Die Reise bis zum Meeresgrund dauert nur drei Minuten. Auf der faszinierenden Tauchfahrt begegnen die Gäste Riffs, Rochen, Haien und Clownfischen... Willkommen im Burj al Arab, dem teuersten und luxuriösesten Hotel der Welt. Willkommen im Al Mahara, dem exklusivsten Restaurant mit eigener Unterwasserwelt. Willkommen zwischen Wirklichkeit und Illusion.
Die 321 Meter hohe Herberge in Dubai ist real, ebenso ihr Aquazoo mit integriertem Gourmettempel. Für die Illusion der Tauchfahrt hingegen sorgen andere – allen voran 3M GTG. Das Münchner Unternehmen mit dem kryptischen Namen führt die betuchten Gäste per simulierter U-Boot-Fahrt hinab zu ihren reservierten Plätzen im Souterrain.
Die Idee, Werbung auf die jeweilige Stimmung von Konsumenten visuell abzustimmen und in Echtzeit abzuspulen, haben die Münchner mittlerweile zu einem der weltweit führenden Unternehmen auf dem Gebiet der digitalen Außenwerbung gemacht. Doch ganz alleine wäre "der Weg aus den Startlöchern nach oben holpriger gewesen", sagt Geschäftsführer Daniel Steinbichler. Wen er sich für mehr Schub ins Boot holte, verraten die ersten beiden Buchstaben des Firmennamens: 3M.
"Innovationsshopping"
Der US-Mischkonzern zählt zu den innovativsten weltweit. Und so ist es kein Zufall, dass das Unternehmen in jüngster Zeit die klassische Wagnisfinanzierung neu belebt hat, wenngleich in verfeinerter Form – dem Corporate Venture Capital, kurz CVC.
"Innovationsshopping", nennt Stefan Gabriel, Präsident der 3M New Ventures, den kreativen Einkaufsbummel rund um den Globus. Dabei hat er vor allem Zukunftsmärkte im Visier: Elektronik, Informationstechnologie und Kommunikation, Wasser, Energie, nachhaltige Energien und Materialien oder Gesundheit; alles Felder, auf denen der Weltkonzern mit seinen 45 Technologieplattformen und mehr als 80 000 Produkten selbst vertreten ist.
Eigens dafür wurde eine Späherdivision mit Sitz in München gegründet. Sie agiert selbstständig und ist nur dem 3M-Chef George Buckley unterstellt. Auf der Suche nach jungen Unternehmen siebt eine zehnköpfige Crew diejenigen aus, deren Geschäftsmodelle zum 3M-Organismus passen.
Allerdings erwirbt der Konzern dabei nur Minderheitsbeteiligungen. "Wir wollen die Unternehmen nicht schlucken oder Kapital aus einem späteren Börsengang schlagen", betont Stefan Gabriel. Ziel sei eine strategische Zusammenarbeit und Unterstützung bei Forschung, Entwicklung und Vertrieb – spätere Ehe nicht ausgeschlossen.
Die Eigenständigkeit des jungen Unternehmens soll durch das finanzielle Engagement eines Konzerns um jeden Preis erhalten bleiben.
Im Idealfall profitieren davon beide Seiten: Der Geldgeber nutzt das Know-how der Startups, die ihrerseits neue Märkte bedienen und den Boden für eigene Produkte aufbereiten; den Startups wiederum helfen die globalen Geschäftsbeziehungen ihres Partners und die Vertriebsstrukturen: Sie bekommen Zugang zu technischer Expertise und können mit dem guten Namen ihres Sponsors neue Kunden anwerben.
3M gilt in der CVC-Szene als Paradebeispiel für diese neue Betreuungskultur. "Doch die Konkurrenz schläft nicht", beschreibt CVC-Manager Gabriel den Wettlauf um strategische Partnerschaften. Mit dabei sind Technologieriesen wie Apple, Microsoft, IBM, Intel oder Texas Instruments, aber auch deutsche Großkonzerne wie RWE, Bosch und Siemens.
Alle seien "auf der Suche nach strategischem Mehrwert", sagt Götz Hoyer, Partner der Münchner Beratungsgesellschaft FHP Private Equity Consultants und intimer Kenner der CVC-Aktivisten.
Auf etwa 60 Millionen Euro schätzt er das Budget, mit dem im vergangenen Jahr in Deutschland jungen Unternehmen über Corporate-Venture-Beteiligungen geholfen wurde.
Es geht um Innovationen
Dabei legen die Sponsoren vor allem Wert darauf, finanziell keine unkalkulierbaren Risiken einzugehen – denn viele Kapitalgeber verspekulierten sich in den Neunzigerjahren, als die New Economy boomte und die Nachfrage nach Technologieaktien weltweit explodierte.
Damals saß das Geld für vermeintlich neue Stars noch äußerst locker. Als die Spekulationsblase im Frühjahr 2000 jedoch platzte, endete auch der Hype.
Innerhalb von zwei Jahren sanken die Investitionen in potenzielle Hoffnungsträger von knapp einer Milliarde Euro auf 337 Millionen Euro – ein Absturz von 68 Prozent. In Deutschland rutschte der CVC-Beitrag im gleichen Zeitraum von rund 209 Millionen auf 121 Millionen Euro runter.
