
Jungfräulich ist das neue Jahr, unbefleckt und rein. Ist das nicht ein herrliches Gefühl? Noch ist kein guter Vorsatz auf der Strecke geblieben; noch haben wir uns nicht mangelnde Konsequenz vorzuwerfen. Im Gegenteil: In diesen ersten Stunden des jungen Jahres werden wir das Gefühl der eigenen Großartigkeit gar nicht mehr los. Unser Restleben liegt wie ein unbeschriebenes Buch vor uns, ein Buch, das nur darauf wartet, vollgeschrieben zu werden mit Geschichten, die wir einmal gerne über uns lesen wollen, dereinst, wenn dieses Leben sich dem Ende zuneigt.
Heute Abend werden wir fernsehen, okay, aber nur den Tatort und die Nachrichten, wie mit uns abgemacht. Wir haben mit den Kindern gespielt, fünfmal Obst und Gemüse gegessen und den SUV noch nicht bewegt. Wir haben mal wieder gemerkt, dass der Lebenspartner blendend aussieht, noch dazu ein netter Mensch ist (und ihm das sogar gesagt). Und erste Notizen haben wir natürlich schon eingetragen in unser neues Tagebuch, das wir immer schon mal schreiben wollten (und diesmal auch bestimmt zu Ende führen). Es wird so spannend sein, in zwei, drei Jahrzehnten nachzulesen, was man einmal so getrieben, gefühlt, gedacht hat: mit den Freunden, über die Kollegen, den neuen Italiener und natürlich die Staatsschuldenkrise.





Vom Einverstandensein mit sich selbst
Ach, könnte das neue Jahr nicht nur einen Monat dauern? Dann ließe sich all die wundervolle Harmonie dieser ersten Stunden, dieses Gefühl des Einverstandenseins mit sich selbst vielleicht sogar auf Dauer stellen. Dann hätten all unsere erhebenden Selbstversprechen wenigstens eine Chance, auch unseren Alltag zu erhellen. Alles Mühen, Streben, Sehnen wäre gleichsam eingebettet in einen Zeithorizont, der unsere Selbstdisziplin nicht überfordern und uns ein gelingendes Leben ermöglichen würde. Mehr Anstrengung und Erfolg im Beruf, mehr Disziplin in punkto Gesundheit, mehr Zeitverbringung mit der Familie, mehr Verzicht, was Alkohol und fette Speisen anbelangt - das alles lässt sich einen Monat - oder fastenzeitliche sechs Wochen - lang bewältigen, aber seien wir ehrlich: Unserem Leben ein ganzes Jahr lang eine andere Richtung geben, das überfordert uns.
Man kann daraus nun drei Konsequenzen ziehen. Erstens: Man ändert gar nichts, akzeptiert seine Mittelmäßigkeit, seine Schwächen, lernt sie zu akzeptieren wie einen langjährigen Partner, der nie den Müll runter trägt und die Klorolle immer falsch herum einhängt, will sagen: Man lebt weiter in einem eheähnlichen Verhältnis zu sich selbst. Zweitens: Man entschließt sich zu einem superhumanen Dasein a) der dionysischen Selbstverausgabung (in der Kunst, in der Ausschweifung) oder b) des asketisch-appollinischen Hochgefühls (im Gebet, im Verzicht, im Eremitendasein), das heißt: Man gibt seinem Leben eine radikale Wende, zieht hinaus in die weite Welt oder zieht sich zurück in Geist und Gedanken, führt das kurze, schnelle Leben eines Rockstars oder das lange, weise eines Eremiten.
