Best of WiWo Wer von „Die Höhle der Löwen“ profitiert

DHDL: Vor allem die Löwen profitieren von der TV-Show Quelle: imago images

Anfangs belächelt, heute ein Erfolgsformat: Die Höhle der Löwen ist für die Teilnehmer ein Gewinn, egal, ob sie einen Deal bekommen oder nicht. Vor allem aber profitieren die Löwen selbst. Ein Text aus dem WiWo-Archiv.

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Freitagmorgen um acht Uhr dreißig, Jochen Schweizer steht in Neopren-Shorty und Boardshorts auf einer Welle und reitet sie. Von links nach rechts lässt er das Brett gleiten als habe er nie etwas anderes gemacht. Neues ausprobieren, neue Fähigkeiten erlernen, der frühere Stuntman Schweizer gießt seine Lebenseinstellung gerne in neue Geschäftsmodelle. 2017 eröffnete der seine Arena südlich von München gegenüber von Ikea und Airbus, inklusive „der weltweit ersten, stationären indoor citywave Wellenreitanlage“.

Seine Arena war einer der Gründe, um 2016 aus der Sendung Die Höhle der Löwen auszusteigen. Dabei war er das Zugpferd der Sendung, der beliebteste Investor, mit den besten Werten für Selbstvertrauen und Kompetenz. Eine große Mehrheit der Zuschauer hätte ihn gerne in dem erfolgreichen Start-Up-Format behalten.

Wenn er nun in der mittlerweile fünften Staffel noch als Löwe säße, würde er einem Start-up, das auf die Schnapsidee käme, Indoor-Surfen im Industriegebiet aufzuziehen, Geld geben? „Unbedingt!“, sagt Schweizer.

So leicht haben es die wenigsten Gründer, die sich nicht allein den bohrenden Fragen der fünf Investoren stellen, sondern auch noch die Nervosität vor laufenden Kameras bezwingen müssen. „Pitchen ist die wichtigste Fähigkeit für diese jungen Unternehmer in der Sendung“, sagt Ex-Löwe Schweizer.

Gute Stimmung, wenig Gründer

Die Sendung ist erfolgreicher als das Gründen selbst. Der Ende Oktober vorgestellte Deutsche Startup Monitor kennt für die Gründerquote nur eine Richtung: abwärts. Ausgenommen sind zwei kleine Ausschlägen nach oben 2010 und ausgerechnet dem ersten Jahr von Höhle der Löwen, 2014. Die Gründerquote zeigt den Anteil der Gründer an der Bevölkerung im Alter zwischen 18 und 65 Jahren. 2001 lag sie bei 2,92 Prozent, ging 2008 auf ein erstes Rekordtief von 1,54 zurück, erholte sich noch mal leicht auf 1,8 Prozent, um 2017 auf ein neues Tief zu fallen. Lediglich 1,08 Prozent der Deutschen zwischen 18 und 65 gründen heute ein Unternehmen. „In der wirtschaftlich guten Situation beobachten wir, dass junge Menschen wieder vermehrt ihre Zukunft als Angestellte sehen“, sagt Paul Wolter vom Deutschen Startup Monitor. Ist die Auswahl an Jobs zu groß, sinkt der Druck, etwas Eigenes auf die Beine zu stellen.

Es sind zu wenig Gründungen, da ist man sich allgemein einig. Aber kann ein Format wie Höhle der Löwen helfen, die Stimmung zu ändern? Und sind die Investments erfolgreich, oder sind es unternehmerische Eintagsfliegen mit ein wenig Flutlicht in der Entstehung?

Alexander Nicolai schaut „Die Höhle der Löwen“ meist nicht allein. „Die Studenten treffen sich zum Rudelgucken“, sagt Nicolai, Professor für Entrepreneurship an der Universität Oldenburg. Ab und zu kommt auch ein ehemaliger Teilnehmer der Sendung dazu, um zu erzählen, wie es ihm ergangen ist. „Keine andere Sensibilisierungsmaßnahme funktioniert so gut wie die Sendung“, sagt Nicolai. Es sei ungefähr so, wie Serien wie Liebling Kreuzberg zu einem verstärkten Interesse an einem Leben als Anwalt geführt haben.

In der Regel haben Fernsehformate über Berufe - insbesondere die aus dem Unterhaltungsprogramm - wenig mit der Realität zu tun, wie jeder Kriminalkommissar, der einen „Tatort“ einordnen soll, bestätigen würde. Die Höhle der Löwen sei aber schon recht nah dran an dem, was Gründer über kurz oder lang erlebten, wenn sie sich auf die Suche nach Investoren begäben, sagt Nicolai.

