Startups auf Kundensuche Staats-Milliarden zu vergeben

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Frust beim Durchforsten der Ausschreibungen

Die jetzt gestartete Umfrage dürfte daher einiges an Kritikpunkten der Digitalwirtschaft offenbaren. Wie frustrierend Staatsaufträge für Start-ups sein kann, hat Robert Heinecke oft erlebt. Er ist Mitgründer und Geschäftsführer von Breeze Technologies. Das Hamburger Unternehmen vertreibt Sensoren, die Ruß, Stickoxide, Ozon, Feinstaub und andere Daten zur Luftqualität messen. Übertragen werden die Messwerte per WLAN oder Mobilfunkverbindung. Zum Paket gehört eine umfangreiche Analyse-Software. Für sein System hat das Start-up zahlreiche Preise geworden – und seitdem Fahrverbote für Dieselautos diskutiert werden, ist das öffentliche Interesse riesig.

Doch Heinecke hat es aufgegeben, Ausschreibungsportale zu durchforsten. „Gesucht werden immer althergebrachte Luftmesscontainer“, berichtet der Gründer. Schuld sei vor allem die Bundesemissionsschutz-Verordnung. Darin sei beispielsweise vorgeschrieben, dass Feinstaubwerte gravimetrisch ermittelt werden müssen, also über eine Messung per Feinwaage. Das aber können die Breeze-Sensoren nicht leisten – obgleich sie, wie der Gründer beteuert, dank Künstlicher Intelligenz ähnlich präzise sind. Und: Sie kosten nur einen Bruchteil.

Trotz der Rückschläge sind die Sensoren des 2015 gegründeten Hamburger Start-ups mittlerweile in einem Dutzend Städte zu finden. Statt auf passende Ausschreibungen zu warten, wirbt das elfköpfige Team direkt bei Bürgermeistern und anderen Entscheidungsträgern für sich. Über Direktvergaben oder sogenannte freihändige Vergaben können Behörden Unternehmen auch ohne formellen Ausschreibungsprozess beauftragen. Die Grenzen dafür liegen je nach Bundesland zwischen 10.000 und 100.000 Euro.

Auch Polyteia profitiert von dieser Regelung. „Wenn eine Kommune von unserer Lösung überzeugt ist, findet sie einen Weg, uns zu beauftragen“, so die Erfahrung von Gründer Tuncer. Entgegen aller Vorurteile könne das auch schnell gehen. Bisher hat das Start-up „eine zweistellige Zahl an Projekten“ umgesetzt – zu den Kunden gehören etwa die Städte Wriezen und Oranienburg in Brandenburg sowie die baden-württembergische Gemeinde Rudersberg. „Wir sind zuerst an Kommunen herangetreten, bei denen wir wussten, dass sie für innovative Lösungen offen sind“, sagt Tuncer.

Raum für Experimente

Lohnen kann es für Gründer auch, die Nähe zu Innovationseinheiten zu suchen, von denen mehr und mehr in der Verwaltung entstehen. Hoffmann etwa leitete bis Ende des Jahres noch das GovLab Arnsberg im Sauerland. Gegründet Anfang 2018 von der Bezirksregierung, treibt die Einheit den Austausch von Behördenvertretern mit Start-ups voran. Ähnliche Initiativen gibt es außer in Kommunen auch auf Bundesebene. Prominentestes Beispiel ist das vor drei Jahren gegründet Cyber Innovation Hub, das explizit Start-ups den Zugang zur Bundeswehr und deren Ausschreibungen erleichtern will.

„Solche Innovationseinheiten schaffen im wahren Wortsinn Räume, die außerhalb der hierarchischen Verwaltungsorganisation stehen“, sagt Franziska Holler, Projektmanagerin beim Institut für den öffentlichen Sektor. Die Mitarbeiter könnten wichtige Brücken zwischen Gründern und Behördenleitern bauen. Wie groß die Mentalitätsunterschiede sind, zeigt eine 2018 erstellte Umfrage des Instituts. Darin kritisierten knapp 90 Prozent der befragten Start-ups, die Entscheidungsprozesse und Reaktionszeiten der Behörden. Die wiederum bemängelten mehrheitlich, dass den Gründern ein Verständnis für die Arbeitsweise der öffentlichen Verwaltung fehle. „Die Zusammenarbeit kommt auf breiter Front nur voran, wenn beide Seiten mehr miteinander sprechen“, sagt Holler.

Kooperationen statt Alleingänge

Eine weitere Strategie, auf die B2G-Start-ups setzen: Sie hängen sich an größere Unternehmen ran, die bereits im öffentlichen Sektor aktiv sind. So sucht Breeze aktuell die Nähe zu Microsoft. Die Eintrittskarte ist ein Nachhaltigkeitsprogramm, mit der IT-Riese umweltrelevante Projekte finanziert. Dem Start-up hat das ermöglicht, im Hamburger Stadtbezirk Altona ein Luftmessnetz aufzubauen. 35 Sensoren an Privat- und Geschäftsgebäuden, überwachen dort nun ein Gebiet von 14,1 Quadratkilometern. Zum Vergleich: In ganz Hamburg gibt es nur 15 offizielle Messstationen.

„Wir wollen zeigen, wie sich Verkehrsströme und Staus sich vor Ort auf die Luftqualität auswirken“, sagt Gründer Heinecke. Beweisen sich die Sensoren in Altona, könnte das Vorzeigeprojekt wichtige Argumente für andere interessierte Städte liefern. Beim Vertrieb erhofft sich das Start-up Schützenhilfe des Softwarekonzerns. „Microsoft zählt Kommunen weltweit zu seinen Kunden – und ist in vielen Smartcity-Projekten engagiert“, sagt Heinecke. „Das könnte für uns ein wichtiger Türöffner werden.“

Auch Polyteia treibt aktuell Kooperationen voran. Im Fokus dabei stehen öffentliche IT-Unternehmen, die etwa kommunale Rechenzentren betreiben oder die Software für einzelne Fachverfahren herstellen. Das Start-up hofft, dort mit seiner Plattform Teil des Portfolios zu werden. Das mühsame Tingeln von Rathaus zu Rathaus – für das Start-up mit seinen zehn Mitarbeitern könnte das dann endgültig der Vergangenheit angehören.


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