Digitales Self-Nudging





Drittens: Man bedient sich bei seinen Änderungsvorhaben technischer Hilfsmittel, die unseren hochfliegenden Optimierungs- und Besserungsvorhaben durch eine Art digitales Self-Nudging dauerhaft Flügel verleihen. Wie bitte? Self-Nudging? Was soll’n das sein? Also: Der Begriff Nudge wurde 2008 von einem amerikanischen Autorenduo (Richard Thaler, Cass Sunstein) erfunden. Er lässt sich am besten mit “Stubs” übesetzen. Dahinter steht der, pardon: perverse Gedanke einer liberalen Gesellschaftssteuerung, der hierzulande in allen politischen Parteien eine glänzende Karriere hingelegt hat: Nicht durch Verbote, Befehle und Gesetze (des bösen, bösen Staates) soll der Mensch des 21. Jahrhunderts dazu gebracht werden, sich selbst, den Mitmenschen und den überlasteten Sozialkassen ein innig Freund zu sein, sondern durch Anreize. Der Paternalismus wird den Bürgern sozusagen eingepflanzt, was natürlich nur dann glaubhaft geschehen kann, wenn man den Menschen nicht mehr als kühl berechnendes, auf seinen Vorteil bedachtes Rationalitätsmonster (homo oeconomicus) begreift, wie es uns der dominante, volksverblödende Zweig der Wirtschaftswissenschaften drei Jahrzehnte lang weismachen wollte, sondern im Gegenteil: wenn man den Menschen zu einem bloßen Opfer neuronaler Prozesse degradiert, zu einer instinktgesteuerten Reizreaktionsmaschine, die sich ihrer Vernunft nicht wirklich bedienen kann.
Primärsinnliche Impulse
Der gesellschaftliche und anthropologische Fortschritt des Nudging ist ganz unzweifelhaft. Steht beispielsweise der Mann bei der Erledigung der allerkleinsten seiner Alltagsgeschäfte an einem Urinal, haben wissenschaftliche Untersuchungen gezeigt, so landet dabei 80 Prozent weniger Urin auf dem Flurboden, wenn sich im Auffangbecken des Urinals das Abbild einer Fliege zeigt - und der dressierte Mann diese Fliege beim Urinieren gezielt ansteuert. Na, überzeugt? Vielleicht hilft Beispiel zwei: Stehen in der Betriebskantine Äpfel, Birnen und Bananen (statt Muffins und Schokoriegel) in Sichthöhe und Greifnähe des wartenden Kunden, steigt die Qualität der Mitarbeiterernährung sprunghaft an, weil der gemeine Angestellte gar nicht anders kann, als seinen primärsinnlichen Impulsen zu folgen.
Das digitale Self-Nudging überträgt die trivialpsychologischen “Erkenntnisse” der neuerdings zu “Behavioristen” geadelten “Wissenschaftler” auf die private Ebene. Das hat den Vorteil, dass auch Menschen wie Sahra Wagenknecht sich nicht mehr wie Opfer einer Verführungsindustrie vorkommen müssen, die uns Willenlose dazu bringt, laufend bei McDonalds einkehren und stets das neueste IPhone erwerben zu wollen, im Gegenteil: Die Konformismus-Diktatur der Großkonzerne hat dank des digitalen Self-Nudgings ein Ende, weil wir uns nicht mehr dressieren lassen, sondern dazu übergehen, uns freiwillig selbst zu dressieren.
Dialektik der Freiheit





Anders gesagt: Der Mensch der Zukunft ist ein technisch versierter Sich-Selbst-Anstubser. Er lässt sich nicht vom schieren Überangebot einer bunten Warenwelt lenken und auch nicht von schön verpackten Worten seines Chefs beeinflussen, nein: er lenkt und beeinflusst sich selbst, auto-gesteuert durch die Verinnerlichung einer Moral der ständigen Optimierung, die ihn, appgesteuert, ständig daran erinnert, seinem täglichen Pflichtprogramm nachzukommen. Dialektik der Freiheit! Das autonome Ich gewinnt seine Selbstbestimmung durch Selbstunterwerfung! Es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich die entsprechenden Bestseller-Titel des Jahres 2013 vorzustellen. Sie werden zuerst in den USA erscheinen, versteht sich, und Namen tragen wie: “Self-Engineering - The freedom of digital slavery” oder “Ego-Enhancement - The Path to a captivating lifestyle” trägt.
