Vegetarische Ersatzprodukte Nach Hafermilch und Erbsenburger kommt jetzt das Fischstäbchen aus dem Labor

Thunvisch oder Räucherlaxs: So heißen die Produkte aus Karotten- oder Zitronenfasern, fermentierten Algen und Erbsenprotein, die so ähnlich wie Fisch schmecken sollen. Quelle: Presse

Ersatzprodukte für Milch oder Hackfleisch haben längst ihren Platz im Supermarktregal gefunden. Eine neue Generation Gründer nimmt sich jetzt das nächste Ziel vor: Fisch. Ein Start-up will nun gar echten Lachs im Labor züchten. Werden auch die zellbasierten Fischstäbchen die Kunden überzeugen?

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Zumindest kreative Namen haben die Schöpfer des neuesten Food-Trends für ihre Produkte gefunden. Thunvisch oder Räucherlaxs, so heißen die Produkte aus Karotten- oder Zitronenfasern, fermentierten Algen und Erbsenprotein – die so ähnlich wie Fisch schmecken sollen. Das deutsche Start-up Bluu Seafood geht gar einen Schritt weiter und will Fisch aus dem Labor in den Handel bringen, analog zu dem In-vitro-Burger, den der Niederländer Marc Post schon 2013 vorgestellt hatte.

Seither sind Fleischalternativen ebenso wie Milchersatzstoffe vom Nischenprodukt zur eigenen Warenkategorie geworden, füllen ganze Regalmeter im Supermarkt. Eine neue Generation Gründer spekuliert nun darauf, dass dieser Trend sich fortsetzt. Als nächstes, so spekulieren sie, geht es dem Fisch an den Kragen. Oder eben gerade nicht mehr, könnten doch vegetarische Fischalternativen dafür sorgen, dass die Überfischung der Meere zumindest etwas eingedämmt wird.

Vermehrung im Reaktor

Am weitesten geht dabei Bluu Seafood, eine Ausgründung der heutigen Fraunhofer-Einrichtung für Individualisierte und Zellbasierte Medizintechnik (IMTE). Für die Herstellung seiner Laborfische entnimmt das Start-up aus dem Gewebe geschlachteter Regenbogenforellen und Lachsen Stammzellen, die in einem Nährmedium zu Zelllinien heranwachsen. Danach werden die Zellen in einem stählernen Bioreaktor vermehrt, bis aus ihnen Bindegewebe, Muskelfasern oder Fett entstanden ist, das anschließend angereichert mit pflanzlichen Proteinen zu einer Fischmasse weiterverarbeitet wird.

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Noch wird es aber dauern, bis der Labor-Lachs bei den Verbrauchern auf den Tisch kommt. Momentan wird im Labormaßstab produziert. „Bei der Erstellung neuer Zelllinien brauchen wir viel Zeit und viel Geduld“, sagt Hans-Georg Höllerer, der bei Bluu Seafood für den Bereich Geschäfts- und Produktionsentwicklung zuständig ist. Von der Stammzellenentnahme, der sogenannten Biopsie, bis zur fertigen Fischmasse dauert es vier Wochen. Die jetzigen Anlagen sind noch klein, das macht die Produktion teuer. Zum Kühlen der Bioreaktoren braucht es viel Strom, die Zellen benötigen viel Wasser. Gerade wäre die Fischmasse unerschwinglich, im Moment kostet die Herstellung von einem Kilogramm Biomasse noch über 100 Euro.

Das soll sich ändern. Gerade beziehen die Gründer eine neue Pilotfabrik in Hamburg, mit größeren Produktionsanlagen. Die neuen Bioreaktoren können statt der bisherigen zehn dann 200 Liter fassen. Je größer die Produktion, desto höher steigt allerdings auch das Risiko von Kontaminationen, die wiederum mit Antibiotika eingedämmt werden müssten – andernfalls geht eine ganze Zell-Charge verloren. Die Anforderungen an den Hamburger Standort sind deshalb groß, in Reinräumen mit Einlassschleusen soll keimfrei produziert werden.

