Startups Die Serientäter

Sie gründen eine Firma nach der anderen – meist, um sie danach mit hohem Gewinn wieder zu verkaufen. Was die Mehrfachgründer mit Alkoholikern gemein haben und warum ihr Erfolgsmodell kein Hexenwerk ist, sondern oft nur eine freche Strategie.

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Gerrit Schumann Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche

Die besten Ideen hat Gerrit Schumann, wenn er sich entspannt. Zum Beispiel am Strand. Das dachte er auch, als er im Alter von 31 Jahren versuchte, auf Mallorca das Leben eines Neureichen zu führen. Doch es ging nicht.

Erst ein Jahr zuvor hatte der Jungunternehmer den großen Coup seines Lebens gelandet, binnen kurzer Zeit das Startup Element 5 gegründet, hochgezogen und dann verkauft. Das Unternehmen bietet eine Plattform, um Computerprogramme über das Internet zu versenden. Eine Marktlücke mit reichlich Potenzial. Das sah auch der amerikanische Konzern Digital River so, der Schumann im April 2004 das Unternehmen für 120 Millionen Dollar abkaufte.

Nicht vom Tellerwäscher, sondern vom Tüftler zum Multimillionär in wenigen Monaten – das ist der amerikanische Traum 2.0, den inzwischen so einige Startup-Unternehmer auch hierzulande träumen.

Doch was kommt danach? Wird aus dem Traum Realität, sind die wenigsten damit zufrieden. Weder am mallorquinischen Strand noch im neuen Penthouse oder schicken Designer-Loft.

Auch an Schumann nagte der Zweifel: War das jetzt nur Glück, oder kann ich das auch ein zweites Mal schaffen?

Heute sagt er von sich, er sei damals wie ein Junkie gewesen: Ihm fehlte „das Adrenalin, das Risiko“. Also nahm er etwas Spielgeld von seinem Konto und gründete ein zweites Mal.

Damit gehört der Unternehmer zu einer Gattung, die es in den USA schon seit Jahrzehnten gibt und die inzwischen auch in Deutschland wächst und gedeiht: die Zunft der Serienunternehmer.

Blaue und rote Ozeane

Angetrieben von ihrem Ehrgeiz, vom sprichwörtlichen „Kick“, der Aussicht auf das schnelle Geld und zuweilen einigen Selbstzweifeln gründen sie eine Firma nach der anderen – meist, um sie schon nach kurzer Zeit mit hohem Gewinn wieder abzustoßen.

Dabei räumen sie zugleich mit der Vorstellung auf, erfolgreiches Gründen sei vor allem eine Frage des Glücks, des zufällig richtig gewählten Zeitpunktes – ein One-Hit-Wonder.

Doch das stimmt eben nicht. Mit guten Ideen, einem gehörigen Quäntchen Chuzpe und einer handvoll simpler Grundsätze kann man mehr als nur einmal unternehmerischen Erfolg haben, sagen zahlreiche Gründerforscher.

Leichter gesagt, als getan. Wie kann es dann aber sein, dass Serienunternehmer immer wieder gute Einfälle haben, während es den meisten schon schwerfällt, nur ein einziges, tragfähiges Geschäftsmodell auf die Beine zu stellen?

„Dahinter steckt kein Hexenwerk“, sagt Peter Englisch, Gründungsberater bei Ernst & Young. Er ist überzeugt: „Das lässt sich genauso gut systematisch angehen.“

Seiner Ansicht nach richten sich die meisten Serienunternehmer – bewusst oder unbewusst – nach einer Reihe von Grundsätzen, die schon die Wissenschaftler Chan Kim und Renée Mauborgne in ihrem Buch „Blue Ocean Strategy“ zusammengefasst haben.

Im Mittelpunkt ihrer Überlegungen steht eine Metapher: Demnach besteht die Wirtschaft aus blauen und roten Ozeanen. Die roten sind überfüllt, in ihnen herrscht harter Konkurrenzkampf. Der Wettbewerb färbt ihr Wasser blutig. Die blauen dagegen sind noch nicht erschlossen, ihr Wasser ist frisch und blau. Junge Unternehmer können sich darin tummeln, ohne von der Konkurrenz sofort verjagt oder gefressen zu werden.

„Serienunternehmer sind besonders gut darin, blaue Ozeane zu entdecken und Märkte zu identifizieren, auf denen kein starker Wettbewerb herrscht – manchmal nur, indem sie Lücken in bestehenden Angeboten entdecken“, sagt Englisch.

Doch wie gehen sie dabei vor? Drei Grundsätze lassen sich in Anlehnung an Kim und Mauborgne formulieren:

• Erstens: Die meisten Serienunternehmer bauen auf bereits bestehende Technologien auf und finden einen anderen Weg, sie zu nutzen. Nur selten entwickeln sie etwas völlig Neues. Häufiger besteht ihr Geschäftsmodell gerade darin, erfolgreiche Konzepte aus dem Ausland zu kopieren.

