Start-up trifft Mittelstand Anbieten statt anbiedern

Teamwork: Wenn Gründer und etablierte Unternehmen zusammenarbeiten, profitieren beide. Quelle: imago images

Wenn Gründer und etablierte Unternehmen zusammenarbeiten, profitieren beide. Dennoch kommen Start-ups nur selten an mögliche Partner im Mittelstand heran. Wie sie sich klug ins Spiel bringen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

„Es ist wichtig, einfach mutig zu sein“, sagt Michael Högemann. „Ich glaube, das ist das Schwierigste als Start-up. Gerade ganz am Anfang fühlt man sich immer wahnsinnig klein." Der Mann muss es wissen. Er hat einst Dawanda und Magaloop mit aufgebaut. Und er ist einer von mehreren Gründern, deren Erfahrungen eine Studie des Berliner Forschungsinstituts HIIG zusammenfasst: Unter den Millionen Mittelständlern in Deutschland suchen die wenigsten die Nähe zur Start-up-Szene. Gründer müssen also die Initiative ergreifen.

Abseits der großen Mittelständler mit eigenen Corporate-Venture-Abteilungen und Family Offices, die etwa für Unternehmerfamilien in Start-ups investieren, kommt der Kontakt nur schwierig zustande. „Bei diesen Unternehmen sind die richtigen Ansprechpartner meistens im Vorstand oder in der Inhaberfamilie, an die ist es schwierig, heranzukommen“, sagt Markus Gick, Geschäftsführender Vorstand des NRW-Start-up-Verbands NRWalley. Dabei seien gerade Start-ups, die auf Dienste für Geschäfts- statt auf private Kunden setzen, auf Entwicklungspartnerschaften angewiesen, ebenso wie auf den Zugang zu Daten und Infrastruktur und vor allem zu ersten Testkunden. „Um eine Kooperation anzubahnen, müssen Gründer echt dranbleiben und meistens auch viel Glück haben“, sagt Gick, der bereits als Innovationsexperte für die Bertelsmann-Stiftung gearbeitet hat und seit mehreren Jahren israelische Start-ups mit deutschen Mittelständlern vernetzt. Oftmals verschwendeten Gründer viel Zeit im Kontakt mit den unteren Managementebenen. Wie also geht es besser?

Leichter in der Kontaktaufnahme tun sich Start-ups, die bereits annähernd marktreife oder bereits einsatzfertige Produkte und Services vorweisen können, beobachtet NRWalley-Vorstand Gick. Im Idealfall demonstrieren Gründer ihre Ideen direkt bei einem Besuch vor Ort. „Da kann es plötzlich ganz schnell gehen, wenn die Unternehmen ihren Vorteil direkt in der Fabrik oder auf der Straße sehen“, sagt Gick. Den Ausnahmezustand aufgrund der Corona-Pandemie könnten Start-ups sogar nutzen, um mit digitalen Hilfestellungen an die Mittelständler heranzutreten, so der Innovationsexperte. „Viele Start-ups aus unserem Verband gehen jetzt raus und fragen, welche Probleme sie akut lösen können.“ So stießen sie teilweise auch auf mehr Gehör als vor der Krise: „Für viele etablierte Unternehmen ist der Corona-Ausnahmezustand auch ein Augenöffner, sich Gedanken über die Digitalisierung und Veränderungen am Geschäftsmodell zu machen.“

Prototypen im Gepäck

Dass ein klar verständlicher wirtschaftlicher Nutzen für die Mittelständler deren Tür öffnet, erlebt auch Christoph Baier, der seit Jahren Kooperationen zwischen Mittelstand und Start-ups initiiert. „Bevor kein Prototyp da ist, der einen offensichtlichen Mehrwert schafft, ergibt es wenig Sinn, Energie in die Kontaktaufnahme zu stecken“, so der Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Ambivation, das sich auf Marktanalyse und die Suche nach passenden Partnerunternehmen spezialisiert hat. Gründerteams müssten schon beim ersten Kennenlernen in einfachen Worten vermitteln können, dass beide Seiten von einer Zusammenarbeit etwas haben, sagt Baier.

Allzu schwer fallen dürfte das nicht, denn die etablierten Unternehmen profitieren in vielerlei Hinsicht: Wenn es gut läuft, erschließen sie sich zukunftsträchtige Geschäftsfelder und Technologien, gewinnen neue Zulieferer oder ziehen sogar ganze Teams mit an Bord. Dazu kommen weitere Vorteile für die Wettbewerbsfähigkeit. Die Zusammenarbeit mit agilen Start-ups fördert Forschern zufolge auch die Kreativität und die Entwicklung neuer Angebote in den etablierten Firmen. „Speziell innovationsstarke Unternehmen pflegen oft enge Beziehungen zu ihren Lieferanten und Kunden, aber auch zu Wettbewerbern im Markt, um die Entwicklung neuer Produkte und Prozesse schneller vorantreiben zu können“, schreibt etwa das Institut der deutschen Wirtschaft Köln. Insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) gelinge es mit Hilfe des Knowhows innerhalb ihres Netzwerks, Kompetenzen zu erlangen, für die sie eigenständig zu klein seien.

