Start-ups gegen Corona-Hacker Sprint zu digitalen Identitäten

Mehr und mehr Start-ups versprechen einen Schutz vor Hackern, die derzeit versuchen, bei der Beantragung von Soforthilfen, mit gefälschten Identitäten Geld abzugreifen. Quelle: dpa

Anträge auf Kredite und Soforthilfen, Formulare und Vertragsabschlüsse wandern in Corona-Zeiten ins Netz. Das Geschäft der digitalen Identifizierungsdienste boomt, der Wettbewerb unter jungen Anbietern verschärft sich.

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In der digitalen Welt skalieren Diebstahl und Betrug hervorragend, warnt der Geschäftsführer des Hamburger Start-ups Risk Ident, Piet Mahler. Denn statt wie in der analogen Welt mühsam ein Opfer nach dem anderen abzuklappern, schlagen Kriminelle über das Internet an vielen Orten gleichzeitig zu – die Beute ist riesig. Das gilt auch für die Corona-Soforthilfen von Bund und Ländern, die Kriminelle derzeit mittels gestohlener Firmen- und Steuerdaten von notleidenden Unternehmen abzugreifen versuchen. Beinahe täglich kommen neue Betrugsmaschen rund um die staatlichen Nothilfen ans Licht, bundesweit laufen mehr als 500 Ermittlungsverfahren. Und kurbeln das Geschäft mit Abwehrsystemen an. So wie das von Piet Mahler. 

„Als wir gehört haben, dass die Hilfsgelder schnell und ohne große Prüfung rausgehen sollen, haben wir schon früh zu den Förderbanken Kontakt aufgenommen um zu warnen“, sagt Mahler. Denn die Ansage wirke auf Kriminelle wie eine Einladung: „Identitätsdiebstahl und die Umleitung von Geldern sind klassische Betrugsmaschen, die sich meistens recht einfach verhindern lassen“, so der Geschäftsführer von Risk Ident. Das 2012 vom Versandhändler Otto ausgegründete Tech-Unternehmen sammelt eindeutige Merkmale der Laptops und Rechner, mit denen Betrüger arbeiten – und schlägt Alarm, wenn sie irgendwo zum Einsatz kommen. Einen Auftrag von Förderbanken hat Risk Ident zwar noch nicht, es liefen aber Gespräche. 

Zuvorgekommen ist Mahler ausgerechnet in seiner Heimat der Video-Identifizierungsdienst Nect, der für die Hamburgische Investitions- und Förderbank (IFB) innerhalb von zwei Tagen ein Prüfverfahren aufsetzte: Nunmehr durchlaufen Antragsteller in der Hansestadt einen digitalen Check, bei dem sie ein Video von sich mit dem Handy aufnehmen, zusätzlich gleicht das Start-up ab, ob die angegebene Kontonummer tatsächlich zum Antragssteller gehört. „Wir haben unser Angebot in nahezu allen Bundesländern platziert“, sagt Benny Bennet Jürgens, Mitgründer und Geschäftsführer von Nect. Noch sei aber unklar, ob die Lösung neben der IFB auch bei weiteren Banken zum Einsatz kommen werde.

Identitätscheck von zu Hause

Nicht nur Soforthilfe- und Kredit-Anträge im Finanzsektor wandern zunehmend ins Netz – und verschärfen damit die Anforderungen an die IT-Sicherheit und Betrugsabwehr. Selbst die Unterschrift beim Notar hat etwa der Münchener Identifizierungsdienst ID Now jüngst in Frankreich ins Internet verlegt. Auch weil sich die Gewohnheiten und Bedürfnisse viele Kunden im Zuge der Corona-Pandemie ändern: Ob neuer Telefonvertrag oder Aktiendepot – weil viele Bankfilialen und Geschäfte in den vergangenen Wochen geschlossen waren, boomten digitale Alternativen.

Lange boten Firmen onlineaffinen Neu-Kunden in Deutschland vorwiegend das Postident-Verfahren an: Dabei kommen Kunden mit ausgefülltem Vertrag in eine Verkaufsstelle der Deutschen Post, wo ein Mitarbeiter die Ausweisdaten abgleicht. Die bequemere – und garantiert kontaktlose Variante – haben die Start-ups ID Now und WebID etabliert. Bei ihnen genügt es, den Ausweis per Videotelefonat in die Kamera von Laptop oder Smartphone zu halten. Zunehmend setzen sie Algorithmen ein, um die Dokumentendaten maschinell auszulesen, statt sie von Nutzern abzufragen. Auch Neuankömmlinge wie Nect setzen auf automatisierte Verfahren: Statt auf einen freien Mitarbeiter warten zu müssen, senden Kunden ein Handy-Video ein, bei dem sie den Ausweis neben ihrem Kopf hin- und herschwenken.

Allein ID Now hat im zweiten Quartal 120 neue Mitarbeiter für die Online-Identifizierung per Video-Anruf eingestellt. Insgesamt seien die Nutzeranfragen seit Ende Februar um fast 27 Prozent gestiegen, gab das Unternehmen im April bekannt. „Das Gesamtvolumen unserer Partnerunternehmen ist fast ausschließlich nach oben gegangen, mit Ausnahme des Reise- oder Mobilitätsbereichs“, sagt ID-Now-Mitgründer und Technikchef Armin Bauer. Konkurrent Nect spricht für April von mehr als doppelt so vielen Zugriffen wie geplant. „Der Corona-Ausnahmezustand hat unser Wachstum deutlich beschleunigt“, sagt Gründer Jürgens.