Was genau aber ist mit digitalem Self-Nudging gemeint? Nun, vor allem die neuen, technischen Möglichkeiten der Selbstvermessung, neudeutsch: appgesteuertes Self-Tracking. Gewicht, Puls, Atem, Stuhlgang, Schlafrhythmus, Nahrungsaufnahme, Stresslevel - alles lässt sich heutzutage auf Knopfdruck speichern, quantifizieren und in hübsch aufbereiteten Verlaufstabellen und Grafiken darstellen. Wer also immer schon mal wissen wollte, dass seine Tiefschlafphase am 21. November 2012 um exakt 13 Minuten kürzer ausfiel als einen Tag später, kann daraus den Rückschluss ziehen, dass das entweder mit dem späten Glas Rotwein zu tun hatte, das er damals unvernünftigerweise zu sich nahm oder aber mit der Tatsache, dass er im Fitness-Studie die halbe Stunde auf dem Laufband aussparte. Aber vielleicht muss er diesen Rückschluss nicht einmal mehr selbst ziehen: Es gibt ziemlich sicher schon eine Meta-App, die auch das noch für einen erledigt.
Kampf gegen Zeitfresser und Fremdbestimmung
Die Unternehmensberater Michaela Lang und Oliver Fritsch geben in ihrem gerade erschienenen Buch "Das Anti-Bunrout-Buch" (MVG-Verlag) wertvolle Tipps in Form von 14 Denkwerkzeugen. Wir haben die wesentlichen Tipps für Sie zusammengefasst.
Zeitmangel ist ein immer wiederkehrender Stressfaktor. Zu wenig Zeit zu haben, um seine Arbeit gut zu machen, wirkt sich genauso verheerend aus, wie zu wenig Zeit zum Schlafen zur Verfügung zu haben.
Das alte Zeitmanagement, bei dem es nur darum ging, so effektiv wie möglich zu arbeiten, hat ausgedient. Jetzt müssen wir anders vorgehen.
Stress durch Zeitmangel zu besiegen. Herauszufinden, welches die Zeitfresser sind und wo Zeitsparpotenziale liegen. Freie Zeit zu gewinnen und sie dann genauso einzusetzen, dass sie zu Lebensfreude und Produktivität verhilft.
Woran es am meisten hapert, wenn jemand sich durch Zeitknappheit gestresst fühlt:
- Schlechte Organisation des Schreibtisches und der Arbeitsmittel, nach dem Motto: „Wer Ordnung hält, ist bloß zu faul zum Suchen.“
- Die Unfähigkeit, Nein zu sagen und klare Grenzen zu ziehen. Das kommt nur vor, wenn du zulässt, dass andere Menschen (Mitarbeiter, Chefs, Kunden, Lieferanten) dich fremdbestimmen, dir die Hucke vollquatschen, deine Zeit stehlen, sodass du deine anliegenden Arbeiten nicht mehr erledigen kannst.
- Eine unproduktive Arbeitsphilosophie, die zunächst von langen Ruhephasen dank „Aufschieberitis“ geprägt ist und danach in wilde Hektik umschwenkt, weil alle noch zu erledigenden Arbeiten auf den letzten Drücker gemacht werden müssen, um Termine einzuhalten.
- Schlechte Organisation der Prioritäten, bei der das Dringende und Unwichtige vor dem Wichtigen Vorrang hat.
- Nichts verpassen wollen, sich selbst nicht beschränken und stattdessen alles „mitnehmen“, was geht. Auf gut Deutsch, „auf zu vielen Hochzeiten tanzen wollen“.
- Sich unbewusst von den eigenen inneren Motiven dazu verleiten lassen, sie extrem auszuleben. Besonders gefährdete Kandidaten: sehr hilfsbereite Menschen, Gesellige und Menschen mit einem erhöhten Bedarf an körperlicher Aktivität.
