Start-up-Szene „Keine Bürokraten am Ruder“

EU-Innovationschef Jean-Eric Paquet. Quelle: Presse

Jean-Eric Paquet, Europas Mann für Innovation, erklärt im Interview, wie er die Bedingungen für Gründer in Europa verbessern und so dafür sorgen will, dass sie nicht ins Silicon Valley abwandern.

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Jean-Eric Paquet ist seit April 2018 Generaldirektor für Forschung und Innovation der Europäischen Kommission. Damit ist er auch für das Horizon-Europe-Programm verantwortlich, mit dem die EU in den nächsten sieben Jahren 100 Milliarden Euro in Innovation investieren und ganz gezielt Start-ups fördern will, damit diese nicht in die USA oder nach China abwandern. Der Franzose, studierter Germanist und Politologe, arbeitet seit 1993 für die EU-Kommission.

WirtschaftsWoche: Monsieur Paquet, Sie haben gerade als Europas oberster Mann für Innovation das Silicon Valley bereist. Welche Botschaft hatten Sie dabei?
Jean-Eric Paquet: Dass wir in Europa mit unserer Green-Deal-Strategie, also der umweltverträglichen Wirtschaft, einen für die Welt immer wichtigeren Markt bei den entsprechenden Technologien besetzen wollen und dabei globale Standards definieren. Und ich habe auch betont, dass wir in Europa bereits jetzt mehr Start-ups hervorbringen als die USA.

Haben Sie da nicht etwas großzügig zugunsten Europas gerundet?
Die Daten belegen das durchaus. Über die vergangenen zehn Jahre haben viele Mitgliedstaaten der EU und einzelne Regionen Inkubatoren, Hubs und Wissenschaftsparks geschaffen, die viele Jungunternehmen hervorbringen. Die wiederum davon zehren, dass wir sehr gute Schulen und Universitäten haben.

Aber liegt nicht da das eigentliche Problem: dass es zwar für den Anschub von Start-ups in Europa inzwischen mehr Wagniskapital gibt, aber eben nicht für Folgerunden? Die wirklich großen Unternehmen entstehen dann anderswo.
Beim Skalieren der Unternehmen, worin das Silicon Valley so gut ist, haben wir tatsächlich Nachholbedarf. Das liegt auch daran, dass es in Europa weniger Risikokapital gibt. Aber auch viele Wagnisfinanzierer aus dem Silicon Valley investieren zunehmend in Europa. Und die EU will ihren Teil dazu beitragen, dass Jungunternehmen in Europa entstehen und auch groß werden. Und eben nicht in die USA wechseln oder aber an chinesische Investoren verkauft werden.

Wie soll diese Unterstützung aussehen?
Der European Innovation Council (EIC) richtet dazu einen 10,5-Milliarden-Euro-Fonds ein, zu dem auch 3,5 Milliarden Dollar Wagniskapital gehören. Davon können dann Unternehmen mit bis zu 17,5 Millionen Euro finanziert werden – gegen Anteile. Zudem wollen wir mit Zuschüssen die Forschungs- und Entwicklungsphase von Start-ups und Kleinunternehmen stützen. Und zwar so, dass Risiken herausgenommen werden, um weitere Investitionen zu erleichtern. Wir wollen ganz bewusst andere Geldgeber als Mitinvestoren gewinnen. Das können auch Institutionen von Mitgliedstaaten sein. Wir führen etwa Gespräche mit der Kreditanstalt für Wiederaufbau, allerdings stehen die noch am Anfang.

In der Vergangenheit scheiterten viele Finanzierungen, weil sich kein privater Investor fand, dessen Beteiligung allerdings staatliche Förderer wie etwa die Kreditanstalt für Wiederaufbau zur Bedingung machen.
Wir verlangen das nicht. Aber unser Ziel ist schon, dass der Fonds auch private Wagniskapitalgeber anzieht, die mitinvestieren und beim Wachstum der Unternehmen helfen. Das Gewinnen privater Investoren wird in der Startphase sicherlich eine Herausforderung sein. Aber je bessere Start-ups wir anziehen, umso einfacher wird das werden.

