelen und sein Team leihen sich eine weitere Million von der Sparkasse, drängen an die Börse. Doch über der techverliebten Bastelei vergessen sie das Marketing, vergessen, dass sich seine Box auch verkaufen muss. Das Ergebnis: Mit Anfang 20 sitzt Frank Thelen auf fast einer Million Schulden. Während Freunde sich über ihre ersten Jobs freuen, das Studium genießen, um die Welt reisen, sorgt sich Thelen um Geld. Und um seine Nase, die des Stresses wegen ständig blutet.

Aber Thelen macht weiter, programmiert, bastelt an einer Fotosoftware: „Wir haben das digitale Fotobuch erfunden“, sagt er heute. Das Unternehmen wächst schnell, Thelen verhandelt mit Hewlett-Packard und Cewe Color, verkauft schließlich für einen Millionenbetrag an den japanischen Fotokonzern Fujifilm, da ist er gerade mal 32 Jahre alt. Doch es bleibt bis heute das einzige Unternehmen, das er selbst geführt und erfolgreich verkauft hat.

"Das war zu kompliziert, und wir waren zu früh"

Sein nächstes Unternehmen, Doo, scheitert. Thelen will etwas Großes aufbauen, etwas, das neben Skype oder Spotify bestehen kann. Skype hat die Telefonie ins digitale Zeitalter katapultiert, Spotify die Musikindustrie. Doo sollte das Büro digitalisieren. „Aber das war zu kompliziert, und wir waren zu früh“, sagt Thelen. Die App verkauft sich zwar, aber keiner setzt Doos smarte Dokumente ein. „Das war ein harter ‚Frank, you are not Steve Jobs‘-Moment“, sagt er selbst.

Doo hätte Thelen beinahe um seinen Job als TV-Juror gebracht. Das Scheitern von Doo wird ausgerechnet an dem Tag öffentlich, als Vox die erste Staffel von „Die Höhle der Löwen“ ankündigt: „Da haben jede Menge Leute angerufen und gesagt, der Thelen kann es nicht, nehmt den aus der Sendung raus.“ Der Fernsehsender hält zu ihm: Der Deal mit Fujifilm hat ihn über Nacht zum Millionär gemacht – und ihm Zugang zur Gründerszene verschafft. Thelen hat in 6Wunderkinder, Kaufda oder MyTaxi investiert. Er ist längst ein schwerreicher Mann. Reich geworden mit den Geschäftsideen von anderen. Die Rolle des Löwen kann er.

Das wahre Imperium

Auf dem Kongress entzieht sich Thelen langsam der Masse. Diese Termine sind wichtig. Er kann seine Botschaft verbreiten, seine Prominenz pflegen und dabei viel Geld verdienen: Für einen 30- bis 45-minütigen Auftritt berechnet er etwa 20.000 Euro. Wer ihn als Werbefigur engagiert, muss 300.000 Euro aufbringen, erzählt er freimütig.

Zehn Fakten aus dem Deutschen Start-up-Monitor 2017

Vor dem Konferenzhotel wartet eine schwarze Limousine. Wenn er schon in Berlin ist, will er auch bei seinen Start-ups vorbeischauen, sagt Thelen. Vor allem bei seinem neuesten Investment, Neufund.

Neufund ist eine dieser großen Ideen, auf die Thelen besonders stolz ist: eine Firma mit Tesla-Appeal. Die Gründer wollen eine Art Börse für Start-up-Anteile schaffen. Die Plattform beruht auf der Blockchain, bezahlt wird mit Kryptowährungen. „Das hat eine brutal große Zukunft“, schwärmt Thelen. Auch mit seinen 42 Jahren wirkt er manchmal wie ein Zwölfjähriger, dem gerade ein Skateboard-Trick geglückt ist.

Thelen nimmt Platz auf einem grauen, verschlissenen Sofa, trinkt Kaffee und knabbert an einem Keks, während Gründer Marcin Rudolf vom Geschäft berichtet: „Seit Frank an Bord ist, laufen hier ständig Leute durch.“ Die Aufmerksamkeit ist wertvoll. Das Start-up muss sich das Vertrauen der Szene erarbeiten. „Wir müssen Neufund als solide Plattform positionieren und klarmachen, dass das nicht das nächste Hype-Ding ist“, sagt Thelen. Das ist Teil seiner Botschaft. „Wer große Summen Venture Capital braucht, muss sich in den USA oder in China umsehen. Das ist doch Mist.“ Mit Neufund könnten Menschen künftig Anteile an Start-ups kaufen wie heute Aktien.

Zurück im Auto, ruft Thelen seine Assistentin an. Er hat die Visitenkarten seiner Gesprächspartner auf dem Kongress heute Morgen bei Neufund liegen lassen: „Sag denen, sie sollen die wegschmeißen.“ „Nicht, dass die sich die Mühe machen, die zu uns ins Büro zu schicken.“ Die interessanten Visitenkarten fotografiert er sofort ab und leitet sie an sein Team von Freigeist weiter.

Schnelles SelfieDas Team der Spielzeugkiste hält den Besuch fest. Quelle: Nils Bröer für WirtschaftsWoche

Freigeist ist Thelens eigentliches Machtzentrum. Freigeist, das sind neben Thelen vor allem Marc Sieberger, Experte für Finanzen, und Alex Koch, Technologie. Die drei arbeiten seit den Tagen der Fotosoftware zusammen. Über Deals entscheiden sie gemeinsam, nur bei „Die Höhle des Löwen“ trägt Thelen allein die Verantwortung. Er ist die Spürnase unter den dreien. Der Verkäufer. Der Kommunikator.

