Wagniskapitalgeber Picus „In der Gründerszene herrscht eine große Bereitschaft, etwas zurückzugeben“

Robin Godenrath und Florian Reichert Quelle: Presse

Der von Alexander Samwer gegründete Wagniskapitalgeber Picus Capital zählt zu den führenden Start-up-Investoren. Wie tickt die neue Gründergeneration? Fragen an die Picus-Partner Robin Godenrath und Florian Reichert.

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Mithilfe eines Startkapitals von Seriengründer Alexander Samwer (Rocket Internet) startete der Risikokapitalgeber Picus Capital 2015 in München. Picus Capital investiert vor allem in frühen Phasen in Start-ups (sogenannte Seed- oder Pre-Seed-Finanzierungsrunden). Zum Portfolio gehören u.a. Personio, Enpal, Thermondo, Hive und Home24. Das eingesetzte Kapital stammt mittlerweile zum großen Teil aus Rückflüssen, Exits oder Börsengängen und wächst beständig. Investierte Picus 2018 rund 15 Millionen Euro, werden es in diesem Jahr voraussichtlich 50 Millionen Euro sein, sagt Robin Godenrath. Der frühere McKinsey-Mann ist neben Samwer einer der Mitgründer und Partner. Florian Reichert, ehemaliger Berater bei Boston Consulting, stieß 2017 zu Picus Capital und ist heute ebenfalls Partner.

Herr Godenrath, Herr Reichert, seit mehr als vier Jahren investieren Sie mit Picus in Jungunternehmen und beschäftigen sich sehr viel mit Gründern. Wer sind sie und wie ticken sie?
Godenrath: Es gibt gerade bei jungen Gründern vermehrt den Antrieb, es sich selbst zu beweisen: dass sie eine große Firma aufbauen, starke Leute zusammenbringen und ein Thema verändern können. Es gibt aber auch Gründer, die das sehr rational angehen und für die das Monetäre im Vordergrund steht. Das funktioniert nicht immer so gut, wie wenn ein Gründer einen intrinsischen Antrieb hat. Wenn also Gründer sich systematisch anschauen: Was sind die 20 Branchen, die noch am wenigsten digitalisiert sind – und sich dann daraus etwas aussuchen und eine Gründung starten.

Das klingt berechnend.
Godenrath: Es ist ein sehr logischer Ansatz. Das muss nicht schlecht sein, aber am Ende muss auch die Leidenschaft für ein Thema stimmen. Denn der Gründer macht das Thema ja hoffentlich nicht nur drei, vier Jahre, sondern möchte im Idealfall über mehr als 10 Jahre eine Firma aufbauen. Irgendwann fällt es einem vielleicht auf die Füße, wenn man merkt: Baukonstruktion – zum Beispiel – ist eigentlich gar nichts, was ich superspannend finde.

von Varinia Bernau, Nele Husmann, Dominik Reintjes, Lukas Zdrzalek

Reichert: Eine große Rolle spielt der Drang nach Selbständigkeit und Unabhängigkeit. Wir sehen viele Leute, die aus einem Angestelltenverhältnis kommen und dieses Bedürfnis haben, selber etwas aufzubauen und nicht mehr in einem Verhältnis zu stehen, in dem man jemandem zuarbeitet. Ein gutes Beispiel ist die Beratung, bei dem häufig die Rückmeldung kommt: Man hilft, aber man sieht nicht den langfristigen Impact, weil man sehr projektbasiert arbeitet.

Godenrath: Die erfolgreichsten Firmen sind die, die eine große Vision haben und die die besten Leute anziehen. Und wie werbe ich am besten Personal an? Durch eine hohe Glaubwürdigkeit, eine Vision und wenn ich eine Story von meiner Firma verkaufen kann, um Leute zu motivieren. Und das kann ich einfach viel besser, wenn ich für ein Thema brenne.

Tut das die junge Gründergeneration denn nicht?
Godenrath: Für ein Thema zu brennen ist nicht ganz so einfach, wenn man jünger ist. Man hat zwangsläufig weniger Erfahrung. Oft entwickelt sich das ja erst mit der Zeit. Wir kriegen das oft mit, dass Leute etwa aus Indien zurückkommen und dann etwas gegen Müllbekämpfung unternehmen wollen: weil sie ein Erlebnis hatten, worauf das basiert. Sehr junge Gründer haben oft ein Studium, Praktika und vielleicht ein Auslandssemester, worauf ihre ganze Erfahrung basieren kann. Das liegt in der Natur der Sache. Deswegen ist es sehr wichtig, dass man den Austausch zwischen Entrepreneurship-Szene, Investoren und Gründern fördert, damit man mitkriegt, was da passiert. So kann sich eine intrinsische Motivation entwickeln.

Die üblichen Auslandssemester reichen also nicht?
Godenrath: Je mehr Erfahrung man sammelt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass man auf etwas stößt, wofür man sich begeistert. Wenn man sagt: Ich glaube, ich finde das spannend – darauf basieren Praktika. Dann mach ich’s und merke: vielleicht doch etwas anderes. Also: Junge potenzielle Gründer haben – zwangsläufig – nur einige wenige Erfahrungen. Im Gegensatz dazu stehen Seriengründer, die mit ihrer zweiten oder dritten Geschäftsidee zu uns kommen.

