Technikchef von Teamviewer im Gespräch „Wir wollen dahin, wo es nicht mehr um den PC geht“

Der Fernwartungs-Experte: Mike Eissele ist Technikchef bei TeamViewer. Quelle: PR

Die Fernwartungs-Software von Teamviewer boomte im Corona-Jahr – der Ansturm traf die Göppinger Firma mitten im Strategiewandel. Denn das Tech-Unternehmen will weg von den Computerbildschirmen rein in die Produktionshallen. Und zwar möglichst schnell.

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Mike Eissele ist Technikchef bei TeamViewer. Der promovierte Informatiker arbeitet bereits seit 2009 für das Göppinger Softwareunternehmen mit etwa 1000 Mitarbeitern, das in diesen Tagen seinen 15. Geburtstag feierte. TeamViewer bietet Fernwartungssoftware für die Büro- und Industrieumgebung an. Das Unternehmen ist im September 2019 an die Börse gegangen.

WirtschaftsWoche: Homeoffice, Reisebeschränkungen, Lockdown: Der Austausch und die Zusammenarbeit über das Internet erlebten in diesem Jahr weltweit einen enormen Zuwachs. Ist TeamViewer da auch an seine Grenzen gestoßen?
Mike Eissele: Für alle in der Firma war es ein besonderes Jahr, so auch für die Kollegen, die den Betrieb der Infrastruktur verantworten. Gerade in der frühen Phase der Pandemie haben wir eine sehr hohe Nachfrage und deutlich mehr Last auf dem System gespürt  – und dieser Anstieg kam in ganz kurzer Zeit. Unser globales Routernetzwerk konnte jedoch die Last in den unterschiedlichen Regionen automatisch über die Zeitzonen ausbalancieren, um Lastspitzen abzufangen. Da konnten wir auf unser Routernetzwerk zurückgreifen, um Überlastungen abzufangen. Und es erwies sich als Vorteil, dass wir nicht auf einen einzelnen IT-Infrastrukturanbieter angewiesen sind, sondern mehrere Ressourcen parallel einsetzen konnten.

Hat Sie der Ansturm überrascht?
Gerade am Anfang dieser weltweiten Pandemie gab es eine Zeit, in der wir uns sehr fokussieren mussten: Wo geht das Wachstum genau hin, wie sieht das veränderte Nutzerverhalten aus, wie bringt man die vielen Neukunden an Bord? Das waren vielleicht zwei Wochen, wo wir sehr genau die Veränderungen beobachtet haben und auch mal intern Ressourcen umschichten mussten. 

Mit Zoom und Teams wurde auch der geteilte Bildschirm Alltag in vielen Büros – wenn auch ohne die Möglichkeit, direkt auf einen anderen Rechner zuzugreifen. Bremst Sie die Konkurrenz nicht?
Wir sind sehr bekannt für die Fernwartung auf PCs, aber wir haben uns über die Jahre weiterentwickelt - und sind inzwischen auch da vertreten, wo es gar nicht mehr um den PC selbst geht, sondern um Maschinen und Anlagen in der Produktion und ganz allgemein um das Internet der Dinge: Werkzeugmaschinen, Schneekanonen, oder auch Röntgengeräte auf der Internationalen Raumstation ISS.

Wie hat sich das Jahr 2020 in diesen Bereichen ausgewirkt?
Doch Corona wurden solche Anwendungsfälle noch viel wichtiger. Es geht nicht mehr nur um Online-Meetings, sondern um die Möglichkeit, möglichst viel aus der Ferne diagnostizieren zu können. In einem Jahr, in dem auch Servicetechniker oft nicht reisen konnten, hat das massiv an Bedeutung gewonnen.

Ende September meldete TeamViewer etwa 560.000 Abonnenten. Welche Bedeutung hat das Geschäft im Internet der Dinge?
Die Zahl der im Internet der Dinge eingesetzten kommerziellen Versionen unserer Software steigt stetig. Unser Kernprodukt, das wie die Firma jetzt gerade 15 Jahre alt ist, wird aber häufiger auch in einem industriellen Umfeld eingesetzt. Da wird dann an die Maschine ein PC geschaltet, über den der Benutzer auch Windows und damit TeamViewer nutzen kann – eine Behelfslösung.

Aber sie scheint zu funktionieren. Warum so viel Aufwand betreiben, um neue Technologie zu entwickeln?
Unsere Software soll auch den Zugriff auf die Maschinen und Anlagen erlauben, die gar keinen Bildschirm besitzen. Da geht es etwa um die Möglichkeit für Hersteller, zusätzliche Funktionen aus der Ferne auf die Geräte aufzuspielen. Oder um die Möglichkeit, aus dem Maschinenpark Daten herauszuziehen, die dann analysiert und für Szenarien wie vorausschauende Wartung genutzt werden können.

Das Internet der Dinge vernetzen und die in der Produktion verborgenen Daten erschließen – das Ziel verfolgen zahlreiche Unternehmen. Welche Chance sehen Sie da für Ihre Produkte?
Wir sind überzeugt, dass die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen in diesem Bereich wichtig ist. Insel-Lösungen aufzubauen, macht einfach keinen Sinn, darum arbeiten wir herstellerunabhängig. Im industriellen Umfeld arbeiten wir hierzu direkt mit Autoherstellern sowie mit Spezialisten für Retrofit-Module zusammen und ermöglichen dadurch die Digitalisierung der Maschine unabhängig von Alter oder Hersteller. Aber auch in anderen Bereichen außerhalb der Industrie verfolgen wir den Konkurrenzgedanken nicht so stark, sondern sehen uns eher als Ergänzung. Beispielsweise arbeiten wir mit Microsoft sehr eng zusammen, etwa über die Integration von TeamViewer-Anwendungen in deren Kollaborationslösung Microsoft Teams. 

Was ist mit Maschinenherstellern, die ihre eigenen Anlagen ja bis in das kleinste Detail kennen?
Wenn Maschinenbauer etwas annähernd ähnliches alleine aufbauen wollen, brauchen sie sehr viel Wissen – etwa im Bereich Datenschutz oder Komprimierungsalgorithmen. Es geht um möglichst geringe Reaktionszeiten, um in Echtzeit arbeiten zu können. Und auch um eine durchgehende Verschlüsselung der Datenverbindung. Für kleinere Unternehmen ist es schnell ein zu großer Aufwand, diese Infrastruktur selbst aufrechtzuerhalten.

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Im kommenden Jahr könnte Teamviewer einige Zukäufe stemmen, hat Ihr Vorstandschef jüngst in einem Interview gesagt. In diesem Sommer haben Sie bereits den Bremer Datenbrillen-Spezialisten Ubimax übernommen – der erste Zukauf in 15 Jahren Firmengeschichte. Warum das?
Für uns schließt sich damit ein Kreis. Die Datenbrillen ermöglichen es, aus der Ferne Unterstützung zu leisten. So lassen sich Techniker oder Monteure über eine Distanz sehr detailliert anleiten, und man kann optische Markierungen im Sichtfeld setzen. Ich glaube schon, dass all das der nächste Schritt für uns ist: Seien es Smart Glasses oder auch andere Geräte, die Augmented Reality ermöglichen – wie etwa die Lidar-Scanner, die in den neusten Apple-iPads und -iPhones verbaut sind. Die Vernetzung von Maschinendaten mit AR-gestützten Anwendungen wie Schritt-für-Schritt-Anleitungen bei Prozessen oder eben auch Remote AR Support ist für uns ein wesentlicher Schwerpunkt für die nächsten Jahre. Dies werden wir in branchenspezifischen Lösungen weiter ausrollen.

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