Wo ist der Gründergeist hin? So wenige Deutsche wie noch nie wollen ihr eigener Chef sein

Unternehmen gründen Quelle: dpa

Deutschland gehen die Unternehmer aus. Immer weniger Menschen entscheiden sich für eine selbstständige Existenz. Das liegt nicht zuletzt an der wirtschaftlichen Lage – und könnte sich ändern.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Sebastian Däuwel aus Speyer hat gut lachen. Sein Bäckerei-Start-up wächst beständig. Vor seiner Verkaufsstelle in einem unscheinbaren Gewerbegebiet stehen die Kunden regelmäßig Schlange. „Ich könnte kaum zufriedener sein“, sagt er. Drei Jahre ist es her, dass der 36-Jährige den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt hat. Aus wenigen elementaren Backversuchen wurde schnell eine Geschäftsidee. Heute backt Däuwel mit seinen „Brotpuristen“ hauptsächlich Brot immer darauf bedacht, die Ware möglichst einfach und rein zu halten.

Die Leidenschaft für das Backen und die Lust auf die eigene Existenzgründung gaben bei ihm den Ausschlag, sich selbstständig zu machen. „Ich wusste, wenn ich es nicht wage, werde ich das später bereuen“, sagt Däuwel heute. Anfangs habe er Angst vor dem Scheitern gehabt. Doch der große Zuspruch von Freunden und Fremden hätten ihm letztendlich die Entscheidung, den sicheren Job bei einem Energieversorger für eine eigene Firma aufzugeben, leicht gemacht.

Anders als Brotbäcker Däuwel sind in Deutschland jedoch immer weniger Menschen bereit, das Risiko einer beruflichen Selbstständigkeit einzugehen. Nur 25 Prozent der Erwerbstätigen konnten sich 2018 vorstellen, ihr eigener Chef zu sein, wie aus einer Befragung der Förderbank KfW hervorgeht. Seit Beginn der Umfrage im Jahr 2000 hat es keinen niedrigeren Wert gegeben. Damals hatte die theoretische Bereitschaft zur Existenzgründung noch bei 45 Prozent gelegen.

Die nach wie vor gute Lage auf dem Arbeitsmarkt und die alternde Gesellschaft bremsen seit einiger Zeit den Unternehmergeist der Bürger, analysiert die KfW. Dabei biete es viele Vorteile selbstständig zu sein, findet Däuwel: „Bei der Gestaltung der eigenen Firma ist man freier und kann vieles schneller durchsetzen. Die Entscheidungswege sind deutlich kürzer.“ Außerdem sei für ihn eine berufliche Selbstverwirklichung anders nicht möglich gewesen.

Das Bundesministerium für Wirtschaft blickt besorgt auf die schwindende Bereitschaft zur Selbstständigkeit: „Neugründungen und Start-ups sind Treiber von Innovationen und insbesondere des digitalen Wandels. Deutschland braucht deshalb Gründerinnen und Gründer“, meint eine Sprecherin. Fehlten heute die Gründer, leide morgen die Wettbewerbsfähigkeit.

Der Hamburger Tischler Matthias Niermann hat sich vor drei Jahren gegen die Weiterführung des eigenen Betriebes entschieden und von einem Innenausbau-Unternehmen anstellen lassen. „Die Verantwortung, die man als Selbstständiger für seine Mitarbeiter trägt, ist erheblich“, sagt der 29-Jährige im Rückblick. Vor allem müsse man kontinuierlich genug Geld verdienen, um alle Gehälter zahlen zu können im saison- und konjunkturabhängigen Handwerk sei das nicht immer einfach.

„Eine Festanstellung bietet Sicherheit. Am Wochenende und im Urlaub kann man abschalten und man muss sich nicht um jeden Kleinkram selber kümmern“, sagt Niermann. Lästige Aufgaben wie die Reparaturanmeldung des Betriebsautos oder das Lösen von IT-Problemen erledigen jetzt die Kollegen. Das sei angenehm und spare Zeit für die eigentlichen Aufgaben. Außerdem sei er froh, den Berg bürokratischer Pflichten endlich losgeworden zu sein. „Das ist mitunter nicht mehr zu schaffen. Der Aufwand wurde von Jahr zu Jahr mehr.“

Ähnlich argumentiert der Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland (VGSD) mit Blick auf die geringe Gründungsbereitschaft der Deutschen. Sie sei auch „die Folge einer ganzen Serie gründerfeindlicher Gesetze“, kritisiert VGSD-Chef Andreas Lutz. Als Beispiele nennt er eine Vervierfachung der Beiträge zur freiwilligen Arbeitslosenversicherung und die herrschende Rechtsunsicherheit um das Thema Scheinselbstständigkeit. „Hinzu kommen handwerklich schlecht gemachte Gesetze wie die DSGVO-Umsetzung, die für viel Unsicherheit und bürokratischen Aufwand sorgen.“

Die Zahl der Existenzgründungen hat im vergangenen Jahr ein Rekordtief von 547.000 erreicht, wie aus dem „Gründungsmonitor“ der Förderbank KfW hervorgeht. Immerhin sank der Wert zuletzt weniger stark: Im vergangenen Jahr ging er um lediglich zwei Prozent zurück. In den Jahren zuvor hatte es noch Rückgänge mit jeweils zweistelligen Raten gegeben.

Der Verband der Gründer und Selbstständigen (VGSD) erwartet für das laufende Jahr noch niedrigere Gründungszahlen. „Die politischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen haben sich nicht geändert. Eine Trendwende ist aus unserer Sicht daher unwahrscheinlich“, sagt VSGD-Chef Lutz. Und auch die KfW rechnet mit einem weiteren Rückgang. „Die Prognosen für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung senden in Summe ein negatives Signal“, teilt Georg Metzger vom KfW Research mit.

Langfristig könnten die Unternehmensgründungen wieder anziehen zumindest dann, wenn wirklich die weithin befürchtete Rezession eintrifft. Historisch gesehen geht die Zahl der Gründungen nämlich immer zurück, wenn es auf dem Arbeitsmarkt gut läuft. Steigt hingegen die Arbeitslosigkeit und die Zahl prekärer Beschäftigungsverhältnisse, wagen mehr Menschen den Weg in die Selbstständigkeit.

Insofern kann man die niedrige Zahl an Gründungs-Willigen auch als Zeichen für eine noch starke Konjunktur werten.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%