• Zweitens: Sie konzentrieren sich auf Nischen, gehen also nicht in Märkte, die bereits durch viele Anbieter und starken Wettbewerb geprägt sind. Nischen finden sie, indem sie zum Beispiel überlegen: Welche Angebote gibt es woanders auf der Welt? Könnte es auch hier eine entsprechende Nachfrage geben?

• Drittens: Bei jeder ihrer Gründungen bleiben sie auf bekanntem Terrain. Heißt: Wer einmal ein Internet oder Biotechnologie-Startup gestartet hat, bleibt auch beim zweiten Mal seiner Branche treu.

Zu den prominentesten deutschen Beispielen dieses Prinzips gehören die Brüder Oliver, Marc und Alexander Samwer – obgleich sie heute kaum noch operativ tätig sind. Damals gründeten sie einen deutschen Klon des Online-Auktionshauses Ebay – und verkauften Alando binnen eines Jahres an das Original. Danach riefen sie den Klingeltonriesen Jamba ins Leben und hatten ebenso beim Facebook-Klon StudiVZ ihre Finger mit im Spiel. Erst kürzlich verkauften sie ein detailgenaues Abbild der US-Firma Groupon, die im Internet Rabattgutscheine für Restaurants, Fußballspiele und Wellnessclubs verbreitet, an das amerikanische Vorbild.

Lars Hinrichs

Einen anderen Weg ging Lars Hinrichs, der unter anderem die Web-Site Politik-digital.de erschuf, bevor er das Business- Netzwerk Xing gründete. Im vergangenen Jahr verkaufte er seine Anteile für 48 Millionen Euro an den Verlag Hubert Burda Media. Zurzeit entwickelt er eine neue Geschäftsidee: Hackfwd – ein Netzwerk, in dem Gründer sich Geld beschaffen können.

Neben so bekannten Köpfen wie den Samwers und Hinrichs gibt es inzwischen eine ganze Reihe professioneller Wiederholungstäter, die oftmals fernab der Öffentlichkeit ihrem Geschäft nachgehen. Viele von ihnen gründen nicht mehr nur selbst, sondern stehen als sogenannte Business Angels anderen Jungunternehmern mit Geld und Expertise zur Seite.

Zum harten Kern der deutschen Szene zählen rund 30 Seriengründer, die vor allem im Internet aktiv sind.

Zum Beispiel Alexander Artopé, Gründer der Softwarefirma Datango und der Privatkreditvermittlung Smava. Oder Stefan Glänzer, Gründer des Auktionshauses Ricardo sowie Investor des Internet-Radios Last.fm. Oder Stephan Uhrenbacher. Der Gründer des Bewertungsportals Qype gewann erst kürzlich mit seinem neusten Projekt Avocado Store den Gründerpreis der WirtschaftsWoche.

Sucht nach Adrenalin

Vielen von ihnen geht es so wie Gerrit Schumann. Sie brauchen den Nervenkitzel, das Wagnis einer neuen Geschäftsidee, mit der kalkulierten Chance zu reüssieren – oder alles zu verlieren. „Manche holen sich den Kick beim Skifahren – wir beim Gründen“, sagt Mikko Linnamäki, Chef und Schöpfer des Multimedia-Dienstleisters Liquid Air Lab. Auch er hat schon zwei Internet-Firmen gegründet.

Persönlichkeiten wie Linnamäki folgen oft einer subtilen Kraft, die Psychologen als starke Leistungsmotivation bezeichnen: Das Gefühl, ein schwieriges Projekt bewältigt zu haben, verschafft ihnen innere Befriedigung – eine Erfahrung, die regelrecht süchtig machen kann, wie Oliver Schultheiss, Professor für Motivationspsychologie an der Universität Erlangen, weiß.

„Auf Menschen, bei denen dieses Merkmal stark ausgeprägt ist, wirkt die Wahrnehmung einer schwierigen Aufgabe wie der Anblick einer Schnapsflasche auf den Alkoholiker“, sagt er. Ihnen gehe es nicht so sehr ums Geld. Vielmehr suchen sie immer wieder den positiven Affekt, das Gründen wird für sie zur Droge.

Seiner Ansicht nach wäre es aber falsch, professionelle Mehrfachgründer deswegen als Zocker zu betrachten – im Gegenteil: „Sie nehmen bewusst mittlere, kalkulierbare Risiken in Kauf; setzen sich Ziele, die sie aller Wahrscheinlichkeit nach erreichen können.“

Netzwerk macht erfolgreich

Im Unterschied zu anderen Unternehmern verlieren sie aber den Spaß an der Sache, sobald das Ziel erreicht ist. Wenn die Firma steht und Umsatz macht, steigen sie in der Regel aus. Langfristiges Management ist nicht ihre Stärke. Der Grund: „Es fällt ihnen schwer, Verantwortung zu delegieren“, ist Schultheiss überzeugt.