Ein Ziel des Denktricks besteht darin, herauszufinden, wo Zeitsparpotenziale liegen. Es geht darum, Verhaltensmuster aufzudecken, die sich eingeschlichen haben und durch die man Zeit verliert bzw. vergeudet. Vergeudete Zeit ist Zeit, die weder produktiv eingesetzt ist, noch Freude bereitet. Als klassisches Beispiel dafür dient die Zeit, die man ungenutzt vor dem geöffneten E-Mail-Eingangsfach verbringt, während man darauf wartet, dass eine Nachricht hereinkommt.
Darüber hinaus sollen Fehler aufgedeckt werden, die man wiederholt begeht. Zum Beispiel die Abgabe einer Arbeit jedes Mal bis zur letzten Minute hinauszuzögern. Die Frage lautet: „In welche Falle tappe ich immer wieder?“
Zeichnen Sie in eine 24-Stunden-Uhr ein, wie Sie im Schnitt Ihre Zeit verbringen. Tragen Sie ein: Schlafenszeit, Essenszubereitung und -konsum, Arbeitszeit (eventuell grob segmentiert nach der Zeit, die Sie allein oder mit anderen verbringen), Freizeit, Gartenarbeit, Sport, Medienkonsum, PC-Spiele ...
- Schraffieren Sie in einer Farbe die Zeiten, in denen Sie produktiv und glücklich sind.
- Schraffieren Sie in einer anderen Farbe die Zeiten, in denen Sie unproduktiv und/oder unglücklich sind.
- Heben Sie zusätzlich Kontakte mit anderen Menschen, die Ihnen guttun, durch Sternchen hervor.
- Schauen Sie sich Ihr Bild an und fragen sich:
- Welcher prozentuale Anteil Ihrer Zeit ist produktiv genutzt?
- Welchen prozentualen Anteil Ihrer Zeit verbringen Sie glücklich?
- Welchen prozentualen Anteil Ihrer Zeit verbringen Sie unproduktiv und/oder unglücklich?
- Welcher prozentuale Anteil davon ist vertrödelt (macht Ihnen weder Spaß noch bringt es Sie irgendwie weiter)?
- Welche Dinge sind es konkret, die Sie immer wieder locken und ablenken und über die Sie sich hinterher ärgern (Surfen im Internet, Fernsehen ...)
- Bei welchen Dingen verzetteln Sie sich und wo läuft Ihnen schnell die Zeit davon?
- Welche Menschen stehlen Ihnen Ihre Zeit? Und Sie lassen sie trotzdem gewähren?
Bitte schreiben Sie für sich auf:
- Welche zeitraubenden Aktivitäten werden Sie aus Ihrem Alltag verbannen?
- Wie können Sie sich ein Arbeitsumfeld schaffen, in dem Sie produktiv sein und Stress eliminieren können?
- Was müssen Sie ändern. damit Ihr Privatleben Ihnen Kraft verleiht und nicht zusätzliche Energie raubt?
Vielleicht kennen Sie diesen Spruch:
„Lebe jeden Tag, als wäre es dein letzter!“
Gehen Sie nun einmal vom Gegenteil aus: Denken Sie darüber nach, wie Ihr Leben aussähe, wenn Zeit keine Rolle spielen würde und Sie ewig leben dürften. Hätten Sie dann weniger Stress?
Es gibt Menschen, die uns hin- und herschubsen, uns zum Spielball ihrer Kräfte machen und uns ihre Prioritäten aufzwingen. Wenn wir uns das gefallen lassen, liefern wir uns ihnen aus und können kein selbstbestimmtes Leben führen.
Ebenso lassen wir uns durch Abhängigkeiten fremdbestimmen. Wer diese Abhängigkeiten nicht kontrolliert und darauf bedacht ist, sein eigenes Leben zu leben, setzt sich selbst großem Druck und Stress aus.
