„Nun trennt sich die Spreu vom Weizen“ Diese Start-ups profitieren von der Krise

Während einige Start-ups die Krisenwelle reiten, könnten viele junge Firmen untergehen, wenn sie nicht gerettet werden. Quelle: Imago

Die Hilferufe aus der Start-up-Szene mehren sich: Zwei von drei Gründern fürchten um die Existenz ihres Unternehmens. Doch einige junge Firmen werden von der Krise beflügelt. Ihnen könnte jetzt der Durchbruch gelingen.

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„Das Start-up-Ökosystem steht angesichts der Coronakrise vor einem massiven Sterben“, sagt Christian Miele. Miele ist der Präsident des Bundesverband Deutsche Start-ups und warnt: Ohne schnelle staatliche Hilfe werden die ersten jungen Unternehmen schon in wenigen Wochen in die Knie gehen. Tatsächlich sind die Ergebnisse der jüngsten Studie des Verbands alarmierend: 70 Prozent der Start-ups fürchten um ihre Existenz. Eine Insolvenzwelle würde Deutschland als Innovationsstandort empfindlich treffen. Die Zahl der Unternehmensgründungen ist 2019 erstmals seit fünf Jahren wieder gestiegen, laut der staatlichen Förderbank KfW wagten mehr als 600.000 Menschen den Sprung in die Selbstständigkeit. Nun fürchten die meisten von ihnen das Aus.

„Jetzt schlägt die Stunde der Wahrheit“, sagt Sebastian Borek, der Geschäftsführer und Mitgründer der Bielefelder Founders Foundation: „In Wachstumsmärkten können viele eine Firma großziehen, aber nun trennt sich die Spreu vom Weizen.“ Gute Unternehmer würden die Krise als Chance begreifen und zeigen, wie kreativ und flexibel sie wirklich sind. „Das behaupten natürlich alle Gründer von sich, aber jetzt müssen sie es beweisen“, erklärt Borek. Für Start-ups, die diese Kriterien wirklich erfüllen, sieht er in der Krise eine Chance: „Wenn sich die Marktbedingungen verändern, geht es um schnelle Anpassungsfähigkeit. Wer das verinnerlicht hat, kann von dieser Ausnahmesituation profitieren.“
Tatsächlich gibt es einige Start-ups, denen der Shutdown nichts anhaben kann. Sie nutzen die Gunst der Stunde, um ihre Geschäftsmodelle bekannter zu machen, und könnten in der Krise den großen Durchbruch schaffen.

Corona beflügelt Start-ups mit digitalen Konzepten

„Corona ist mit Abstand der beste Change-Agent für viele Firmen“, sagt Dominic André von Proeck: „Nicht das, was wir uns gewünscht haben. Aber der Treiber für digitale Veränderung, den wir gebraucht haben“, resümiert der Gründer von Punk Academy. Sein Bildungs-Start-up bietet ein ungewöhnliches Weiterbildungsprogramm an. Die „Business War Games“ sollen den Teilnehmern helfen, besser zu kommunizieren, kreative Lösungen für Probleme zu finden und Führungskompetenzen aufzubauen. Dazu lösen sie über mehrere Wochen jeden Tag eine 20-minütige Aufgabe am Smartphone – entwickeln etwa eine eigene Businessidee, für die sie Sponsoren finden – und letztlich einen Pitch vor erfahrenen Unternehmern präsentieren müssen.

Das B2B-Konzept wird bereits von mehreren Dax-Konzernen, wie Adidas, Siemens oder Allianz genutzt: „Fast jeder Dritte, der unser Programm absolviert, bekommt im darauffolgenden halben Jahr eine Gehaltserhöhung oder Beförderung“, bewirbt von Proeck den Mehrwert der Business War Games.
Seit der Coronakrise ist das Angebot gefragter, als je zuvor: „In diesem Quartal durchlaufen 800 Nutzer unsere Business Bootcamps. Das sind fast so viele, wie in den letzten zwei Jahren zusammen“, sagt der Gründer: „Entscheidungen werden jetzt in Stunden und nicht mehr in Monaten getroffen. Wir müssen niemandem mehr erklären, warum die Fähigkeiten, die wir vermitteln, wichtig sind.“
Ein gutes Beispiel sei eine Schule in Bayern, die das Programm nutzen wollte, um die Digitalkompetenzen ihrer Schüler zu fördern. Nach zwei zähen Jahren mit vielen Gesprächen und Pilotprogrammen ist das Projekt nun innerhalb von zwei Wochen umgesetzt worden. Im Start-up selbst machten sich die Lockdown-Maßnahmen kaum bemerkbar: „Wir haben zwar ein Büro, arbeiten aber ohnehin viel von zu Hause, weil unsere Mitarbeiter über ganz Deutschland verstreut sind.“ Teamkultur, Mindset und Agilität laute das Credo, um in diesen Tagen erfolgreich zu sein. Und es hilft, Krisen schon früher ausgestanden zu haben. „Wir sind vor einiger Zeit auch fast pleitegegangen – besondere Situationen sind für uns nichts Neues“, sagt von Proeck.

