Start-Ups "Deutsche Konzerne ersticken Innovationen"

Den innovativen Unternehmen gehört die Zukunft. Wie Unternehmen Boden für Neues bereiten und was sie von Start-Ups lernen können, erforscht der Innovations-Experte Jerome Engel von der Berkeley Universität Kalifornien.

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Mit diesen Typen sollten Sie ein Unternehmen gründen
Gründer und Co-Founder„Nur weil sich zwei Menschen privat, beim Feiern und Kaffee trinken gut verstehen, heißt das noch lange nicht, dass sie auch gut zusammenarbeiten können“, warnt Thorsten Reiter, dessen Buch „Start up – Jetzt! Endlich loslegen und es richtig machen“ gerade im Campus-Verlag erschienen ist. Er rät eher davon ab, im Freundeskreis nach potentiellen Mitgründern zu suchen und empfiehlt statt dessen sich im Kreis derer umzusehen, mit denen man bereits zusammengearbeitet hat. „Jeder Gründer muss den Geschäftspartner finden, der zu ihm passt und der die eigenen Fähigkeiten komplettiert.“ Reiter hat gewisse Charaktere ausgemacht, die in Kernteams vieler erfolgreicher Gründungen vertreten sind... Quelle: dpa
Visionäre, Leader und ProjektmanagerViele Gründer fallen in diese Kategorie, denn sie haben das große Ganze vor Augen und die Fähigkeit, andere für ihre eigenen Ziele zu begeistern. Sie rücken mit dem Holzhammer an, wenn es um die Umsetzung von Strategien geht und haben selten Zeit für Details. Die Teammitglieder bekommen immer wieder Sprüche wie: „Ich weiß nicht wie, aber ich weiß, dass!“ oder „Geht nicht, gibt’s nicht!“ zu hören. Reiter: „Sie sind beinahe idealistisch kompromisslos und profitieren von einem starken Team, das sie herausfordert und ergänzt.“ Quelle: dpa
Techies und EntwicklerWenn sie nicht gerade Minecraft spielen, sind das die Geeks im Team. Sie hacken scheinbar unzusammenhängende Zahlen- und Buchstabenkombinationen in die Matrix hinein und verstehen das Produkt wie niemand sonst. Das Problem ist nur: Sie halten die Vorteile für so eindeutig, dass sie sie nicht vermitteln können. „Ohne sie gäbe es kein Produkt – wären sie ohne Team“, sagt Reiter, „würde es sich nie verkaufen und letztlich als Open-Source-Lösung irgendwo im Netz landen Quelle: dpa
DesignerAuch dieser Charakter lässt sich häufig in Gründungsteams finden. Sie sind die Schöngeister, die Künstler des Teams. Egal ob in digitaler oder analoger Form, ihr Auge für Schönheit macht das Produkt für ein breites Publikum erst interessant und benutzbar. Reiter: „Eine Enge Zusammenarbeit zwischen ihnen und den Entwicklern ist essenziell für jede erfolgreiche Produktinnovation.“ Quelle: dpa
Marketer und Sales-People„Wenn der Preis stimmt, würden sie sogar ihre Großmutter verkaufen“, so das klare Urteil von Thomas Reiter über die Verkaufstalente im Team. Sie bringen das Produkt unter die Leute, verstehen den Markt und die Kundenwünsche. Für den Experten sind diese Kenntnisse in der Gründungsphase unerlässlich – Sales-Personal kann auch später angeheuert werden. Quelle: REUTERS
Buchhalter und Finance-PeopleFrüher oder später braucht jedes Gründungsteam Leute, die sich um die Zahlen kümmern. Auch wenn viele Start-ups diesen Part oft extern auslagern, ist jemand, der die Zahlungsströme versteht laut Reiter im Kernteam „sehr zu empfehlen.“ Manchmal wird die Rolle indirekt von Financiers wie dem Venture Capitalist übernommen, die darüber wachen, dass Einnahmen und Ausgaben ausbalanciert sind oder in der Wachstumsphase zumindest die prognostizierten Ziele erreicht werden. Quelle: dpa Picture-Alliance
Administrator und Office-ManagerDie Leute fürs Detail – sie dürfen in keinem Gründer-Team fehlen. Denn: „Während die Visionäre die langfristige Strategie im Auge haben und Techies sich um die Weiterentwicklung des Produkts kümmern, sollte es jemanden geben, der die täglich anstehenden Aufgaben im Blick hat“, rät Thomas Reiter. Er sagt es ist essentiell, das Tagesgeschäft nicht ständig selbst überwachen zu müssen, sondern sich auf das Wachstum des gesamten Unternehmens konzentrieren zu können. Quelle: AP

