Start-Ups Wenn Gründern der Burn-out droht

Start-Up: So schützen Gründer sich vor dem Burn-out Quelle: imago images

Lange Arbeitstage, kaum Auszeiten: Ein Start-up zu gründen bedeutet auch Stress, Druck und Hektik. Wie Unternehmer den drohenden Burn-out vermeiden und was Investoren im eigenen Interesse tun können.

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Eigentlich war Tobias Gillen immer schnell zu begeistern. Er mochte es, neue Ideen zu entwickeln, und ging jeden Tag gerne zur Arbeit in seinem Unternehmen Basic Thinking, das unter anderem das gleichnamige Technologieportal betreibt.

Doch im Frühling dieses Jahres fing Gillen langsam an, sich kraft- und leidenschaftslos zu fühlen. „Die Freude und der Spaß an der Arbeit waren einer Art Gleichgültigkeit gewichen“, sagt der 25-Jährige heute.

Sie hinterließ Spuren. Zunächst körperliche, dann seelische. Gillen war ständig erkältet, seine Stimmung schwankte, er schlief unruhig, er begann, unkluge Entscheidungen zu treffen und Gelegenheiten zur Expansion auszuschlagen, „um mir selber wieder Luft zu schaffen“. Irgendwann wurde ihm klar, dass er eine Pause brauchte. Er sei eben sehr ehrgeizig und habe immer gerne gearbeitet, sagt er: Vielleicht komme es einem mitten im Rattenrennen „nicht so vor, als würde man die ganze Zeit schuften“.

Gründer Tobias Gillen„Die Freude war einer Art Gleichgültigkeit gewichen“ Quelle: Presse

Gillens Situation ist in der Start-up-Szene bekannt, wird aber oft verschwiegen – aus Angst, Schwäche zu zeigen. „Dieses Burn-out-Ding ist nichts für mich“, sagte der legendäre und für seine Unerbittlichkeit bekannte Rocket-Internet-Gründer Oliver Samwer vor einigen Jahren auf der Branchenkonferenz Noah. Sein Statement ist typisch in einer Szene, die Leistungsdruck und seine körperlichen wie seelischen Folgen lange Zeit als Tabuthema behandelte und Machertypen wie Tesla-Gründer Elon Musk wie Helden verehrt: Eine Mission kennt halt keine geregelten Arbeitszeiten. Wer die Welt verändern will, kann nicht pünktlich Feierabend machen.

Aber auch der stärkste Unternehmer gerät irgendwann an seine Grenzen: Der „New York Times“ berichtete Musk kürzlich von 120-Stunden-Wochen im Büro, vom inflationären Konsum von Schlaftabletten und negativen Auswirkungen auf seine Gesundheit.

Die Folgen der Selbstständigkeit sind natürlich nicht immer negativ und schon gar nicht extrem. Aber bedenklich: Der Bundesverband Deutsche Startups befragte kürzlich 1550 junge Unternehmen für seinen Start-up-Monitor. Das Ergebnis: Die Gründer arbeiteten pro Woche im Schnitt 56,3 Stunden, knapp acht Stunden davon jedes Wochenende.

Inzwischen meinen Experten, einen Kulturwandel zu beobachten, der sich langsam vollzieht. Die Schattenseiten der „Work hard, play hard“-Einstellung lassen sich nicht länger ignorieren. Die Neurologin Miriam Goos etwa bietet mit ihrer Firma Stressfighter Experts Seminare für Manager und Unternehmer an, um Burn-outs vorzubeugen und besser mit Stress umzugehen. Dass vor allem Gründer unter hoher Anspannung stünden, sei zwar einerseits gut und motivierend, sagt sie: „Aber gleichzeitig ist der Druck immens.“

Müde Löwen

Zwar gibt es keine repräsentative Studie dazu, wie gestresst deutsche Start-up-Chefs tatsächlich sind. Erfahrungsberichte in sozialen Netzwerken und Onlineportalen liefern jedoch anekdotische Evidenz.