Dafür haben sie es umso leichter, an Geld zu kommen. Um die Finanzierung ihres Spieltriebes brauchen sich die bekanntesten Vertreter ihrer Zunft jedenfalls nicht zu sorgen. Mit ihren Persönlichkeitsmerkmalen, ihrem Konzept und der Erfahrung sind sie der perfekte Investitionspartner für Wagnisfinanzierer.

Die sogenannten Venture Capital-(VC-)Gesellschaften sammeln Geld von Investoren ein und finanzieren damit regelmäßig Startups. Sind die Unternehmen reif, werden die Anteile gewinnbringend verkauft. Und das gelingt mit lukrativer Regelmäßigkeit besonders gut bei den Seriengründern.

Gleich aus zwei Gründen: Beide haben kein Interesse, ihre Zeit und ihr Kapital lange in einem Projekt zu binden. Rein, rauf, raus und dabei viel Geld verdienen – lautet der kleinste gemeinsame Nenner.

Lukasz Gadowski

„Unser aktueller Fonds umfasst 130 Millionen Euro“, sagt etwa Hendrik Brandis, Managing Partner der VC-Firma Earlybird. „Mit dem Geld haben wir bis dato 19 Startups finanziert – allein neun davon wurden von Serienunternehmern gegründet.“ Dazu zählt Brandis alle, die schon mindestens einmal ein Unternehmen gestartet haben und es nun wieder tun. Und in vorherigen Fonds, die Earlybird aufgelegt hat, sei ihr Anteil deutlich geringer gewesen.

Eine Tendenz, die auch Olaf Jacobi in seinem Unternehmen beobachtet. Er ist Partner der Münchner Venture-Capital-Gesellschaft Target Partners und hat in seinem aktuellen Fonds derzeit rund 75 Prozent finanzierte Serienunternehmer.

Seiner Ansicht nach gibt es aber noch einen weiteren Grund, der Seriengründer so attraktiv macht: Sie brächten nicht nur ihre Erfahrung aus vorherigen Startups mit, sondern auch ihr Netzwerk. Das mache sie deutlich erfolgreicher als andere.

Was Olaf Jacobi aus seiner persönlichen Erfahrung ableitet, haben Forscher der Harvard-Universität und der Federal Reserve Bank von New York bereits statistisch nachgewiesen – mithilfe der Datenbank der Dow Jones’ Venture Source. Dort werden diverse Informationen über US-Startups gesammelt, die Geld von Risikokapitalgebern bekommen haben.

Anhand der Daten untersuchten die Wissenschaftler, ob und wie sich die Erfolgsaussichten von Mehrfachgründern im Vergleich zu Erstgründern unterscheiden, Resultat: Die Chance, dass ein Serienunternehmer mit seiner nächsten Idee wieder Erfolg haben wird, liegt bei 30 Prozent; Erstgründer reüssieren allenfalls in einem Fünftel der Fälle.

Auch hierfür ist Gerrit Schumann ein Paradebeispiel. Als er seiner Auszeit auf Mallorca überdrüssig wurde, gründete er Music Networx. Sein zweites Unternehmen verkauft USB-Sticks an Besucher von Live-Konzerten. Mit den Sticks können sich die Fans auf der Firmenseite registrieren und anschließend Originalaufnahmen des Konzertes legal herunterladen. Bekannte Künstler und Bands nehmen die Dienstleistung schon in Anspruch, darunter Kiss oder Elton John. Mehr als 200 000 Kunden haben sich bereits registriert.

Startups vom Band

Wie professionell sich das Gründungsgeschäft betreiben lässt, zeigt zum Beispiel Lukasz Gadowski. Er gehört zu den Medienpromis unter den Serientätern, gründete Spreadshirt, ein Portal für individuell gestaltbare Kleidung, und war auch am sozialen Netzwerk StudiVZ beteiligt, das er 2007 an den Holtzbrinck-Verlag (zu dem auch die WirtschaftsWoche gehört) verkaufte.

Inzwischen ist er Partner und Mitgründer der Team Europe Ventures, einem Unternehmen, dessen Ziel es ist, Firmen am Fließband zu erschaffen. Gadowski investiert dabei einfach in bestehende Startups oder wirbt externe Unternehmer an, die dann seine Ideen umsetzen.

Rund zehn Millionen Euro hat Team Europe derzeit unter die Startup-Szene gebracht, mehr als 50 Internet-Firmen gehören zum Portfolio, darunter die Plattform Mymuesli, der Eventmanager Amiando und der Online-Optiker MisterSpex.

Der Betrieb beruht auf knallharter Kalkulation, das Risiko ist gestreut: „Wir konzentrieren uns auf Ideen, die schnell skalieren – die also schnell wachsen und steigenden Umsatz generieren“, sagt Gadowski. „Für uns kommen nur solche Gründungen infrage, die das Potenzial haben, innerhalb von drei Jahren einen Wert von mindestens 100 Millionen Euro zu erreichen.“

Auch für sich hat Gadowski ein klares Ziel formuliert: Gründen will er „mindestens zwei Unternehmen pro Jahr“. Erst dann sei er mit sich „zufrieden“.

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