Gibt es bestimmte Bereiche, die Sie besonders fördern wollen?
Der Fokus liegt auf sogenannten Deep-Tech-Unternehmen, also Start-ups etwa, die sich mit Biotechnologie, Medizintechnik, Fertigungsmethoden, Hardware und Künstlicher Intelligenz beschäftigen. Wir wollen es nicht zu eng definieren. Aber dort ansetzen, wo die Eintrittshürden höher liegen und Forschung und Entwicklung voraussetzen.

Wie sieht Ihr Zeitplan aus?
Der EIC-Fonds ist in der Pilotphase, bislang sind dafür 1,5 Milliarden Euro bereitgestellt. Im nächsten Jahr wollen wir richtig loslegen, haben bereits 200 Leute in Brüssel. Wir hatten Ende vergangenen Jahres bereits eine erste Investitionsrunde in Höhe von 278 Millionen Euro. Beworben haben sich Start-ups mit Finanzierungswünschen von insgesamt 5,3 Milliarden Euro. Weit mehr, als wir erwartet hatten.

Wie viele Unternehmen waren das?
Es waren Hunderte, allein 142 aus Deutschland. Die meisten davon Unternehmen, die zwischen fünf und 20 Mitarbeiter beschäftigen. Momentan läuft eine weitere Finanzierungsrunde. Das Interesse ist noch größer. Viele, die in der ersten Runde nicht ausgewählt wurden, haben sich erneut beworben.

Welche Unternehmen haben bereits den Zuschlag bekommen?
Wir haben 75 Unternehmen ausgewählt, 39 davon bekamen sowohl Zuschüsse als auch eine Finanzierung gegen Anteile. Darunter waren auch sieben Unternehmen aus Deutschland und sieben aus Frankreich. Mit Lösungen wie hochauflösende Mikroskope oder Sensoren für autonome Fahrzeuge.

Gibt es die Auflage, die Finanzierungen gleichmäßig über die Mitgliedstaaten zu verteilen?
Nein. Es zählt nur die Qualität der Unternehmen. Wir wollen mit dem European Innovation Council auch eine Art Gütesiegel aufbauen. Das soll nicht nur den ausgewählten Jungunternehmen helfen, Kunden zu finden. Sondern auch Mitinvestoren für den Fonds anziehen.

Wer entscheidet, in welche Unternehmen investiert wird?
Da haben wir unsere Lektion gelernt. Ganz wichtig: Da sind keine Bürokraten am Ruder. Der Prozess wird von einem Gremium aus Wissenschaftlern, Experten für Risikokapital und Gründungen gesteuert. In der Pilotphase unterstützt uns die Europäische Investitionsbank.

Sind Kooperationen mit europäischen Konzernen wie Airbus, Bosch oder Siemens geplant?
Wir denken darüber nach. Wir werden allerdings keine Innovation von Konzernen finanziell fördern. Dazu sind diese selbst in der Lage. Wenn wir es jedoch schaffen, dass die Jung- und Kleinunternehmen wachsen und wertvolle Produkte oder Dienste anbieten, die auch für europäische Großkonzerne sinnvoll sind, dann ist das doch gut. Besser jedenfalls, als sie nach China zu verkaufen.

Den Wagnisfinanzierern aus dem Silicon Valley geht es darum, ihr Kapital zu vermehren. Welche Ziele hat der EIC-Fonds?
Jungunternehmen groß machen, damit sie Jobs in Europa schaffen – und echte Probleme lösen.

Was hat Europa dem Silicon Valley aus Ihrer Sicht voraus?
Einmal die Qualität der Wissenschaft. Und dann die Lebensqualität: Viele Talente kommen zurück nach Europa oder gehen hierhin. In der Vergangenheit mangelte es an einer kritischen Masse von Innovationshubs. Aber die haben wir nun an Orten wie Paris, Berlin oder Helsinki.

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