Aktuell sorgt dort der Fall von Manuel Planella für Diskussionen. Der Gründer des Start-ups Manplan stellte vor gut einem Jahr seine Halterungen für Einstecktücher in der Vox-Sendung „Die Höhle der Löwen“ vor, Unternehmerin Dagmar Wöhrl investierte 75.000 Euro. Nun wurde Planella mit Burn-out in eine Spezialklinik eingewiesen. Er habe nichts mehr gesehen, wenn er in den Computer geblickt habe, erzählte er der „Bild“-Zeitung. Auch seine prominente Investorin habe ihm Hilfe angeboten.

Tatsächlich hat die Anwesenheit der Geldgeber nicht nur Vorteile. Wenn Investoren in ein Unternehmen einsteigen, erhöht das den Druck auf die Jungunternehmer. Die Finanziers wollen ihr Geld wiedersehen, am liebsten mit einer hübschen Verzinsung. Wer will sich in dieser Situation schon verletzbar zeigen und Schwächen eingestehen, wenn ihm gerade jemand ein paar Millionen überwiesen hat?

Überdurchschnittlich robust

Andererseits: Langfristig hilft den Kapitalgebern ein ausgebrannter Gründer auch nicht weiter. Das weiß auch der Kölner Investor Tim Schumacher, der in zahlreiche Start-ups investiert hat: „Gründen erfordert eine überdurchschnittlich robuste Persönlichkeit“, sagt er, „man muss viele Dinge aushalten.“ Man dürfe sich dabei „nie selbst fertig machen“, müsse seine eigenen Grenzen kennen.

Schumacher ist auch an Gillens Unternehmen beteiligt. Als der von seinen Ermüdungserscheinungen berichtete, vereinbarte der Investor mit ihm eine Auszeit: Drei Wochen lang arbeitete Gillen zunächst weniger, drei weitere Wochen nahm er sich komplett frei.

Seit Mitte September ist Gillen wieder Vollzeit im Büro. Er versucht nun, bewusster zu arbeiten, und beantwortet etwa bis zu zwei Stunden nach dem Aufstehen keine beruflichen E-Mails oder Anrufe. Gillen weiß selbst, dass diese Art von Verständnis keineswegs die Regel ist, umso dankbarer ist er seinem Kapitelgeber für dessen Rücksichtnahme: „Mir hat das sehr geholfen.“

Tim Schumacher bremst die Hoffnungen auf zu viel Einfühlungsvermögen. Dazu sei das Geschäft zu hart, seien die Märkte zu umkämpft. Trotzdem erkenne ein guter Investor eben auch den Menschen hinter dem Gründer und versuche, notfalls zu helfen – etwa durch ein Sabbatical, ein Coaching oder einen längeren Urlaub. Oft seien es nur vermeintliche Kleinigkeiten, die große Auswirkungen haben: Manche Gründer müssten lernen, Aufgaben besser zu delegieren, manche die Erwartungen an sich und ihr Umfeld dämpfen. Investoren kämen selten von sich aus auf die Idee, nach der seelischen Verfassung der Gründer zu fragen. Deshalb appelliert er an die Jungunternehmer, die Probleme aktiv anzusprechen.

Gillen appelliert ans gegenseitige Vertrauen: „Die Gründer müssen wissen, dass die Geschäftspartner und Investoren hinter ihnen stehen“, sagt er, „dann ist der Rest lösbar.“

Davon ist auch Christian Reber überzeugt. Vor drei Jahren verkaufte er seine To-do-App Wunderlist für einen dreistelligen Millionenbetrag an Microsoft, im Januar dieses Jahres hat er ein neues Unternehmen gestartet. Viele Gründer und Angestellte gingen inzwischen viel bewusster mit sich und ihrem Stress um. Sport, gesunde Ernährung und Urlaub seien vielen wichtig – auch aufseiten der Geldgeber. „Gute Investoren wissen, dass ein gesundes und motiviertes Team genauso wichtig ist wie ein gut gefülltes Bankkonto.“

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