Start-up Virtuo Tritt das eine Revolution auf dem Mietwagenmarkt los?

Preiserhöhung: Mietwagen im Urlaub ist teuer geworden. Ein neuer Anbieter will den Deutschen Markt erobern. Quelle: imago images

Wer einen Mietwagen sucht, hat nun eine Option mehr: Das französische Start-up Virtuo startet die Autoausleihe ohne menschlichen Kontakt in Berlin und München – und will die alte Mietwagenwelt mit neuen Mobilitätskonzepten kombinieren. Reicht das, um auf dem umkämpften Markt erfolgreich zu sein?

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Der BMW steht in bester Lage bereit: In der Tiefgarage Stachus, unmittelbar neben dem Karlsplatz in der Münchener Innenstadt gelegen, hat das französische Start-up Virtuo den Mietwagen geparkt. Wer ihn leihen will, muss nicht an einem Schalter Schlange stehen, um die Schlüssel zu erhalten, sondern kann das Fahrzeug via App öffnen. Mit diesem Konzept ist das vor knapp sieben Jahren gegründete Unternehmen bereits in vielen Städten in Frankreich, Italien, Spanien, Portugal und Großbritannien unterwegs. Seit einigen Wochen werden auch BMWs und Audis in München und Berlin abgestellt. Nun gibt das Unternehmen offiziell den Start in Deutschland bekannt, wie die WirtschaftsWoche vorab erfahren hat. „Deutschland war immer auf unserer Landkarte“, sagt Mitgründer Karim Kaddoura, „es ist mit Abstand der wichtigste Mietwagenmarkt in Europa.“

Derzeit sind in Deutschland etwa 256.000 Mietwagen zugelassen – mehr als im vergangenen, aber auch etwas weniger als noch vor zwei Jahren. Etwa fünf Millionen Menschen haben im Laufe des vergangenen Jahres mindestens einmal ein Auto gemietet. Die rund 4400 Anbieter haben im Jahr 2020 einen Umsatz von rund 34,7 Milliarden Euro erwirtschaftet.

Doch diesen lukrativen Markt nimmt Virtuo mit einiger Verzögerung in Angriff. Bereits 2019 hatte das Start-up den Start hierzulande angekündigt. Doch zuerst verzögerte sich die Einführung, dann kam Corona. „Wenn die Zukunft unsicher ist, muss man seine Pläne anpassen“, sagt Kaddoura. Untätig war Virtuo in der Zwischenzeit nicht. Vor einem Jahr schloss das Start-up seine jüngste Finanzierung ab, insgesamt hat Virtuo bereits mehr als 100 Millionen Euro als Eigen- und Fremdkapital erhalten, um die europaweite Expansion zu finanzieren. Zu den Investoren gehören unter anderem der Beteiligungsarm von Versicherer Axa oder die Investmentbank BPIfrance.

Sie alle glauben an einen neuen Spieler auf einem wohl sortierten Markt. Große Marken wie Sixt, Europcar oder Avis versorgen Geschäftsreisende oder Urlauber seit Jahrzehnten mit Fahrzeugen, verlässlich sind die Stationen an Flughäfen oder Bahnhöfen zu finden. In der Coronakrise gerieten einige Anbieter ins Schleudern – dafür schießen jetzt angesichts eines knappen Angebots die Preise in die Höhe. In Deutschland lagen sie im vergangenen Mai 48,7 Prozent höher als im Vorjahresmonat, wie das Statistische Bundesamt am Dienstag mitteilte. Zum Vergleich: Die gesamte Inflation stieg im gleichen Zeitraum um 7,9 Prozent.

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Überdurchschnittliche Preisanstiege bei Mietwagen gibt es bereits seit längerem: Insbesondere seit Mai 2021 müssen die privaten Haushalte für das Mieten von Kraftfahrzeugen in Deutschland zweistellige Teuerungsraten hinnehmen.

Mit neuen Niedrigpreis wird Virtuo nicht in den Markt gehen. Das Start-up sieht ausreichend Bedarf für das eigene Konzept, das das Beste aus zwei Mobilitätswelten vereinen soll: „Wir bewegen uns im Mietwagenmarkt, bedienen uns aber neuer digitaler Mobilitätskonzepte, um ein außergewöhnliches Mieterlebnis zu schaffen“, wirbt Kaddoura.

App öffnet alle Türen

Der wichtigste Mitarbeiter ist dabei die App. Von der Registrierung über den eigentlichen Mietvorgang bis zur Abrechnung soll alles ohne Kontakt zu Servicepersonal möglich sein. „Wir sind zuerst eine Techfirma, dann erst ein Flottenbetreiber“, sagt Kaddoura. In relevanten Städten sucht das Start-up nach zentralen Parkhäusern oder Tiefgaragen – in Berlin etwa direkt am Hauptbahnhof, am Alexanderplatz und am Potsdamer Platz. Das ist die Basis für die Mietwagen. Pflege und Wartung übernehmen Dienstleister für Virtuo.