„Scheitern als Show“ unkten die Kritiker zu Beginn

Jochen Schweizer beugt sich über Körnerbrot mit Avocado und pochiertem Ei; sein eigenes „Powermüsli“ das vor Ort hergestellt wird, empfiehlt er zeitgleich. „Die Pitches sind für die Löwen die einzige Chance, sich zu entscheiden“, sagt Schweizer. Sie wissen vorher nichts und haben in der Sendung nur die Möglichkeit, dem Gesagten zu glauben.

Einige Deals – so nennen sie die Zusage zu einer Beteiligung – seien deswegen in der dreimonatigen Phase zwischen Aufzeichnung und Ausstrahlung doch nicht zustande gekommen. Mal seien die Informationen in der Sendung schlicht falsch, sagt Schweizer, mal hätten sich die Gründer umentschieden. Der Handschlag in der Sendung ist nicht mehr als eine Absichtserklärung; die Verlobung, nicht die Heirat.

Ob Deal oder nicht – für die Start-ups lohnt sich schon der Auftritt in der Sendung. „Start-ups, die dort auftreten, sind gut beraten, ihre Serverkapazitäten vor der Sendung nach oben zu fahren“, sagt Professor Nicolai. Allerdings sei das Portfolio an Ideen in der Sendung nicht repräsentativ für Start-ups. Gründer für digitale Themen oder B2B-Konzepte seien in der Sendung kaum zu finden. Zudem verzerre der Schnitt der Regie die Vorstellung, wie ein Pitch in echt ablaufe. Auch Schweizer fand sich in der Sendung mit seinen Bemerkungen oft an anderer Stelle im Ablauf wieder, als er sie wirklich gesagt hatte.

Obwohl es Detailunterschiede zu den Erlebnissen echter Start-ups gibt, betrachtet Nicolai die Sendung als Gewinn. Sie könne einen Beitrag leisten, die Gründerkultur in Deutschland positiv zu beeinflussen.

Kein Schlag ins Wasser - mit der Mehrheit seiner Deals in

Das war zu Beginn der Sendung im August 2014 noch nicht abzusehen. Das ursprünglich in Japan unter dem Namen „Dragons' Den“ gestartete Format wurde vielfach als reine Unterhaltung belächelt. „‘Die Höhle der Löwen‘ produziert vor allem Verlierer in Serie“, urteilte die Kritik des Spiegel unter der Überschrift „Scheitern als Show“. Doch schon eine der ersten „Verliererinnen“, Anita Lassak aus Meßkirch, konnte mit ihrem Herrenoberhemd Jobbello bei der Höhle der Löwen zwar keinen Deal mit einem der Löwen der ersten Stunde aushandeln, aber durch ihren Auftritt Aufmerksamkeit generieren. „Ich bin nicht unglücklich, dass es nicht geklappt hat“, sagte Lassak damals unmittelbar nach der Sendung.

Erfolg in der Sendung, mehr Erfolg außerhalb von ihr

Auf der anderen Seite steht das Extrem, dass am liebsten alle fünf anwesenden Löwen gleichzeitig zuschnappen würden – aber nicht alle zum Zug kommen können. Der Gründer Markus Dworak konnte so mit einem Nahrungsergänzungsmittel, das besseren Schlaf fördern soll, stolze 1,5 Millionen Euro verbuchen.

Auch die Hersteller des Low-Carb-Pizzateigs „Lizza“ bekamen 2016 nicht nur von Carsten Maschmeyer und Frank Thelen zusammen 200.000 Euro – Ende Oktober diesen Jahres sammelten sie mit Crowdfunding auf der Online-Plattform GLS Crowd zudem 1,7 Millionen von tausenden Kleininvestoren ein. Nun können sie verfolgen, ob sich der Erfolg des Pizza-artigen Produkts auch auf Pasta und Wraps übertragen lässt.

Für die Investoren lohnt die Teilnahme am Schaulaufen der Gründer ebenfalls. „Keinen Deal zu viel“ habe man getätigt, sagte der Investor Ralf Dümmel vor zwei Jahren in einem Interview mit der „Lebensmittel-Zeitung“. Dümmel nutzt die Zeit zwischen Aufzeichnung und Ausstrahlung, um seine Deals nicht nur vor der Kamera, sondern auch im echten Leben sofort umzusetzen. Dümmels Mitarbeiter seien ab der Minute von dessen Zusage dabei, das Produkt marktreif zu machen, um kurz vor Ausstrahlung mit den Produkten in den Geschäften zu sein und so die Aufmerksamkeit des Millionenpublikums nicht verpuffen zu lassen, erzählt Ex-Löwe Schweizer lobend.