WirtschaftsWoche: Herr Professor Engel, in der Liste der wertvollsten Marken ist in den Top Ten nur ein einziges deutsches Unternehmen vertreten: der Daimler-Konzern mit der Marke Mercedes. Sie führen dies auf die mangelnde Innovationsfähigkeit von deutschen Unternehmen zurück.

Jerome S. Engel: In der Regel werden Innovationen in den Konzernen in Deutschland erstickt. Die Unternehmensstrukturen sind in Deutschland viel fester zementiert und hierarchischer als in den USA. Dadurch führen deutsche Unternehmen ihre Strategien sehr effizient und erfolgreich aus. Doch die Innovationskultur leidet darunter. Amerikanische Firmen, die diese Liste anführen, haben hingegen eine Unternehmenskultur und einen Management-Prozess, der Innovation fördert.

Jerome S. Engel Quelle: PR

Was ist gegen deutsche Gründlichkeit einzuwenden?

Unsere Gesellschaft ist zunehmend digital kompetent, die Entwicklung der Märkte wird immer schlechter vorhersehbar und Unternehmensmodelle müssen sich immer schneller an die neuen Umstände anpassen. Die klassischen Managementmethoden stoßen in diesem Umfeld an ihre Grenzen und eine gründliche, ingenieursmäßige Vorgehensweise ist nicht mehr zeitgemäß.

Was machen Amerikaner besser?

Amerikaner sind pragmatischer: sie sind näher am Markt.

Zur Person

Ist das auch das Erfolgsrezept der Start-Ups im Silicon Valley, die Sie lange begleitet haben?

Meistens ist es eine Kombination aus der richtigen Idee zur richtigen Zeit, einem innovationsfördernden Management-Ansatz und einem Umfeld, das Erfolg ermöglicht. Wir meinen oftmals, dass das Silicon Valley so erfolgreich ist wegen der Start-Ups. Ich bin überzeugt, dass es genau umgekehrt ist: Start-Ups im Silicon Valley sind erfolgreich wegen des Umfelds, das sie dort vorfinden. Das beinhaltet mehr als nur das vorhandene Risikokapital, für das die Region berühmt ist. Die größeren Unternehmen dort fördern Innovationen von jungen Start-Ups und betrachten diese als Ressource für ihre eigenen Innovationen. Google oder Facebook waren bis vor kurzem selber noch Start-Ups und fördern und leben diese Gründerkultur nach wie vor.

Und warum gibt es kein deutsches Silicon Valley?

Leute mit Unternehmergeist finden Sie überall, egal ob in Deutschland, Amerika oder Asien. Aber es gibt durchaus kulturelle Unterschiede. In den USA, und speziell im Silicon Valley, werden Gründer von der Gesellschaft gefördert und Scheitern akzeptiert. Scheitern gilt nicht als Makel, sondern als wertvolle Erfahrung, aus der man lernen kann. Einem erfolgreichen Unternehmen wie Facebook stehen mehr als 1000 gescheiterte Start-Ups gegenüber.  Die Akzeptanz und das Bewusstsein für diesen Lernprozess sind in Deutschland noch nicht sehr verbreitet.

Eine Studie von PwC zeigt, dass im internationalen Vergleich Unternehmen in Deutschland mit weniger Budget für ihre Innovationsbestrebungen auskommen. Ist erfolgreiche Innovation eine Frage des Geldes?

Absolut nicht. In den letzten 20 Jahren haben Entwicklungen wie das Internet, Clouds, GPS oder Smartphones Innovationen eher günstiger gemacht.

