Venture Capital in Europa Was CureVac und Auto1 eint

Curevac-Impfstoff und Auto1-App Quelle: PR

Trotz Corona fließen Rekordbeträge an Wagniskapital in europäische Jungunternehmen wie Auto1 oder Infarm aus Berlin. Auch für 2021 sieht es laut dem US-Analyseunternehmen PitchBook gut aus. Das Kapital ist da – und wird genutzt.

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Christian Bertermann und Hakan Koç, die Gründer des Online-Gebrauchtwagenhändlers Auto1 aus Berlin sowie die fünf Gründer des Impfstoffspezialisten CureVac aus Tübingen sind die Antithese zu den wirtschaftlichen Corona-Niedergangsszenarien, die derzeit diskutiert werden. Besonders auf dem alten Kontinent, wie die Amerikaner Europa noch immer gern bezeichnen.

Entgegen der Prognosen haben Auto1 und CureVac im dritten Quartal kräftig Wachstumskapital für ihre Pläne einsammeln können. Die CureVac-Gründer haben sogar anschließend einen Börsengang hingelegt, den die Auto1 Investoren vermutlich im nächsten Frühjahr vor sich haben.

Dabei sah es Anfang März beim weltweiten Aufkeimen der Coronapandemie noch anders aus. Damals sorgten sich Wagniskapitalexperten, dass diese den Appetit von Investoren auf Start-ups gründlich verderben könnte. Sie warnten gar vor einer drohenden Eiszeit. Es würde womöglich kaum noch Investitionen in Newcomer geben, weil die Geldgeber lieber ihre bestehenden Investitionen stärken würden, so die Meinung der Experten damals.

Hakan Koç hat gemeinsam mit Christian Bertermann Auto1 gegründet und kann trotz Corona zuversichtlich in die Zukunft blicken. Sein Unternehmen trotzt den wirtschaftlichen Corona-Niedergangsszenarien. Quelle: Bloomberg

Allerdings ist dieses Negativszenario weder in den USA eingetreten, noch in Europa. Dafür ist einfach zu viel Kapital vorhanden, das nach Anlage sucht. Obwohl sich Geldgeber tatsächlich, wie prognostiziert, hauptsächlich auf Folgerunden konzentrierten, ist das Kapital für die Frühfinanzierung nicht gänzlich versiegt.

In Europa sieht es laut dem jüngsten Quartalsbericht des US-Datenanalyseunternehmens PitchBook sogar danach aus, dass der Rekord an Wagniskapital von 37,2 Milliarden Euro aus dem vergangenen Jahr in 2020 knapp übertroffen werden könnte. In den ersten neun Monaten zählte Analyst Nalin Patel insgesamt 29,5 Milliarden Euro, die auf dem alten Kontinent in Jungunternehmen flossen. Davon 6,3 Milliarden Euro in den deutschsprachigen Raum. Auf Deutschland fallen davon 4,65 Milliarden Euro. Weit übertroffen von Großbritannien mit 8,9 Milliarden, wo trotz Brexit bislang keine Eintrübung sichtbar ist. Auf Frankreich entfielen 3,8 Milliarden Euro.

Europäischer Spitzenreiter im dritten Quartal ist Impfstoffforscher CureVac aus Tübingen, der 560 Millionen Euro Investment bekam – unter anderem von der Kreditanstalt für Wiederaufbau, dem Pharmagiganten Glaxo SmithKline und dem Staatsfond von Qatar. Es war die letzte Finanzrunde vor dem Börsengang, bei dem der Corona-Impfstoffentwickler ebenfalls einen Rekord mit dem größten Exit im dritten Quartal erreichte, mit einer IPO-Bewertung von 2,2 Milliarden Euro. Exit ist Fachjargon für Kapitalgeber und bedeutet den Ausstieg aus ihren Investitionen durch Börsengang oder Aufkauf.

Der Tübinger Impfstoffhersteller Curevac ist am letzten Handelstag der Woche in den USA an der Börse gestartet. Dabei ist der Kurs zur Erstnotiz um 175 Prozent nach oben gesprungen. Das rechnet sich für den Staat.
von Christof Schürmann

In Europa ist dieses Flüssigmachen noch immer eine Schwachstelle. Zwar gelang vor zwei Jahren ein Exit-Rekord von 50,7 Milliarden Euro, vor allem dank des Börsengangs des schwedischen Musikstreaming-Anbieters Spotify sowie des niederländischen Zahlungsdienstleisters Adyen und dem Verkauf des schwedischen Online-Bezahldienstes iZettle an Paypal. Doch ein europäischer Start-up-Hit wie Spotify, der mit Amazon und Apple gleich zwei US-Giganten erfolgreich die Stirn bietet, ist rar.

