
WiWo Online: Frau Onaran, Sie haben in einem Interview mal gesagt, dass es deutlich leichter sei, sich im E-Commerce selbstständig zu machen, weil man nicht so viel Kapital in die Hand nehmen muss und deshalb als Neugründer nicht so viele schlaflose Nächte hat...
Tijen Onaran: Tatsächlich mache ich die Erfahrung, dass der Beginn in der Onlinewelt etwas leichter ist, als in der sonstigen Welt, weil man mit relativ geringem Aufwand starten kann. Wer eine gute Idee für ein Produkt oder eine Dienstleistung hat, die man online vertreiben kann, kann man sich selbst schnell eine Website zusammen basteln. Dafür braucht man auch nicht wahnsinnig viele IT-Kenntnisse und kann auch mit wenig Man- oder Womanpower relativ schnell etwas hochziehen.
Ab einem gewissen Punkt muss man natürlich wachsen und schauen, dass man sich Kapital dazu holt. Aber ich glaube, gerade am Anfang ist sehr einfach, mit geringen Mitteln von Zuhause aus den Laptop aufzumachen und zu sagen: „Ich hab ne coole Idee und ich stell das jetzt einfach mal ins Netz und probiere es aus.“ Fehler zu machen und dann aufzustehen und weiterzumachen ist in der digitalen Welt viel einfacher als woanders.
Zur Person
Tijen Onaran hat Volkswirtschaftslehre studiert und anschließend für das Bundespräsidialamt und die Quadriga Hochschule Berlin gearbeitet. Sie war Referentin beim Verband der Automobilindustrie und Sprecherin des Händlerbundes e.V. Mittlerweile berät sie mit ihrem eigenen Unternehmen startup affairs andere Unternehmen in Kommunikationsfragen. Sie ist außerdem Gründerin und Initiatorin des Netzwerks Women in Digital und der Initiative Women in E-Commerce und engagiert sich bei Startup Teens e.V.
Ihr Tipp für angehende Gründer lautet also: Einfach ausprobieren?
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Ja, einfach ausprobieren, sich gut vernetzen, gute Supporter ins Boot holen, die einen wirklich von Anfang an unterstützen und vor allem auch sichtbar sein und werden.
Das ist so ein Frauenproblem mit der Sichtbarkeit...
Ich erlebe es immer wieder auf Panels, dass wir da nur Männer haben. Ich finde, das sollte man nicht nur immer auf die Gesellschaft schieben und sagen: „Die Gesellschaft an sich muss was ändern“, sondern wir Frauen müssen da auch mal mit uns hart ins Gericht gehen und gucken, ob das nicht vielleicht auch ein bisschen daran liegt, dass wir uns manchmal einfach nicht trauen. Da einfach ein bisschen entspannter mit sich selbst zu sein und über den eigenen Schatten zu springen, hilft.
"Mädels, traut euch"
Haben Sie deshalb Initiativen und Netzwerke wie Women in E-Commerce und Women in Digital gegründet – weil Frauen auch 2016 noch zu wenig an sich glauben?
Ich hätte auch ein Netzwerk gründen können, das für Männer und für Frauen ist. Ich habe es auf Frauen bezogen, weil ich sehr von Frauen geprägt bin. Ich hatte immer tolle Chefinnen, die mich sehr gefördert und auch gefordert haben. Und ich glaube, dass Frauen offener miteinander umgehen, als bei gemischten Netzwerken. Trotzdem glaube ich, dass man auf jeden Fall mit Männern koalieren muss. Deshalb gucken wir natürlich, dass wir auf den Panels auch männliche Stimmen haben. Aber was die Teilnehmer angeht, versuche ich schon, das recht geschlossen zu halten, um den Frauen eine Stimme zu geben.
Wie stehen Sie denn zu den anderen Internetverbänden, die ja in der Regel eher die old-boys-Netzwerke repräsentieren, also Internet Economy Foundation & Co.?
Bei der Internet Economy Foundation habe ich mich schon sehr stark gewundert. Das sind wirklich Experten aus der Digitalbranche und ich finde, es gibt keine Branche, die so spannend und so offen ist, wie die Digitalwirtschaft. Da so ein geschlossenes Netzwerk ins Leben zu rufen und damit auch noch rauszugehen - wohlwissend, dass es aktuell die Debatte um mehr Sichtbarkeit von Frauen gibt - finde ich ungünstig. Es ist strategisch unklug, weil sie eine komplette Lebenswirklichkeit ausklammern.