Digitale Konzepte funktionieren auch in der Sportwelt. Seit sie vom Coronavirus in eine Zwangspause geschickt wurde, müssen Sportler, die sich fit halten wollen, zu Hause trainieren. Das Start-up B42 bietet eine App an, die Amateurfußballern helfen soll, ihre Leistungsfähigkeit im Home-Training zu steigern und die Verletzungsanfälligkeit zu senken. „Seit der Kontaktsperre hat sich die Anzahl der Spieler, die unsere App installiert haben, mehr als verdoppelt“, sagt Gründer Andreas Gschaider. „Ganze Mannschaften arbeiten mit unseren Konzepten. Die Leistungsklassen reichen dabei von der A-Klasse bis zur Regionalliga.“

Aktuell nutzen rund 50.000 Fußballer das Angebot, sich mit der Unterstützung von Sportärzten, Trainern und Therapeuten zu verbessern. Gschaider sieht auch nach der Krise großes Potenzial in seinem Geschäftsmodell: „Schließlich sind wir eine App für jede Saisonphase – egal ob Winterpause, Saison-Vorbereitung oder mitten in der englischen Woche.“ Das Angebot sei auch zum regulären Training auf dem Platz eine gute Ergänzung: „Jetzt zeigt sich lediglich besonders stark, welches Potenzial unser Training hat“, bekräftigt der Gründer.

Einige Start-ups werden zu Helden des Einzelhandels

Während mittelständische Unternehmen und Start-ups in der Vergangenheit häufig konkurrierten, rücken sie seit der Bedrohung durch die Krise näher zusammen. Gerade im Einzelhandel bietet eine Zusammenarbeit häufig Chancen: „Viele Händler sehen den Online-Handel als letzten Strohhalm zum Überleben“, sagt Christian Schwarzkopf, der Gründer von Sugartrends. Das Kölner Start-up bietet eine Plattform an, auf der lokale Geschäfte ihre Produkte anbieten und online verkaufen können. Im Internethandel Fuß zu fassen, sei gerade für kleine Geschäfte keine neue Herausforderung: „Aber der Shutdown hat sie nun zum Handeln gezwungen“, sagt Schwarzkopf.

Da die Läden vor Ort nichts mehr verkaufen konnten, hätten sich seit der Krise mehr Kunden online umgeschaut – und die Bestellungen über Sugartrends verdoppelt: „Es hat sicher auch geholfen, dass einige Leute das Bedürfnis haben, jetzt umso mehr den lokalen Einzelhandel zu unterstützen“, erklärt Schwarzkopf den Boom. Neben dem digitalen Geschäftsmodell und einem kleinen Team von 15 Mitarbeitern sieht er den häufigen Austausch mit den krisenerfahrenen Investoren des Start-ups als großen Vorteil: „Sie helfen uns, die Dinge mit Augenmaß und Ruhe zu betrachten und nicht in Aktionismus zu verfallen.“

Das Start-up baoo verfolgt einen ähnlichen Ansatz. Ihre App ist sogar noch lokaler ausgelegt – online suchen, vor Ort kaufen, lautet das Mantra: „Wer zum Beispiel dringend einen Whiteboard-Marker braucht, muss nicht mehr bei Google Maps nach Schreibwarengeschäften suchen und dann jedes abklappern. Unsere App findet direkt den nächsten Händler, der den gesuchten Stift im Sortiment hat“, erklärt Mirco Meyer, der das Start-up mit zwei Freunden gegründet hat und für das Marketing zuständig ist. Allerdings ist die App noch nicht fertig – spätestens in sechs Monaten, versichert Meyer.

Da das Team nur aus fünf Leuten besteht, schränke Corona die Entwicklung nicht ein, dafür steige die Nachfrage rasant: „Wir werden fast täglich von Händlern gefragt, wann unsere App nun endlich erscheint, obwohl wir noch gar kein richtiges Marketing betreiben. Als Klopapier gehamstert wurde, haben sich zum Beispiel Kiosks bei uns gemeldet, die das noch vorrätig hatten, damit aber nicht auf sich aufmerksam machen konnten.“ Zunächst soll die App nur für den Raum Köln verfügbar sein. Langfristig ist dort auch ein lokaler Lieferservice geplant. Bisher konnten die Gründer rund 30 Händler und die IHK Köln überzeugen und sich das Gründerstipendium NRW sichern.

Obwohl die Krise einigen Start-ups tolle Perspektiven bietet, steht der Szene insgesamt dennoch ein herausforderndes Jahr bevor. Da ein Großteil der jungen Unternehmen vom staatlichen Stabilitätsfonds ausgeschlossen ist, kündigte Finanzminister Olaf Scholz Ende März an, zwei Milliarden Euro für die Gründerszene bereitzustellen. Das Geld soll aber nicht direkt in die Start-Ups fließen, sondern über private Investoren, die geschwächte Firmen unterstützen wollen.

Die staatliche Hilfe könnte für viele Gründer zu spät kommen, mahnt Borek von der Founders Foundation. Zudem müssten gerade Start-ups, die noch in den Kinderschuhen stecken um ihre Finanzierung bangen: „Die Frage ist, ob Investoren Zukunftsvisionen weiter fördern, oder lieber auf die Unternehmen umschwenken, die sich schon bewiesen haben.“ Immerhin sei der Zusammenhalt der Szene so stark wie nie zuvor – und auch der Graben zwischen etablierter und neuer Wirtschaft sei nun geschlossen: „Mittelständler und Start-ups arbeiten jetzt stark zusammen und unterstützen sich gegenseitig. Die jungen Unternehmen haben meistens eine Lösung parat und gute Ideen, wie sie weiter machen können“, sagt Borek: „Da mache ich mir um den etablierten Mittelstand wesentlich größere Sorgen.“

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