2019 ging die Summe deshalb wieder auf 16,3 Milliarden Euro zurück. Aber dank Investitionen in Biotech-Unternehmen von europäischen Geldgebern wie SAP-Milliardär Dietmar Hopp bei CureVac und dem Hexal-Brüderpaar Thomas und Andreas Strüngmann bei Biontech aus Mainz sieht die Bilanz etwas besser aus.

Die Marke von zehn Milliarden Euro wird dieses Jahr auf alle Fälle erreicht, meint Pitchbook-Analyst Patel. Aber das ist noch immer der niedrigste Stand seit 2012. „Es könnte jedoch wieder anziehen, weil noch etliche Einhörner im System sind“, sagt Patel. Trotzdem sind vor allem US-Geldgeber hungrig auf europäische Start-ups. Vor allem, weil diese im Gegensatz zu den USA günstig bewertet sind, wie auch unsere Grafik zeigt:

Finanzrunden mit US-Investoren haben sich in den ersten neun Monaten auf 16,1 Milliarden Euro summiert. Es sieht auch hier so aus, als ob in den verbleibenden Monaten der Rekord von 19,1 Milliarden Euro aus dem Vorjahr übertroffen werden könnte. Bestes Beispiel dafür ist der Online-Gebrauchtwagenhändler Auto 1 aus Berlin, wo der Bostoner Hedgefond Baupost Group groß eingestiegen ist – neben dem Hedgefond Farallon Capital Management aus San Francisco.

Auto1 hat seit seiner Gründung vor acht Jahren zwei Milliarden Dollar Kapital eingesammelt.
 Allein im dritten Quartal 2020 waren es nun 255 Millionen Euro. Damit ist Auto1 der Spitzenreiter für Berlin. Gefolgt vom Hightech-Gewächshausspezialisten Infarm mit 208 Millionen Euro der Brüder Erez und Guy Galonska sowie Osnat Michaeli und der Reisebuchungsplattform Omio mit 84 Millionen Euro, wo sich unter anderem der Google-Finanzierer Kleiner Perkins aus dem Silicon Valley beteiligte.

In München war der Online-Vermögensverwalter Scalable Capital im dritten Quartal mit 50 Millionen Euro Spitzenreiter, der gerade von einem Hacker-Angriff geplagt wurde. Gefolgt wird Scalable Capital von der Reisesuchmaschine Holidu mit 45 Millionen Euro und dem Automobil-Abo-Anbieter Cluno mit 36,1 Millionen Euro.

Omio verkauft Fahrkarten weltweit, unabhängig vom Verkehrsmittel. Investoren glauben an das Modell, selbst wenn durch die Pandemie weniger Menschen reisen. Doch eine Gefahr droht dem Start-up von ganz anderer Seite.
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Auch Finanzkapital aus Unternehmen – im Fachjargon „Corporate Venture Capital“ (CVC) – strömt eifrig. So wie die Vorbilder aus den USA investieren auch europäische Konzerne stärker in Jungunternehmen, um ihre Forschung und Entwicklung zu flankieren. Das zeigt sich etwa beim Akkuspezialisten Northvolt aus Schweden, bei dessen 508-Millionen-Euro-Runde sich Volkswagen beteiligte.

Für Europa, das im Wettbewerb mit Nordamerika und Asien steckt, sind die Entwicklungen bei den Investitionen von Wagniskapitalgebern, Hedgefonds, Vermögensberatern und Staatsfonds ermutigend. Sie betragen zwar noch immer nur etwas mehr als ein Drittel der Investitionen in nordamerikanische Start-ups. Aber vor zehn Jahren war es nur knapp ein Viertel.


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Auch die Zahl der Finanzrunden hat sich innerhalb einer Dekade verdreifacht. Trotz aller Ängste vor Corona und der Rezession sieht auch das nächste Jahr in Sachen Wachstumskapital gut aus. Laut PitchBook-Analyst Patel sammeln die Investoren weiterhin fleißig Kapital zum Investieren ein. Falls sich das im laufenden Quartal nicht ändert, könnte auch hier ein neuer Fundraising-Rekord von 15 Milliarden Euro gesetzt werden.

Mehr zum Thema: Hochbewertete Start-ups: Einhörner bringen Milliarden in die Börsenpipeline. Ein Vergleich in Infografiken.

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