Inwiefern?

Unternehmen können heute dank Innovationen - ich denke hier an Clouds als Speicherplatz, aber auch Social-Media und Shopping-Plattformen - sehr viel schneller und effizienter Prototypen herstellen und am Markt testen. Das fördert nicht nur den Unternehmergeist, sondern auch das grundlegende Verständnis für Innovation, die als Lernprozess verstanden und in die Organisation integriert wird. Da können gerade große Unternehmen viel von Start-Ups lernen.

Große Unternehmen können von Start-Ups lernen

Was denn?

Start-Ups bewegen sich ständig in einem Feld der Unsicherheit. Dementsprechend müssen sie nahe am Markt  sein und sehr schnell aus Situationen lernen. Ohne diesen Lernprozess und die damit verbundene ständige Weiterentwicklung des Geschäftsmodells würden sie nicht lange überleben. Heute sehen sich längst auch größere Unternehmen mit dieser Unsicherheit konfrontiert, reagieren aber oft zu vorsichtig, diskutieren zu lange über mögliche Szenarien, anstatt einfach Neues auszuprobieren.

Woran liegt das?

Erfolgreiche Unternehmen müssen Markt- und Kundenanteile halten oder erhöhen. Meist gilt noch immer: Wer die Prognosen nicht erfüllt, wird als gescheitert verurteilt. Ein Start-Up könnte sich solch eine langfristige Perspektive gar nicht erlauben, muss ständig die getroffenen Annahmen hinterfragen und sie wieder anpassen. So entsteht eine Lernkultur statt einer Unternehmenskultur, die nur darauf beruht, dass man die gesteckten Ziele abarbeitet. Geht ein Plan nicht auf, sollte man sich fragen, wieso dies der Fall ist. Oft zeigt sich, dass das Problem nicht die Ausführung ist, sondern die Annahmen, auf denen der Plan basiert.

Wie können auch größere Unternehmen diesen Lernprozess anstoßen?

Nur wenn die Chefetage dahinter steht, kann sich eine Unternehmenskultur ändern, um Innovationen zu fördern.  Experimentieren und Lernen müssen Vorrang haben.

In fünf Schritten zum Innovationsführer

Wie geht das konkret?

Indem man Leute ins Haus holt, die diese Start-Up Kultur vorleben – etwa über einen Inkubator, also ein internes Gründerzentrum, das vom Tagesgeschäft losgelöst ist. Aber auch Kooperationen mit Start-Ups und Forschungsinstitutionen sind zu empfehlen.

Wo hat das funktioniert?

Google Earth wurde ursprünglich von einem Start-Up entwickelt. Google hat dessen CEO an Bord geholt und er hat nicht nur Google Earth weiterentwickelt, sondern war im Konzern für die gesamte Kartographierung zuständig.

Gibt es solche Beispiele auch in Deutschland?

An deutschen Universitäten gibt es zunehmend Initiativen, die sich nicht nur auf die Gründung von Start-Ups fokussieren, sondern auch große Konzerne miteinbeziehen und diesen so die Möglichkeit geben, von der Start-Up Kultur zu profitieren – etwa UnternehmerTUM, ein Zentrum für Innovation und Gründung der TU München, an dem ich auch selbst  aktiv bin.

Und welche Konzerne haben erfolgreich eine Start-Up Kultur integriert?

Dem Daimler-Konzern gelang in den letzten Jahren eine große Innovation: das war Car2Go. Der Druck von außen zwang den Konzern damals zu unkonventionellen Maßnahmen. Immer weniger Menschen sehen Autos als ein Statussymbol, das man unbedingt besitzen muss. Dann kam die Abwrackprämie hinzu. Beide Faktoren waren schlecht für Mercedes. Car2Go kam deshalb sehr schnell auf den Markt und unter Innovationsansätzen wurde am Anfang alles richtig gemacht: Erst klein anfangen in Ulm und in Stuttgart. Aus den Erfahrungen lernen, dann immer mehr Standorte im Inland dazu nehmen und erst dann das Modell in weitere Länder übertragen. In Deutschland  ist das allerdings eine große Ausnahme.

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