Technologie für Frauengesundheit „Vor älteren Männern zur Menopause zu pitchen, ist schwierig“

Femtech: Die digitale Vermessung des Zyklus und der Fruchtbarkeit. Quelle: imago images

Zyklustracking, Fruchtbarkeitsmessung, Abos für Tampons: Ideen rund um den weiblichen Körper taten Investoren lange Zeit als Frauenkram ab. Doch nun werden sie auf das lukrative Geschäft aufmerksam – und ermuntern so auch immer mehr Gründerinnen.

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Es ist nicht lange her, dass Ann-Sophie Claus erstmal Nachhilfe in Bio geben musste, obwohl sie eigentlich über Investments verhandeln wollte. Ihr Start-up The Female Company (TFC) vertreibt Tampons, Menstruationstassen und Periodenunterwäsche im Abo. Keine Rocket Science, wie sie in der Start-up-Szene so gerne sagen. Und doch blickte Claus oft in die ratlosen Gesichter der meist männlichen Wagniskapitalgeber. Heute sitzen sie und ihre Mitgründerin Sinja Stadelmaier deutlich öfter vor Partnerinnen von Venture-Capital-Gesellschaften (VCs). „Dadurch steigen die Chancen auf ein Investment. Weil wir beim Pitch nicht bei Sexualkunde der sechsten Klasse anfangen müssen“, sagt Claus. Zwei Millionenfinanzierungen in Folge konnte sich das 2018 in Berlin gegründete Start-up mit 25 Mitarbeitern sichern. Investiert sind Burda Principal Investments, IBB, Acton Capital und Angel Capital Management aus Mailand. Ende des Jahres wollen die Gründerinnen erste Selbsttests für frauenspezifische Krankheiten auf den Markt bringen.

Vom Tabu zum Trend

Femtech, also technologische Angebote für Frauengesundheit, ist ein noch junger und bislang unterfinanzierter Markt. Aber er profitiert stark vom Trend zur digitalen Medizin. Die Start-ups der Branche analysieren den Zyklus und die Fruchtbarkeit, indem sie Hormone im Atem, Speichel oder Urin messen. Sie arbeiten auch an neuen Verhütungsmethoden, der Früherkennung von Krebs, begleiten durch die Schwangerschaft, zeichnen Wehen auf oder bekämpfen Symptome wie Hitzeschübe in den Wechseljahren. Produkte und Dienste, für die vielen Männern bislang die Vorstellungskraft fehlte. Doch nun begreifen auch mehr und mehr Risikokapitalgeber, welches Potenzial in diesem Markt steckt. Entsprechend zügig holen Investoren die verpassten Chancen jetzt auf.

llein in den ersten sechs Monaten des vergangenen Jahres flossen fast 380 Millionen Dollar in 57 Deals weltweit in Femtechs, wie die Kapitalmarktforscher von Pitchbook ermittelten. Das war ähnlich viel wie im ganzen Jahr 2018. Zum Vergleich: Zehn Jahre früher erhielt die Branche gerade einmal 23 Millionen Dollar pro Jahr an Investorengeldern. Verändert habe sich vor allem die Sicht auf das Marktpotenzial, sagt die Professorin für Entrepreneurship und Innovation der IUBH, Alexandra Wuttig: „Die Investoren wollen nicht plötzlich den Frauen helfen oder etwas für die Gesellschaft tun. Tatsächlich ist das Segment eine Gelddruckmaschine.“ 50 Milliarden US-Dollar soll der Markt in vier Jahren wert sein, rechnen die Berater von Frost & Sullivan. Auf lange Sicht könnten die Start-ups einige Umbrüche auslösen: Indem sie Wissenslücken rund um den weiblichen Körper schließen – aber auch insgesamt die Frauen in der Gründerwelt stärken, erwartet die Wissenschaftlerin.