Die Abwehr der mutmaßlichen Soforthilfe-Betrüger ist nur ein spezieller Anwendungsfall. Den größten Teil seines Umsatzes macht Nect mit Krankenkassen und Versicherern wie R+V, WGV und der Hanseatischen Krankenkasse. Das Verfahren, das das Start-up dabei einsetzt, erinnert an die automatischen Ausweiskontrollen am Flughafen – per Handy-Video überprüft ein Algorithmus die biometrischen Eigenschaften des Gesichts. Die Software erkennt laut dem Gründer selbst kleinste Fehler im Bild, zum Beispiel bei gefälschten Aufnahmen, die Menschen leicht für harmlose Störungen in der Internetverbindung halten. Dabei manipulieren Kriminelle bei solchen sogenannten Deepfakes Videos aus sozialen Netzwerken, um sich digitale Identitäten anzueignen. 

Nect will nun in Europa angreifen und die Zahl der derzeit 30 Unternehmenskunden im Laufe des Jahres verdoppeln. Gezielt ansprechen will die 2017 gegründete Firma Telekommunikationsanbieter und Banken. Eine neue Finanzierung, die noch nicht offiziell ist, soll die Internationalisierung in Europa anschieben. Bis Ende des Jahres plant Gründer Jürgens, das Team von aktuell 32 auf etwa 50 Mitarbeiter aufzustocken. Zum Markteintritt vor zwei Jahren konnte er dem Start-up bereits einen Millionenbetrag an frischem Kapital sichern. 

Digitalisierungsschub über die Krise hinaus

Um den Ansturm in Corona-Zeiten zu bewältigen, haben sich die größten Anbieter, WebID aus Berlin und ID Now aus München, für den Betrieb aus dem Homeoffice zertifizieren lassen. So können die Mitarbeiter, die normalerweise von Callcentern aus die Personendaten und Ausweise am Bildschirm prüfen, von zu Hause aus arbeiten. Obwohl WebID auch den Umsatzeinbruch etwa bei Automobilfinanzierern zu spüren bekommen habe, wie Geschäftsführer Frank Jorga erzählt, war der April mit mehr als zwei Millionen Euro Umsatz der stärkste Monat seit Bestehen des Unternehmens. Die automatisierten Prüfungen hätten im ersten Quartal im Vergleich zum Vorjahr um 71 Prozent zugelegt. Wovon der Identifizierungsdienst besonders profitiere: „Viel mehr Unternehmen gehen jetzt direkt in Projekte mit uns, um ihre Antrags- und Aufnahmestrecken zu digitalisieren“, sagt Jorga. „Die Kunden kamen alle auf einmal. Wir mussten überlegen, welches Projekt wir wann machen.“ Der Web-ID-Geschäftsführer erwartet, dass sich diese Entwicklung auch über die Corona-Krise hinweg fortsetzt.

Um das eigene Angebot zu erweitern, kooperieren die Berliner seit Kurzem mit dem Darmstädter Start-up Authada, das sich seit zwei Jahren auf den elektronischen Personalausweis spezialisiert und unter anderem den Main Incubator der Commerzbank zu seinen Investoren zählt. Authada macht es möglich, Smartphones mit einer Nahfunk-Schnittstelle (NFC) als Lesegerät für den elektronischen Personalausweis zu nutzen. Das soll der Identifizierungsmethode zehn Jahre nach Einführung endlich aus der Nische helfen. 

Mitten im Corona-Ausnahmezustand hat das Start-up Ende März einen Meilenstein erreicht: die Zertifizierung als sogenannter Identifizierungsdienstanbieter (IDA) beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik. „Dadurch kann Authada zukünftig neben regulierten Märkten, wie der Finanzbranche, nun auch Märkte erschließen, die keiner Regulatorik unterworfen sind – etwa die E-Commerce-Branche“, gibt sich Geschäftsführer und Mitgründer Andreas Plies zuversichtlich. Zu den Neukunden, die in den kommenden Wochen dazukommen sollen, zählen auch Anbieter von Online-Sportwetten.

Neue Allianzen

Ausgerechnet WebID hat Authada die Tür zur Telekommunikationsbranche geöffnet: Vodafone lässt nun Sim-Karten mit Prepaid-Guthaben per elektronischem Personalausweis aktivieren. Aber auch mit ID Now kooperiert das 2015 gegründete Start-up bereits seit Dezember. „Unser Ansatz ist, unseren Kunden verschiedene Methoden an die Hand zu geben. Wer uns einmal integriert hat, soll alle Verfahren von uns bekommen“, sagt ID-Now-Technikchef Bauer. So macht sich Authada die langjährige Rivalität zwischen ID Now und WebID geschickt zunutze.

Seit Jahren ringen ID Now und sein zwei Jahre älterer und 600 Mitarbeiter starker Konkurrent WebID um Marktanteile – und beharken sich vor Gericht. ID Now hatte WebID vorgeworfen, Patente verletzt zu haben. Vor einigen Tagen urteilte das Oberlandesgericht Düsseldorf zugunsten von WebID. Beide Unternehmen aber eint ihre Erfahrung bei der Betrugsprävention, aus der sie ein gewisses Selbstbewusstsein ableiten. Auch für die Fälle rund um Corona-Soforthilfen. Eigens für die Beobachtung der aktuellen Vorstöße von Kriminellen habe ID Now ein Team zusammengestellt, das auch im verborgenen Teil des Internets, dem sogenannten Darknet recherchiert, so Technikchef Bauer: „Das kann für neue Anbieter am Markt schwieriger sein, weil die Erfahrung fehlt.“


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