Start-ups suchen Fachkräfte „Fest steht: Die Personalsuche wird schwieriger“

Knapp 27 Prozent der jungen Techunternehmen benannten die Personalplanung und -rekrutierung im diesjährigen Start-up-Monitor als eine große Herausforderung Quelle: imago images

Die Techbranche boomt, die Investitionen steigen. Doch junge Digitalfirmen stoßen bei der Mitarbeitergewinnung an ihre Grenzen. Gründer locken mit immer attraktiveren Angeboten – und nehmen doch nicht jeden.

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Ein gutes Netzwerk lohnt sich: 10.000 Euro Prämie zahlt Sebastian Funke seinen Mitarbeitern, wenn sie einen Bekannten dazu bringen, bei Stryze anzufangen. 75 Mitarbeiter beschäftigt das Digitalunternehmen, das reihenweise Marken für Markplätze wie Amazon aufkauft und aufbaut – 40 Stellen würde Gründer Funke in diesem Jahr noch gerne besetzen. Eine Herausforderung: Kandidatinnen und Kandidaten sind schwer zu finden.

Der ideale Neueinsteiger für Funke bringt Spezialwissen über Marketing, Markenaufbau und Plattformen mit. „Wenn wir Marken kaufen, dann steigen wir bei 150 Kilometer pro Stunde ins Auto und übernehmen das Steuer und müssen dann das Gaspedal durchdrücken“, sagt Funke. „Da können Sie niemanden nehmen, der gerade erst seinen Führerschein gemacht hat.“  Doch nicht nur bei den Spezialisten schaut sich Funke verzweifelt um: „Wir suchen auch Buchhalter, Designer, Logistikmanager oder Lagerarbeiter – überall gibt es eine Knappheit an Personal“. Schon für Werksstudenten zahlt er aktuell eine Prämie von bis zu 500 Euro.

Mehr Wachstum, mehr Wachstumsschmerzen: Die deutsche Start-up-Szene spürt immer stärker ein Problem, mit dem sich auch die etablierten Unternehmen herumschlagen. Das Geschäft läuft gut, aber die Fachkräfte fehlen. Jahrelang klagten Gründer hierzulande in erster Linie über zu wenig Kapital. Doch die Finanzierungssummen sind – trotz Krise – weiter gestiegen. Die Zahl der Talente, die derzeit offen für einen neuen Job wären, jedoch nicht. „Die Suche nach Personal wird für uns zu einer Herausforderung, das Geschäftsmodell in der Geschwindigkeit nach vorn zu bringen, wie wir es gerne hätten“, formuliert es Funke.

Fachkräftemangel bremst das Wachstum

Knapp 27 Prozent der jungen Techunternehmen benannten die Personalplanung und -rekrutierung im diesjährigen Start-up-Monitor als eine große Herausforderung – zehn Prozentpunkte mehr als noch im Vorjahr. Im Schnitt wollten die befragen Start-ups neun neue Stellen in den kommenden Monaten besetzen. „Ob sich die geplanten Neueinstellungen realisieren lassen, hängt allerdings ganz wesentlich von der Lage auf dem Bewerbermarkt ab“, heißt es in dem im September veröffentlichten Report. „Fest steht: Die Personalsuche wird schwieriger.“

Egal, in welchem Segment man schaut: Die Karriereseiten sind überall gut gefüllt. Das Münchener Unternehmen Air-Up, das eine Trinkflasche mit Aromapad entwickelt, hat allein für den europäischen Markt 50 Stellen ausgeschrieben – von der Rechtsabteilung bis zum Marketing. Beim schnell wachsenden Process-Mining-Spezialisten Celonis sind es über 300 Stellen weltweit, mehr als 100 allein am Münchener Hauptsitz.

Goldene Zeiten für Bewerber

Gute Nachrichten sind das vor allem für Bewerber. Die können die große Nachfrage nutzen, um ihren Marktwert zu testen. In manchen Bereichen genügen schon ein oder zwei Jahre im Job, um sich als Experte für einen Karrieresprung zu qualifizieren – so neu sind Jobprofile wie „Customer Success Manager“ oder Spezialistin für Instagram-Marketing. Die Kandidaten können es sich dabei erlauben, hoch zu pokern. Sie würden häufig offen kommunizieren, parallele Gespräche zu führen, sagt Julian von Blücher, Gründer der auf die Start-up-Branche spezialisierten Personalberatung Talenttree. „Manche gehen durch einen langen Auswahlprozess – und entscheiden sich dann am Ende doch noch um, weil anderswo ein besseres Angebot vorliegt.“ Um etwa 50 Prozent habe sich der Aufwand, um eine Stelle neu zu besetzen, im vergangenen Jahr durchschnittlich gesteigert, schätzt von Blücher. Stryze-Gründer Funke hat sechs Personalberater mandatiert, die ihm bei der Suche helfen sollen – doch auch die sehen sich einem leergefegten Markt gegenüber.