"Die große Euphorie der Neunzigerjahre hat zu hohen Verlusten geführt", erklärt Ottmar Schneck, Professor für Banking, Finance & Risk an der ESB Business School in Reutlingen, "und zu größerer Vorsicht."
Kleines Risiko, hohe Chancen
Deshalb versuchen Kapitalgeber heute, ihre Investitionen möglichst klein zu halten – vor allem, um das Risiko zu minimieren.
Zwischen zwei bis zehn Millionen Euro lässt sich zum Beispiel 3M solch eine Liaison kosten – Managementberatung sowie Unterstützung bei der Entwicklung und Vermarktung inklusive.
Bevor ein Kandidat allerdings im Treibnetz der CVC-Fischer hängen bleibt, wird er bereits im Vorfeld gründlich sondiert. Dabei vertraut Gabriel auf ein weltweites Netzwerk aus Inkubatoren, Universitäten und Forschungseinrichtungen. Dazu zählen unter anderem das Massachusetts Institute of Technology (MIT) und die Fraunhofer-Gesellschaft.
Ob der Auserwählte zur DNA des US-Multis passt und ob die Technologie Zukunft hat, entscheidet ein externes Gremium. Bis zum unterschriftsreifen Beteiligungsvertrag sind es dann nur noch zehn bis zwölf Wochen, der Branchendurchschnitt liege bei sechs Monaten, so Gabriel.
Warum dieser schnelle Entscheidungsprozess?
"Wirklich gute Startups oder Mittelständler können sich ihren Investor aussuchen", sagt Gabriel.
Geld und Kontakte sind das Futter, das die Großen im CVC-Genre ihren Frischlinge anbieten. Auch 3M GTG schmeckte diese Mischung. Zwar kontaktierten die Münchner anfangs auch reine VC-Fonds; doch aus Angst, dass diese nur ein Augenmerk auf die Rendite werfen und nicht auf Forschungsergebnisse, bevorzugten sie einen Deal mit 3M.
Zweifel kamen dennoch auf, als New-Venture-Chef Gabriel vor drei Jahren bei ihnen anklopfte. "Um Gottes willen, so ein Riesenkonzern", dachte 3M GTG-Geschäftsführer Steinbichler. Er befürchtete "Bevormundung und Strammstehen zum Rapport".
Zwar waren diese Sorgen unnötig, aber ganz ohne Kontrollmechanismen läuft auch beim US-Konzern nichts.
Heimliche Renaissance in der CVC-Szene
Dafür sorgt der 3M-Sitz im Beirat des Unternehmens. Vor allem die Patente wurden eigens von einem 3M-Experten in Brüssel geprüft. Die vierteljährlichen Meetings empfindet Steinbichler aber "eher als Orientierungshilfe" denn als "Rechenschaftsbericht". "Dort werden Benchmarks gesetzt und Strategien besprochen", sagt Steinbichler, "liegen wir mal daneben, reißt uns keiner den Kopf ab."
"Wir wollen, dass herausragende Geschäftsführer oder Gründer an Bord bleiben und die Unternehmenskultur weiterlebt", erklärt New-Ventures-Chef Gabriel die vornehme Zurückhaltung von 3M, unter dessen Dach jährlich rund zwölf Newcomer schlüpfen.
Mit rund einem Viertel haben sich die Amerikaner an dem aufstrebenden Outdoor-Werber beteiligt, zu deren Kunden mittlerweile neben dem Burj al Arab renommierte Unternehmen wie Aigner, Audi, BMW, Bogner, Cartier, Sony und das Wynn-Casino in Las Vegas gehören.
Wie der US-Multi, der erst seit gut drei Jahren mit seiner Sondereinheit auf Talentsuche geht, hat auch der Darmstädter Chemie- und Pharmariese Merck für eine heimliche Renaissance in der CVC-Szene gesorgt und eine Taskforce gegründet.
Merck Serono Ventures heißt der Fonds der Pharmasparte, der ausgerechnet im weltweiten Krisenjahr 2009 aufgelegt wurde. Insgesamt 40 Millionen Euro stehen bis 2014 für Beteiligungen zu Verfügung.
"Wir wollen zwei bis drei Investitionen im Jahr tätigen und dabei während der Startphase zwischen 500 000 bis zwei Millionen Euro pro Firma investieren", steckt Christoph Hüls, Leiter des Wagniskapitalfonds, das Etappenziel ab.
Er spricht gern von "Rohdiamanten, die behutsam geschliffen werden müssen". In den Neunzigerjahren wurde "viel zu viel finanziert", kritisiert er das Finanzierungsspektakel während des Internet-Booms. "Wir sind jetzt auf einem anderen Level, in einer professionelleren Phase."
Nur ein halbes Jahr dauert es, bis Businessplan, Patente, Marktdaten, die ganze Palette von Risiken und Erfolgschancen abgeklopft sind. Stimmt die Konstellation, "geben wir grünes Licht und bringen Sie auf die Straße", umschreibt Hüls den "Merck-TÜV zur Verkehrstauglichkeit".