Entscheidungswege verstehen

Dennoch überwiege bei den Mittelständlern nach wie vor die Zurückhaltung, sagt Ambivation-Gründer Baier. Zwei Jahre hingehalten zu werden von potenziellen Partnern, sei für Gründerteams keine Seltenheit. Denn systematisch beschäftigten sich bislang die wenigsten etablierten Unternehmen mit Start-ups. Entsprechend umtriebig sind Beratungshäuser und neue Anbieter wie Aumentoo aus Kempten, Innospot aus München oder Founderio mit Sitz in Berlin, die am Anschub von Kooperationen mitverdienen wollen.

Gründerteams stehen vor der Herausforderung, sich unter den zahlreichen Vermittlungsangeboten zurecht zu finden. Wollen sie sich professionell vorstellen lassen – und für die Anbahnung womöglich bezahlen? Oder auf eigene Faust anklopfen? Eine Empfehlung oder ein Intro etwa durch Investoren hält Verbandsvorstand Gick für hilfreich. Vor allem, wenn in frühen Phasen das eigene Netzwerk noch nicht so groß sei. Auch Crowdfunding-Pionier und Table-of-Visions-Geschäftsführer David Holetzeck verweist in der HIIG-Studie auf die Schwierigkeiten, alleine loszuziehen: „Ich halte Kaltakquise für extrem kompliziert, weil es so schwierig ist, in großen Unternehmen die richtige Person zu finden.“

Wer überhaupt eine zügige Entscheidung anstoßen kann, sollten Gründer im Hinterkopf behalten, rät Ambivation-Geschäftsführer Baier. Oftmals komme es auf den Zugang zu bestimmten Budgets an. So hätten Kooperationsprojekte meist höhere Chancen, wenn deren Mittel direkt vom Geschäftsführer oder aus einem bereits vorhandenen Innovationstopf stammten. „Start-ups müssen sich bewusst machen, dass ihre Ansprechpartner erstmal Budgets auftreiben müssen – aufwendig abgestimmte Finanzpläne der Abteilungen führen da häufig zu Verzögerungen“, sagt Baier. Zeit, die die Start-ups meist nicht hätten. 

Zähe Absprachen, unflexible Planung – die Liste der Kulturunterschiede zwischen Gründern und etablierten Unternehmen ist lang. „Der kulturelle Unterschied, agiles Start-up-Team versus prozessorientiertes Traditionsunternehmen, führt zu Konflikten, die viele Kooperationen scheitern lassen“, sagt auch der Ambivation-Gründer. Doch wie klappt es, sich von vornherein zu verstehen?

Rechtzeitig anklopfen

Die gute Nachricht: Die frühe Annäherung ist bei vielen Start-ups schon mit der Gründung angelegt, sagt Baier. „Beziehungen aufzubauen, ist ein Kernelement des Lean-Start-up-Ansatzes“, so der Kooperationsberater. Die Methode für die Unternehmensgründung zielt darauf ab, ohne aufwendige Konzeption schnell auf den Markt zu kommen. Besonders wichtig dabei: häufig und regelmäßig mit Partnerunternehmen und Kunden zu sprechen.

Die richtige Ansprache zu finden, ist eine der größten Herausforderungen laut dem Ambivation-Gründer: „Das primäre Ziel bei Kooperationsanfragen ist, eine persönliche Beziehung aufzubauen“, sagt Baier. Das passiere natürlich nicht von heute auf morgen. Den Punkt betont auch Networking-Experte Alexander Wolf: „Die Aufgabe ist nur dann schwer, wenn es die Leute eilig haben.“ Zwei bis drei Jahre dauere es, sich ein funktionierendes Netzwerk aufzubauen, sagt der Networking-Coach und Gründer des Clubs Außergewöhnlich Berlin. „Wenn ich heute einen Kooperationspartner brauche, ist es schon zu spät“, so Wolf. Start-ups sollten sich so früh wie möglich Gedanken darüber machen, mit wem sie in nächster Zeit häufiger zu tun haben wollen. „Das erspart die erbärmliche LinkedIn-Bettelei.“

Persönliche Anknüpfungspunkte findet jeder, ist Wolf überzeugt. Auch von vermeintlichen kulturellen Unterschieden hält er nichts. „Das einzige Problem ist, dass wir immer noch extrem in Statusdenken gefangen sind“, sagt der Berater. Wer einen potenziellen Geschäftspartner in seiner Chefrolle anspreche, spüre zwangsläufig eine riesige Distanz. „Wie Gründer in Fernsehshows wie der Höhle der Löwen zitternd ihr Konzept aus der Tasche holen, ist unwürdig“, sagt Wolf. Sein Tipp für den ersten Kontakt: Herauszufinden, wofür sich die andere Person begeistert, nicht nur im beruflichen Kontext. „Da begegnen sich doch Menschen, die alle etwas zu geben haben.“

Mehr zum Thema:
Im Hightech-Tal herrscht derzeit trügerische Stille. Unter Investoren im Silicon Valley läuft ein Ausleseprozess, welche Start-ups in der Krise unterstützt werden – Airbnb gehört dazu. Andere wehren sich mit Entlassungen gegen das Aus. Lesen Sie die Geschichte hier.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%