Quelle: PR

Das erinnert an das Modell von Carsharing-Anbietern wie Cambio oder Drive Now. Doch Virtuo legt Wert darauf, dass die Fahrzeuge zwischen jeder Vermietung gereinigt werden. Zudem vermietet das Start-up seine Autos nicht für einige Stunden, sondern für einen oder mehrere Tage – „etwa für einen Wochenendtrip in die Alpen“, wie Kaddoura sagt. Wer das für ein Sommerwochenende von München aus machen will, stößt auf Raten, die sich in einem ähnlichen Rahmen bewegen wie die anderer Anbieter.

Kleines Netzwerk, große Pläne

Eine Herausforderung bleibt es, als vergleichsweise junge Marke in das Bewusstsein der potenziellen Kunden vorzufahren. Mitgründer Kaddoura legt es als Vorteil aus, dass man in der Nähe der technik-begeisterten Zielgruppe in München oder Berlin-Mitte loslegt – der Durchschnittsfahrer sei etwa Mitte 30. In der Virtuo-Vision springt der in ein per App geöffnetes Auto, um einen kurzen Urlaubstrip oder eine Dienstreise zu machen. „Wir konzentrieren uns zunächst nicht auf Reisende, sondern auf die, die einen Ersatz für ein eignes Auto benötigen“, sagt Kaddoura. Daneben sucht Virtuo den Kontakt zu Unternehmen, die statt eigener Dienstwagen lieber Mietwagen für ihre Mitarbeiter bereitstellen wollen.

Doch natürlich ist das deutsche Netzwerk mit gerade einmal zwei Städten zu Beginn dünn. Marktführer Sixt unterhält etwa allein hierzulande nach eigenen Angaben knapp 500 Stationen. Andere deutsche Großstädte sollen bei Virtuo daher zügig folgen, auch an Flughäfen sollen mittelfristig Stellplätze entstehen. Wichtigster Expansionshelfer sind dabei Parkplatzbetreiber wie Contipark. „Das macht es für uns viel leichter, schnell in neuen Städten zu starten“, sagt Kaddoura.

Autos als analoger Engpass

Gerade einmal 170 Mitarbeiter beschäftigt das Start-up im Moment selbst – neben der Zentrale in Paris gibt es auch kleine Büros in den lokalen Märkten. Doch bei der virtuellen Abwicklung bleibt ein analoges Problem: Trotz üppiger Finanzmittel der Investoren muss das Start-up erst einmal an ausreichend Autos kommen. Viele Mietwagenanbieter hatten im ersten Coronajahr ihre Fahrzeugflotten verkleinert. Die Pandemie bremste dann die Produktion der Autobauer, zudem ist der Gebrauchtwagenmarkt in bestimmten Segmenten fast leer gekauft. Weil Lieferketten der Hersteller hier und da noch wackeln und die Nachfrage global groß ist, müssen sich nun selbst Großkunden wie Mietwagenfirmen hintenanstellen – und auf allzu großzügige Rabatte verzichten.

„Es bleibt eine Herausforderung. Aber bislang ist es uns gelungen, die benötigten Fahrzeuge zu bekommen“, sagt Kaddoura. Insgesamt 6000 Autos hat Virtuo europaweit auf den Straßen, einige hundert sollen es in Deutschland zunächst werden. Von einer Ein-Marken-Strategie – lange Zeit setzte Virtuo vor allem auf Mercedes – hat sich das Start-up inzwischen verabschiedet.

Wenig Sorgen macht sich Gründer Kaddoura, dass sich die etablierten Anbieter an die Alleinstellungsmerkmale seines Unternehmens heranwagen. Sixt bietet zwar seit einigen Jahren unter dem Namen Fastlane eine Ausleihe per App an, laut Erfahrungsberichten aus dem Internet schwankt allerdings die Verfügbarkeit. Auch der Anbieter Getaround setzt auf dieses Verfahren, hier geht es allerdings um die Miete von privaten Wagen. Viele etablierte Mietwagenfirmen kämpften beim Umstieg jedoch mit gewachsenen Strukturen und IT-Systemen, so der Unternehmer. „Wirklich zu 100 Prozent digital zu operieren, ist eine Herausforderung“, sagt Kaddoura. „Und man kann nicht erfolgreich sein, wenn man sich nicht zu 100 Prozent für einen Weg entscheidet.“

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