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Schnell wachsende Start-ups stellt der Mitarbeitermangel vor zahlreiche Probleme. In ihren Businessplänen skizzieren sie gerne ein rasantes Wachstum, sobald das Produkt marktreif ist. Investoren stellen im Niedrigzinsumfeld hohe Millionensummen bereit, um mitzuverdienen. Doch die notwendigen Programmiererinnen, Logistiker oder Controllerinnen mit guten Referenzen und ausreichend Erfahrung sind schlicht nicht zu finden. „Der größte Engpass ist nicht mehr das Geld heutzutage“, sagt von Blücher, „Investoren und Start-ups unterschätzen immer noch, wie schwer es ist, das Personal zu finden.“

Die ersten Mitarbeiter finden Gründer häufig noch im Freundeskreis, auch Hochschule oder ehemalige Arbeitgeber dienen als erste Anlaufstelle beim Recruiting. Wenn Anforderungen und Anzahl der Stellen wachsen, wird es jedoch immer schwieriger. Lange Zeit konnten Start-ups unterdurchschnittliche Gehälter mit dem Versprechen auf eine goldene Zukunft kaschieren – zum Teil abgesichert durch Mitarbeiterbeteiligungen.

Schwierige Balance für Start-ups

Heute reicht das nur noch selten. Die Forderungen der Kandidaten steigen – zum Teil werden sie ja von Konzernen mit entsprechenden Gehaltsstrukturen umworben. „Gründer erleben, dass die Gehälter in wenigen Jahren nach oben springen“, sagt Personalberater von Blücher. Das Problem: In kleinen Teams entsteht so schnell ein Ungleichgewicht – auf der einen Seite die gutbezahlten Neueinsteiger, auf der anderen Seite die treuen Mitarbeiter der ersten Stunde: „Die sind oft noch für Blut, Schweiß und Tränen eingestiegen“, sagt von Blücher, „das ist eine enorme Herausforderung für die Firmenkultur.“

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Ein Vorteil: Die Personalentwicklung in vielen Start-ups professionalisiert sich. Unklare Aussagen oder lange Wartezeiten im Bewerbungsprozess kann sich kein Unternehmen mehr erlauben, weil Kandidaten sonst sofort abspringen. Und auch die ersten Arbeitstage laufen hier und da strukturierter ab: Stryze etwa setzt auf eine Art interne Weiterbildung in den ersten Wochen, um die Zusammenarbeit zu stärken. Und zu prüfen: „Wenn wir zu viele Fragezeichen bei neuen Mitarbeitern in den ersten Wochen und Monaten sehen, springt die Recruitingmaschine bei uns direkt wieder an“, sagt Funke.

Wenig Lust auf Konzernkarrieristen

Die Ausweichmöglichkeiten sind begrenzt: Zunehmend schreiben Start-ups auch reine „Remote“-Stellen aus. Das könne die Zahl der Bewerber vervielfachen, sagt von Blücher. Doch die Herausforderung bleibt, die neuen Kolleginnen und Kollegen aus der Ferne so in das Team zu integrieren, dass sie nicht mit dem nächstbesseren Angebot wieder wechseln. Locken könne man noch mit innovativen Geschäftsmodellen, etwa rund um Kryptowährungen oder Klimawende, beobachtet der Personalberater: „Mit wirklich neuen Themen kann man die Mitarbeiter noch begeistern.“

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Trotz der wachsenden Not: An einer Stelle schauen sich Start-ups bislang selten nach Kandidaten um – bei den zahlreichen deutschen Konzernen, die mitten in Umstrukturierungen stecken und häufig die mittlere Managementebene zusammenstreichen. Doch dort werben die jungen Firmen kaum Leute ab. Das liegt zum einen an der Gehaltsstufe, die junge Techfirmen selbst mit Millionenfinanzierung selten zahlen wollen. Zum anderen aber auch an der vermuteten Arbeitsweise – statt Delegieren ist in Start-ups Anpacken gefragt: „Gründer denken da aus ihrer Perspektive konservativ“, sagt von Blücher, „Sie wollen meist nur Leute mit Start-up-Erfahrung“.

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