Eine Zulassung fehlt noch

Doch Probleme gibt es noch genug zu lösen, bevor aus dem Laborergebnis ein verkäufliches Produkt wird. Während die oberen Zellen wachsen, sterben im Bioreaktor normalerweise die unteren irgendwann ab, sie können nicht mehr ausreichend mit Nährstoffen versorgt werden. Mittels 3D-Druck versucht man stattdessen beispielsweise Adern zu imitieren, sodass auch tieferliegende Zellen noch erreicht werden. Das ist kostspielig. Alternativ kann die Gentechnik der Zellen verändert werden, was wiederum ethisch umstritten ist. Erst Ende letzten Jahres gab Bluu Seafood nun bekannt, ein eigenes gentechnikfreies Verfahren entwickelt zu haben, das es ermöglichen soll, alle Zellen in den Reaktoren kontinuierlich mit Nährstoffen zu versorgen.

Ein wichtiger Schritt, denn schon im kommenden Jahr will Bluu Seafood damit beginnen, den Zellfisch nach Singapur exportieren. Anders als hierzulande haben dort bereits zwei Unternehmen eine Zulassung, unter anderem für Hühnerfleisch aus dem Bioreaktor. In Europa könne es bis zu zwei Jahre und länger dauern, bis so ein Produkt die Sicherheitsbewertung der Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) durchlaufen habe, schätzt die Lebensmittelrechtlerin Alexandra Molitorisová von der Universität Bayreuth. In Singapur hofft das Start-up auf einen schnelleren Zulassungsprozess, 2024 wollen sie dort hochpreisige Restaurants mit ihren Labornuggets, Stäbchen oder Bällchen beliefern. Hierzulande dürfte der Kunstfisch eigentlich nicht einmal probiert werden, so lange eine Zulassung fehlt. 



Deklaration noch unklar

Aber ist so eine Fisch- oder Fleischmasse dann vegan, tierfrei oder keines von Beidem? Schließlich sind die vermehrten Zellen tierische und wurden anfänglich von lebenden oder frisch geschlachteten Fischen entnommen. Auch solche Fragen sind noch offen, aber für das europäische Recht, das zum Schutz der Verbraucher klare Deklarierungen fordert, sei das entscheidend, sagt Molitorisová. Außerdem hapere es noch bei den nationalen Prüfungen. „Viele Lebensmittelkontrollen sind noch gar nicht so weit, künftig statt Haltungsformen auch Zelllinien zu kontrollieren.“

Das Interesse von Investoren ist jedenfalls da, 175 Millionen US-Dollar wurden 2021 in Unternehmen investiert, die alternative Fischprodukte entwickeln, schätzt das Good Food Institute. Bluu Seafood hat immerhin schon eine Seed-Finanzierungsrunde über sieben Millionen Euro hinter sich, eine weitere soll in diesem Jahr folgen.

Irgendwann werden wir zellbasierte Produkte essen. Davon ist zumindest Marius Henkel überzeugt, der an der Technischen Universität München (TUM) Deutschlands erste Professur für zelluläre Landwirtschaft innehat. „Ich bin mir sicher, dass es diese Produkte eines Tages im Supermarkt geben wird. Die Frage ist nur, wie schnell es gehen wird und wie günstig sie sein werden“, sagt Henkel. Wenn der Export nach Singapur gelingt, will Bluu Seafood danach die deutsche Spitzenküche beliefern. 2026 soll der Kunstfisch dann auch in deutschen Supermarktregalen zu finden sein.

Aber wird das den Verbrauchern schmecken, die die an der Kühltheke die Wahl haben werden zwischen dem normalen Lachs, dem Lachs aus Karotten – oder eben dem zellbasierten?

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Zumindest am Preis sollte es nicht scheitern: „Wir wollen bis 2026 auf unter 10 Euro pro Kilogramm Lachs kommen“, sagt Höllerer. Allerdings ist die Konkurrenz groß, immerhin haben Unternehmen wie Nestlé oder Frosta bereits eigene pflanzenbasierte Fischalternative auf den Markt gebracht. Aber der zellbasierte Lachs und die Regenbogenforelle werden besser schmecken als die rein pflanzlichen Alternativen und nahrhafter sein, das verspricht jedenfalls Höllerer. „Unser Fisch ist ein echtes tierisches Produkt“, sagt er. Der in der Kühltheke dann einfach als „kultivierter Fisch“ gelabelt werden könne.

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