Und das Argument, dass es keine Frauen in der Digitalbranche gibt, zieht bei mir überhaupt nicht. Es gibt ganz viele tolle Frauen und zwar unabhängig davon, ob sie in Start-ups sind, in der Medienbranche oder ob sie in Konzernen arbeiten und eben gerade das Thema Digitalisierung für ihren Bereich extrem vorantreiben.
Gründerinnen sind aber trotzdem noch vergleichsweise selten. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Ich glaube, dass wir da wirklich ganz früh ansetzen müssen. Es ist nirgendwo im Bildungssystem verankert, dass Gründen auch eine Berufsoption ist. Wenn ich an meine Schulzeit denke, war es erstrebenswert, erstmal das Abi zu machen und dann irgendwas zu studieren, damit man abgesichert ist. Aber das Thema Selbstständigkeit, ein eigenes Unternehmen zu etablieren, war für mich damals keine Option. Das ist mittlerweile anders, aber es muss viel intensiver noch vorangetrieben werden.
So ist es weltweit um den Gründergeist bestellt
Für den Amway Entrepreneurial Spirit Index (AESI) 2015 haben das Konsumgüterunternehmen Amway und die Technische Universität München 49.775 Menschen aus 44 Ländern dazu befragt, wie erwünscht es in ihrem Heimatland ist, Unternehmen zu gründen, wie leicht es ist, sich selbstständig zu machen und wie es um die Stabilität gegen sozialen Druck bestellt ist. 100 Punkte sind zu erreichen.
Im weltweiten Durchschnitt wird ein Wert von 51 erreicht, in Schulnoten entspräche das einer vier, was die Gründerfreundlichkeit auf unserem Planeten angeht.
Nur in wenigen Ländern ist der Gründergeist noch schwächer ausgeprägt als in Deutschland. Mit einem Indexwert von 31 (von 100 möglichen Punkten) liegt Deutschland nur noch vor Polen, Kroatien und Japan.
In Deutschland ist eine Unternehmensgründung für nur 26 Prozent der Befragten eine erwünschte Karriereoption. Lediglich 29 Prozent halten eine Gründung mit ihren eigenen Fähigkeiten für durchführbar. Immerhin 38 Prozent würden sich von ihrem sozialen Umfeld nicht von der Idee eines eigenen Unternehmens abbringen lassen. Auch die Generation Y in Deutschland steht kaum besser da. Zwar halten 37 Prozent der 14- bis 34-Jährigen eine Gründung für erstrebenswert, allerdings vertraut nur ein Viertel auf seine eigenen Fähigkeiten (26 Prozent).
Türkei
Die Türkei rutscht mit 62 Punkten noch in die Top 10 der AESI 2015 und ist damit eines der freundlichsten Länder für Gründer weltweit.
Brasilien
Knapp hinter der Türkei befindet sich Brasilien mit 69 Punkten. Die persönlichen und sozialen Faktoren, welche die Absichten einer Person beeinflussen, ein Unternehmen zu gründen scheinen hier deutlich über dem weltweiten Durchschnitt zu liegen.
Slowenien
Slowenien ist mit 70 Punkten auf Platz 8 der 44 befragten Länder - ein befriedigendes Ergebnis.
Malaysia
Der Staat in Südostasien belegt mit 73 Punkten Platz 7 des weltweiten Gründergeist-Rankings.
Mexiko
Der Gründergeist Mexikos hat sich mit 74 erreichten Punkten bis auf Platz 6 gekämpft.
Südafrika
74 Punkte erhielt Südafrika als Indexwert, der aus dem Durchschnitt der drei gleich gewichteten Dimensionen "Erwünschtheit", "Durchführbarkeit" und "Stabilität gegen sozialen Druck" gebildet wird.
Vietnam
Mit mehr als drei Viertel (77 Punkte) der erreichbaren Punkte landet Vietnam auf Rang 4 von 44.
Thailand
Ein nahezu ähnlicher Gründergeist besteht in Thailand. Der Staat in Südostasien bekam bei der Umfrage durchschnittlich 79 Punkte.
China
Kurz hinter Indien auf Platz 2 befindet sich China mit ebenfalls 79 Punkten.
Bei Gleichheit des Wertes entscheidet die ungerundete Zahl über den Rang.
Indien
Mit 79 Punkten ist Indien der Spitzenreiter des AESI 2015 und hat somit den weltweit besten Gründergeist.
Den Gründergeist vorantreiben – wie soll das gehen?
Man könnte über Mentoring-Programme an Schulen mit Gründern und Gründerinnen den Schülern vermitteln, dass es sich lohnt, diesen natürlich auch harten Weg, zu gehen. Man kann ja trotzdem ein Studium absolvieren, aber man muss danach nicht zwangsläufig in ein Angestelltenverhältnis gehen.