Er selber habe die besseren Deals in seinem Investment-Unternehmen allerdings außerhalb der Sendung gemacht, räumt Schweizer ein. „Es ist einfach mehr Zeit, das Geschäftsmodell sorgfältig zu prüfen“, sagt Schweizer. Bis zu 1.000 Pitch Decks träfen pro Jahr bei ihm ein, vielleicht 30 bis 40 würden ernsthaft geprüft und davon würde nur ein Bruchteil bei ihm auf dem Schreibtisch landen, von denen dann wiederum nur wenige zu einem Investment führen würden.

Eine gute Idee macht noch keinen guten Unternehmer aus

Löwe Schweizer hat einige seiner Beteiligungen wieder verkauft, andere hält er bis heute. Eine Regel gäbe es da nicht. Mehrheitsbeteiligungen lehnt er ab, wenn er das Unternehmen nicht persönlich führt, denn da sei man dann auf einmal als Investor schnell allein, wenn es Schwierigkeiten gäbe. 15 bis 25 Prozent Anteil wäre eine sinnvolle Größe. Mit denen allerdings kann er genug Einfluss ausüben, um eine Geschäftsidee nach der Sendung so weit umzumodeln, dass sie funktioniert.

HipTrips hieß so ein frühes Projekt, das in der Sendung von Touristikprofi Vural Öger nach allen Regeln der Kunst auseinander genommen wurde. Schweizer schlug dennoch zu, weil die Gründer bei ihm so einen guten Eindruck hinterlassen hatten. Nach dem Umbau des Geschäftsmodells war das Ergebnis eine Plattform für Erlebnisreisen, die verdächtig ähnlich wie das wirkt, was Jochen Schweizer selbst berühmt gemacht hat. Die Kritikpunkte von Öger an dem ursprünglichen Konzept seien ihm klar gewesen, sagt Schweizer: „Er hatte mit allem Recht.“ Dennoch hat er seine Beteiligung an Hip Trips drei Jahre später für das Mehrfache seines Investments verkaufen können.

Eine gute Idee mache schließlich noch keinen guten Unternehmer aus, so wie ein guter Unternehmer auf keinen Fall auch ein guter Präsentator seiner Idee sein muss, meint Schweizer. Der deutsche Mittelstand lebe schließlich von zahllosen Menschen, die in aller Stille in ihrem Markt hervorragende Arbeit leisteten, ohne sie ans Licht der Öffentlichkeit zu zerren.

Der Segen des Flutlichts

So wirft die Sendung einen grellen Scheinwerferstrahl nur auf einen kleinen Ausschnitt des Gründens – und Durchhaltens. Das meiste Flutlicht bekommen am Ende sowieso vor allem eine Gruppe: die Löwen selbst. Es ist eine Bühne für ihre Darstellung – und auch Eitelkeiten. Das Verhältnis zwischen Frank Thelen und Jochen Schweizer darf man nach Schweizers Ausstieg als mindestens angespannt bezeichnen.

Carsten Maschmeyer, noch nie öffentlichkeitscheu, suchte sein Glück in einer eigenen Sendung, die nach wenigen Folgen wegen mangelnden Interesses gleich wieder eingestellt wurde. Frank Thelen sah sein bisheriges Investorenleben als spannend genug an, um eine Biografie zu veröffentlichen, Startauflage 100.000 Stück, Pappaufsteller seiner Person als Werbemittel. Zum Vergleich: Boris Beckers „Das Leben ist kein Spiel“ startete mit unter 30.000 Exemplaren, Lukas Podolskis „Dranbleiben“ ebenso. Das Selbstbewusstsein des Löwen Thelen kann man den Kandidaten der Show nur wünschen.

Auch Schweizer, der sich schon in den 80er Jahren gerne hat filmen lassen, wenn er mit freiem Oberkörper auf einem Skateboard Bergstraßen hinabrollte, sucht die Nähe zur Kamera. Die Höhle der Löwen habe vor allem auch ihm viel gebracht. Nun steht beim Konkurrenzsender Pro7 – richtig, dem Käufer von Schweizers Digitalgeschäft – seine eigene Sendereihe in den Startlöchern. Gesucht wird ein/e Geschäftsführer/in für eines seiner Unternehmen. Es sind über 4000 junge Menschen, die sich beworben haben, lieber kein Unternehmen selber zu gründen, sondern angestellt zu bleiben. Bei einem Löwen.

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