Einmal im Vierteljahr, in kritischen Fällen einmal im Monat, wird ausgelotet, ob die Zielvereinbarungen von den Jungunternehmern eingehalten werden oder abdriften. "Das kommt selten vor", beobachtet Hüls, doch wenn es zu Konflikten kommt, dann nur, weil sich die Youngster beratungsresistent zeigen.
Geldschatullen bereitwilliger öffnen
Auf Sonderrechte pochen die Darmstädter nicht. Weder Vorkaufsrechte noch Lizenzabkommen werden vertraglich fixiert. Dafür beansprucht das Unternehmen Sitze im Beirat oder Aufsichtsrat, "um von Anfang an die Entwicklung aus der Sicht des künftigen Partners oder Kunden positiv zu beeinflussen", sagt Hüls.
Als Gegenleistung bekommen die Start-ups neben der Kapitalspritze und der Reputation ihres Geldgebers Expertisen für Bereiche wie Forschung und Entwicklung, Marketing und Produktion.
Die Beteiligungen machen für die Konzerne Sinn, denn sie können mit relativ geringem Aufwand sehr früh tiefe Einblicke in neue Technologie gewinnen, wobei die jungen Pioniere ihnen als Frontkämpfer dienen.
Da sie als selbstständige Teileinheit im Markt agieren, können sich die Großunternehmen weiterhin auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren und verlieren dadurch nicht den Anschluss an den technologischen Fortschritt.
Dabei darf auch über die Bande gespielt werden. So beteiligte sich Merck Serono als Co-Investor zusammen mit Versant Ventures, Apposite Capital, 5AM Ventures sowie dem CVC-Ableger des britischen Pharmakonzerns GlaxoSmithKline SR One am US-Pharmaunternehmen Anaphore aus San Diego.
Das Unternehmen passte ins Förderraster der Darmstädter, die ihre Geldschatullen bereitwilliger öffnen, wenn sich die Forschungsaktivitäten der Firmen vornehmlich auf Krebserkrankungen, Nervenkrankheiten oder Rheuma konzentrieren.
Es ist wieder Bewegung in die Wagnisfinanzierung gekommen, gerade weil sich das Interesse der Geldgeber nicht mehr allein um Rendite dreht. Das Wort "Partnerschaft" beherrscht mehr und mehr das Geschäftsvokabular, ohne dass der Profit zur Nebensächlichkeit wird.
Zum Urgestein der CVC-Szene, die diese substanzielle Veränderung von Anfang an mitgestaltet hat, gehört die Deutsche Telekom mit ihrer Bonner Tochter T-Venture. Das 1997 gegründete Unternehmen zählt sich zu den Global Leadern unter den CVC-Vertretern und unterstützt überwiegend direkt, aber auch über Fonds zukunftsträchtige Jungunternehmen.
Flankiert werden die Aktivitäten von T-Venture durch das "Easy-to-Partner"-Programm der Deutschen Telekom, mit dem Innovationen beschleunigt werden sollen.
"Zehn Deals pro Jahr"
Wie bei 3M und Merck kommen nur Minderheitsbeteiligungen infrage, betont T-Venture-Geschäftsführer Georg Schwegler. "Nach dem Bubble ist die Szene vor allem in Deutschland nicht mehr so richtig auf die Beine gekommen", erinnert er sich. Das habe sich aber geändert.
"Zehn Deals schließen wir pro Jahr ab", sagt Schwegler, der vor seiner Telekom-Karriere als Unternehmensberater tätig war. Das Gespür, "was läuft und was nicht", hat er. Partnerschaftliche Beziehungen seien im Schnitt besser als die reinen Risikobeteiligungen, "hier fehlt die strategische Ausrichtung", vergleicht Schwegler den Sinneswandel.
Durchleuchtet werden innovative Start-ups, die das Themenspektrum der Telekom abdecken – vor allem Cloud Computing, optische Netze oder E-Commerce. Mit "Welpenschutz" umschreibt Schwegler die Aktivitäten in der Startphase, "bei der zur finanziellen Ausstattung von bis zu einer Million Euro eine intensive beratende Funktion gehört".
Stolze 160 Unternehmen hat der Fonds so seit seiner Gründung großgezogen und zur Marktreife gebracht.
Dass man im Wettbewerb um kreative Ideen und Köpfe auch selbst mal aufs Siegerpodest gehoben wird, zeigt der Best-Innovator-Wettbewerb, den die WirtschaftsWoche mit der Unternehmensberatung A. T. Kearney, dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie und das Fraunhofer-Institut gemeinsam durchführen. In diesem Jahr bekam 3M nicht nur den Zuschlag für sein ausgefeiltes Innovationsmanagement, sondern auch den Sonderpreis "Best Innovator" für "Corporate Venturing".
Die Auszeichnung hat ihren Ehrenplatz gefunden und steht jetzt im Münchner Büro von 3M-New-Ventures-Chef Stefan Gabriel. Oft sieht er sie nicht, meist ist er weltweit unterwegs in Sachen Zukunft.