Nichts für die Nische

Die Femtech-Vorreiter mussten einige Hürden überwinden. Missverstanden und unterschätzt zu werden, ist nur eine davon. Für Gründerin Eirini Rapti beispielsweise war es anfangs schwierig, überhaupt fachliche Gespräche mit Investoren zu führen. Seit 2016 arbeitet sie mit ihrem Team aus inzwischen 15 Mitarbeitern an einem Gerät zur Fruchtbarkeitsmessung über den Speichel, das im vergangenen Jahr unter der Marke Inne in den Verkauf ging. Eine Smartphone-App zeigt nach dem Test an, wie hoch an dem Tag die Chance auf eine Schwangerschaft ist.

Dazu bekam sie Fragen wie diese: Warum sollten Frauen täglich so einen Test machen wollen? Wofür geben sie sonst jeden Monat Geld aus? Heute kann Rapti darüber lachen. „Frauen nehmen jeden Tag die Pille“, sagt die Gründerin. „Das war reine Ignoranz, wie der weibliche Körper funktioniert und wie der Alltag von Frauen aussieht.“ Manche Investoren hätten gar nicht zugehört und ihr dennoch erklären wollen, wie ihr Produkt zu funktionieren habe. Dieses „Mansplaining“, sagt sie, habe sie damals wütend gemacht. Heute bemerkt sie auch bei vielen männlichen Investoren ein Umdenken.

In Zukunft will sich Rapti weiter auf die Hormonanalyse spezialisieren – ein Ansatz, an den auch ihre Kapitalgeber glauben. Zuletzt flossen acht Millionen Euro an das Start-up: von Blossom Capital aus London, dem Leipziger VC Monkfish Equity, hinter dem die Trivago-Gründer stehen, und Transferwise-Mitgründer Taavet Hinrikus sowie Tom Stafford von DST.

Wie sich die Stimmung dreht, spürt auch Bastian Rüther, Geschäftsführer von Carbomed. Die 2014 gegründete Firma aus Graz entwickelt ein Gerät zur Fruchtbarkeitsmessung per Atemluft, unter der Marke Breathe Ilo. Nächstes Jahr soll auch ein Messgerät zur hormonfreien Verhütung auf den Markt kommen. Noch vor drei Jahren ist Rüther damit bei Wagniskapitalgebern oft abgeblitzt: „Viele Investoren haben gesagt, sie finden das Produkt spannend – aber der Markt sei ihnen zu riskant.“ Denn Suchmaschinen im Netz hätten Anzeigen und Bilder teils rigoros gesperrt. Dass nun der Ton gerade in sozialen Netzwerken offener wird, hilft dem Start-up. Acht Millionen Euro an Investorengeldern konnte sich Carbomed bereits sichern, unter anderem vom Gründerfonds der österreichischen Förderbank AWS. Zwei Jahre nach Produktionsstart klopfen laut Rüther auch Risikokapitalgeber von sich aus an.

Denn nach langer Entwicklungszeit steht für Femtechs wie Carbomed jetzt die Bewährungsprobe an: Können sie zahlende Kundinnen gewinnen? Dass ihre Nutzerinnen für die Dienste auch Geld hinlegen, vermuten die meisten Femtech-Gründer am ehesten bei Produkten, die helfen zu verhüten oder schwanger zu werden. Dagegen tun sich andere digitale Gesundheitsdienste wie Therapie-Begleiter oder Ernährungscoaches mit Selbstzahler-Modellen im deutschen Kassensystem oft schwer – was sich mit der sogenannten App auf Rezept ändern soll. Dabei verordnen Ärzte ihren Patienten die digitalen Anwendungen. Dass es bei den Einnahmequellen der Femtechs jedoch noch häufig hapert, beobachtet die Partnerin des niederländischen Investors Capital T, Eva de Mol. Viele der Start-ups gingen einen Umweg und richteten sich beispielsweise an Versicherungen. Oder werben um Arbeitgeber, die die Dienste in ihre Gesundheitsangebote für Mitarbeiterinnen integrieren.

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