Eine neue Generation von Gründern revolutioniert die Schlüsselindustrien und sichert so die Zukunft des Landes – wenn die Politik sie nicht ausbremst.
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Zum Beispiel?
Godenrath: Wir haben zum Beispiel in Alasco investiert, das sind Unternehmer hier aus München, die vorher Stylight gegründet haben. Nach dem Stylight-Verkauf an Pro Sieben haben sie sich privat viel mit Immobilien beschäftigt, zunächst als Investment, und haben gemerkt, dass sie dafür eine Leidenschaft haben. Daraus haben sie dann Alasco gegründet, wo sie sich um alle Software der Finanzprozesse bei Immobilienprojekten kümmern. Das basiert auf einer Erfahrung, die die Gründer nach dem Studium noch nicht hatten. Und man kann für viele Themen eine große Leidenschaft entwickeln. Nehmen wir das berühmte Beispiel Elon Musk: Er hat im Finanzbereich Paypal, im Weltraumbusiness Space-X, in der Autoindustrie Tesla. Bei ihm braucht niemand Sorge haben: Oh, diesem Thema widmet er sich jetzt aber vielleicht nur halbherzig oder nur aus monetären Gründen.

Welche Rolle spiele Vorbilder? Sie haben ja mit Alexander Samwer selbst ein deutsches Gründer-Vorbild in Ihren Reihen.
Reichert: Die deutsche Gründerszene wurde stark durch Vorbilder angetrieben, vor allem aus den USA, aber auch durch die Samwer-Brüder. In der Gründerszene haben schon sehr viele die Biografie von Elon Musk gelesen, oder von Ben Horowitz. Da gibt es definitiv ein Vorbilddenken.

Woher kommen die meisten Gründer?
Reichert: Aus verschiedenen Industrien wie der Beratung oder der Finanzbranche, aber genauso viele Gründer, wenn nicht sogar mehr, kommen aus Start-ups selbst. Leute, die in der zweiten, dritten Reihe sind und sagen: Ich habe jetzt selber Lust, was zu starten, oder die vorherige Station vielleicht von Anfang an nur als Schule für die eigene Gründung genutzt haben.

Godenrath: Aus unserer Erfahrung sind diese Gründer mit am spannendsten.

Warum?
Godenrath: Wenn jemand zum Beispiel bei Klarna war, war der an der digitalen Front im Finanzbereich. So jemand hat eine ganz andere Vorerfahrung zu diesem Thema als zum Beispiel ich, als ich vor ein paar Jahren aus der Beratung kam und das Gefühl hatte, dass ich bei allen Digitalisierung-Themen etwa zwei Jahre hinter dem zurück lag, was eigentlich in der Zwischenzeit an der Speerspitze passiert ist – weil die großen Konzerne immer etwas später nachziehen als Start-ups.

„Nach einer halben Stunde Gespräch wissen wir mehr als nach zehn Stunden Internetrecherche"

Inwieweit ist ein Hintergrund als Berater, in einem Großkonzern oder Start-up also aussagekräftig für Sie?
Godenrath: Es hilft schon einzuordnen, mit wem wir sprechen wollen. Aber um wirklich einschätzen zu können, wer von denen schließlich erfolgreich sein wird, brauchen wir das persönliche Gespräch. Das geht nicht über den CV. Nach einer halben Stunde Gespräch wissen wir mehr als nach zehn Stunden Internetrecherche.

Mit wie vielen Gründern sprechen Sie im Monat?
Godenrath: Wir bearbeiten pro Woche etwa 1000 Start-up-Leads über verschiedenste Kanäle, davon sprechen wir mit etwa 100 pro Woche. Wir investieren aber nur in ein bis zwei pro Monat. Wir sind zwar ein überschaubares Team von 30 Leuten, im Investment-Team etwa 20, aber global aufgestellt. Wir haben Büros in München, Berlin, London, New York, Bangalore und bald auch in Peking. Und wir sprechen auch mit vielen potenziellen Gründern, die noch gar nicht gegründet haben, sondern eher sagen, dass sie sich erstmal einen Bereich anschauen und erstmal einen Sparringspartner brauchen.