Freigeist hat kein festes Konzept, konzentriert sich auf keine Unternehmensgröße oder Branche. „Wir investieren in Gründer, nicht in Geschäftsmodelle“, sagt Thelen. Jeder frage ihn: Frank, was ist denn eigentlich dein Fokus? Ihm egal. „Weil ich das, was ich mache, mit Passion mache, funktioniert es.“ Seine Investitionen haben sich rentiert: Wunderlist wurde gewinnbringend an Microsoft verkauft, MyTaxi an Daimler, Kaufda an Axel Springer. Damit haben jedoch alle Deals eine Gemeinsamkeit: Die Start-ups verschwanden in großen Konzernen.

"Ich war immer schlecht darin, strategische Masterpläne zu schmieden"

An einen Börsengang hat sich Thelen nie gewagt. Aber wäre das nicht der bessere Weg, um ein deutsches Google zu schaffen? Hätte MyTaxi nicht ein europäisches Uber werden können? Frank Thelen zuckt mit den Schultern: „So groß haben wir damals nicht gedacht.“ Und ein Börsengang, sagt er, erzeuge erst mal Kosten und „viel Distraction“. Elon Musk wolle tolle Autos bauen, „stattdessen muss er sich mit skeptischen Aktionären herumärgern“. Vielleicht hat Thelen aber auch nur Angst. Das letzte Mal, als er von einem Börsengang träumte, war er Anfang 20 – und später hoch verschuldet.

„Ich war immer schlecht darin, strategische Masterpläne zu schmieden“, sagt Thelen. Elon Musk habe so einen Plan. Oder Jeff Bezos, der Amazon-Gründer. Beide wüssten genau, wo sie landen und wie sie das erreichen wollten. „Ich hatte das bisher nicht, habe rein aus Passion gehandelt“, sagt er. Es klingt, als wüsste er selbst nicht, ob er das bedauert oder darauf stolz ist: Thelen ergreift Chancen, wenn sie sich bieten. So wie in „Die Höhle der Löwen“.

Um zum Büro von Spielzeugkiste zu kommen, muss sich Thelen durch das Treppenhaus schieben, vorbei an gestapelten Paketen und Pappe. Der Spielzeugverleih ist eines seiner ersten Investments aus der Fernsehshow. Jeder verfügbare Meter wird hier als Lager genutzt, der Flur ist mit Regalen zugestellt, selbst auf dem Hof stehen Pakete. Bald will das Team umziehen.

Botschafter und Seelsorger

„Hast du mitbekommen?“, fragt Gründer Florian Spathelf. „Tchibo verleiht jetzt Kinderkleidung. Und Otto Waschmaschinen. Die Großen setzen auf Sharing-Konzepte.“ Bald schon, fürchtet er, könnten Amazon oder Toys‘R‘Us nachziehen und Spielzeug verleihen. Die Konkurrenz macht ihm Sorgen; auch stand die Spielzeugkiste schon mal kurz vor der Pleite, das Team musste neue Geldgeber finden. Frank Thelen winkt ab. Tchibo steigt ins Sharing-Geschäft ein? Kein Problem, im Gegenteil: „Das erzeugt erst mal Aufmerksamkeit, dann habt ihr Mitnahmeeffekte. Das haben wir damals bei unserer Fotosoftware erlebt.“

Mehr Zeit bleibt nicht. Thelen muss weiter. „Stopp, Frank, bevor du gehst, wir würden gerne noch ein Team-Selfie machen“, ruft Spathelf. Die meisten Gespräche laufen über Skype. „Ich hab ihn hier in zwei Jahren vielleicht zweimal gesehen“, sagt ein Mitarbeiter der Spielzeugkiste. „Frank hat zu viel auf der Kelle“, sagt ein anderer Gründer. „Dann ist er mit dem Kopf nicht ganz da, hört nicht richtig zu, fährt einem über den Mund, obwohl er den Gedanken gar nicht verstanden hat.“ Die meisten Gründer haben gelernt, damit zu leben. Sie profitieren vielleicht mehr von seinem Geld und seiner Prominenz als von seinen Ratschlägen.

Zurück im Auto, atmet Thelen kurz durch, checkt seine E-Mails. Mehr als 300 sind es, jeden Tag. Er bedauert, dass er sich nicht immer um jedes Start-up ausführlich kümmern kann. „Das ist Mist. Dann will dich ein Team sprechen, weil die gerade kurz vor der Insolvenz stecken, aber du arbeitest gerade an einer großen und wichtigen Finanzierungsrunde mit einem anderen Team.“

Thelen springt aus dem Auto, er will schnell zum Flieger, zurück nach Bonn, greift nach seinem Koffer, seinem Rucksack, aber der Chauffeur will ihm noch eine kleine Tüte mit Pralinen reichen, eine Aufmerksamkeit der Kongressveranstalter heute Morgen. „Will jemand Pralinen?“, fragt Thelen. Der Fahrer meldet sich: „Die kann ich meinen Gästen anbieten.“ Thelen strahlt: „Das ist richtiges Unternehmertum.“ Für heute ist seine Mission erfüllt.

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