Gründer wie Freya Oehle und Familienunternehmer wie Sabine Herold teilen viele Erfahrungen, trotzdem schauen sie oft mit Unverständnis aufeinander. Zeit für ein klärendes Gespräch – und klare Worte.
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Erkennen Sie eine Exit-Tendenz bei der neuen Gründergeneration?
Reichert: Wir suchen uns ja eher diejenigen aus, die keinen kurzfristigen Exit suchen. Aber wenn man sich den Markt anschaut, gibt es immer beide. Ein gutes Beispiel sind die Serien-Gründer, die es auch in Deutschland mehr und mehr gibt. Die haben theoretisch ihre Schäfchen im Trockenen, und machen es nicht mehr für das Geld. Bei denen sieht man ganz klar: Sie sind Herzblutunternehmer. Zum Beispiel Mario Kohle, der als zweites Start-up Enpal gegründet hat: seine Vision, einen neuartigen dezentralen Energieprovider basierend auf erneuerbaren Energien aufzubauen, ist ja sehr langfristig. Das setzt man nicht in zwei, drei Jahren um. Herr Kohle stellt sich die Frage: Wie leben meine Kinder später mal auf diesem Planeten? Wohingegen bei Gründern, die frisch aus der Universität heraus gründen, der Exit tendenziell interessanter ist – einfach um das Risiko rauszunehmen. Aber fairerweise sieht man auch im aktuellen Markt, dass es für Gründer über Anteilsverkäufe in späteren Finanzierungsrunden die Möglichkeit gibt, das Risiko zu reduzieren.

Godenrath: Wenn ich eine Exit-Entscheidung für meine Firma habe und noch jung bin, also finanziell nicht abgesichert, dann erscheint es attraktiv. Wenn ich aber ein Gründer bin, der richtig für sein Thema brennt, dem es darum geht, langfristig ein Problem zu lösen, dann werde ich den Exit wahrscheinlich nicht wahrnehmen. Das finden wir als Investoren spannend. Es gibt immer das Risiko, dass langfristig irgendetwas schiefgeht. Aber ganz ohne Risiko ist Unternehmertum selten möglich. Einen möglichen Exit sprechen wir deshalb mit den Gründern auch immer früh und klar an: Wir sind nicht daran interessiert, in drei Jahren eine Firma zu verkaufen, sondern in Firmen zu investieren, die gewisse Bereiche nachhaltig beeinflussen, idealerweise auf globaler Ebene.

Auch wenn es Exits vielleicht nicht in der Masse gibt, gelangen mehr und mehr junge Unternehmer zu erheblichem Wohlstand, auch durch größere Finanzierungsrunden.
Reichert: Man hat schon vor Corona den Trend gesehen, dass US-Investoren in europäische Start-ups investieren und etwa vermehrt Büros in London eröffnen. Die durch Corona stark genutzte Videotelefonie hat diese Entwicklung noch einmal beschleunigt und den Investoren mehr Komfort gegeben, in Gründer zu investieren, die sie nicht persönlich getroffen haben. Aber der Hauptgrund ist schlicht, dass hier nach wie vor weniger Kapital im Markt ist als in den USA. Dadurch sind die Bewertungen häufig noch etwas niedriger und somit attraktiver als bei vergleichbaren Firmen in den USA und das ist natürlich sehr interessant für US-Investoren.

Wie äußert sich Wohlstand bei der jungen Gründergeneration?
Reichert: Man sieht in der Generation, dass sie viel zurückgeben wollen, auch auf der finanziellen Seite. Etwa anhand der Initiativen „Leaders for climate action“ oder „Founders Pledge“, wo sich viele erfolgreiche Gründer zusammenschließen, um den Klimawandel zu bekämpfen, oder Teile ihrer privaten Erlöse für wohltätige Zwecke spenden. In der Gründerszene herrscht eine große Bereitschaft, etwas zurückzugeben.

Godenrath: Man wird bei Gründern, die viel Kapital zur Verfügung haben, weil sie etwas sehr Erfolgreiches aufgebaut haben, nicht drum herumkommen, dass sie sich hier und da mal ein Statussymbol gönnen. Das will ich gar nicht absprechen oder bewerten. Aber viele denken auch hierbei sehr systematisch darüber nach: Was kann ich jetzt Sinnvolles mit dem Geld anstellen? Diese Leute verfügen meist über ein wertvolles, breites Netzwerk, um Summen an Kapital einzusammeln, mit denen einiges möglich ist. Das sehen wir immer öfter. So etwas macht langfristig wohl auch glücklicher als ein schickes Auto oder ein Ferienhaus auf Sylt.

Mal abgesehen von Spenden: Worin investiert die neue Gründergeneration? Sind Immobilien die erste Wahl?
Godenrath: Immobilien sind schon präsent, weil gewisse Anlageklassen momentan nicht so attraktiv sind. Und wenn ich schnell zu Kapital komme, überlege ich mir, wie ich diversifiziere. Da ist es sinnvoll, auch in Immobilien zu investieren. Dabei geht es wohl weniger um Returns, sondern um Risikostreuung. Viele investieren auch direkt wieder in Start-ups, die thematisch ähnlich sind wie ihre eigenen: Daran sieht man, dass Gründer ihr Geld in Themen investieren, an die sie persönlich glauben. Wenn man sich Portfolios von Gründern anschaut, ist direkt klar erkennbar, für welche Themen sie sich begeistern und was sie unterstützen wollen.



Was ist denn das Statussymbol der neuen Generation?
Godenrath: Ein Beteiligungs-Portfolio, mit Fokus auf Bereiche, die sie persönlich vorantreiben wollen, haben wahrscheinlich die meisten. Das dürfte die größte Gemeinsamkeit unter den neuen Gründern sein.

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