Sich dessen bewusst zu werden, wie viel Ihrer Zeit fremdbestimmt ist, und die Kontrolle über Ihr Leben wieder zurückzugewinnen.
Fremdbestimmung liegt normalerweise dann vor, wenn wir uns von jemandem sagen lassen müssen, „was zu tun ist“, weil dieser Jemand in irgendeiner Weise Macht über uns besitzt.
Eine solche Situation existiert in so gut wie jedem hierarchischen System, in dem eine Person (oder Gruppe) eine Stufe höher steht als die untergebene Person, also beispielsweise:
- der Chef über dem Angestellten,
- der Wähler über dem Politiker
Wir behaupten, dass jeder auf die eine oder andere Weise fremdbestimmt ist.
Es gibt verschiedene Arten der Fremdbestimmung. Das sind die drei wichtigsten:
- Manchmal sind wir so ambitioniert und wollen etwas Bestimmtes erreichen, dass wir uns automatisch in einen Sog begeben, der auf selbst gesetzten oder durch die Sache an sich entstehenden Terminen beruht. Dieser Zustand stresst uns aber nicht wirklich, weil das Ziel, das wir verfolgen, etwas ist, das wir von innen heraus wirklich wollen.
- hin und wieder lassen wir uns fremdbestimmen, weil andere das aufgrund ihrer Funktion oder Macht mit uns tun können. Dieser Zustand dagegen stresst uns sehr, weil das etwas ist, das wir von innen heraus nicht wollen, und weil wir glauben, ihm hilflos gegenüberzustehen
- Schließlich kommt es immer wieder vor, dass wir uns von „untergeordneten“ Menschen fremdbestimmen lassen, weil wir ihnen von uns aus die Macht dazu überlassen. Zum Beispiel aufgrund von Schulgefühlen, wenn wir denken, dass wir zu wenig Zeit mit unseren Kindern verbringen. Es besteht die Gefahr, dass wir uns abends nach der Arbeit komplett von ihnen in Beschlag nehmen lassen und keine Zeit mehr für uns oder unseren Partner übrig bleibt.
Ändern wird sich für Sie nur dann etwas, wenn Sie:
- entscheiden, wem Sie die Macht geben wollen, Sie fremdzubestimmen, und welches Ausmaß davon Sie zulassen wollen;
- sich bewusst machen, was Sie wirklich tun müssen und wollen;
- sich darüber klar werden, was Sie wirklich brauchen;
- Ihre Grenzen klar erkennen und stecken;
- sich diesem Sog entziehen und Ihren eigenen Weg finden;
- Verantwortung für sich und Ihr Leben übernehmen;
- das Steuer selbst in die Hand nehmen.
Zeichnen Sie einen Kreis mit drei Feldern: selbstbestimmt, fremdbestimmt und selbst produzierter Stress. Die Grenzlinien zwischen den Feldern können Sie verschieben. Der Kreis stellt einen durchschnittlichen Tag in Ihrem Leben dar. Dabei handelt es sich nur um Ihre Wach-Stunden. Überlegen Sie sich nun,
- wie viel Zeit Sie an einem durchschnittlichen Tag von anderen fremdbestimmt werden (rote Linie),
- wie viel Sie durch sich selbst fremdbestimmt werden, zum Beispiel, weil Sie etwas erreichen wollen (gelbe Linie),
- wie viel Zeit Sie zur Verfügung haben, bei der Sie allein entscheiden, wie Sie sie einsetzen möchten (grüne Linie).
Zeichnen Sie Ihre eigenen Linien ein und schraffieren Sie die Segmente farblich. Fühlen Sie sich in Ihren Kreis hinein und fragen Sie sich, ob die Aufteilung so für Sie passt oder ob Sie etwas verändern müssen, um wieder durchatmen zu können und Ihr Burnout-Risiko zu senken.
Je belastender Ihr gegenwärtiger Zustand für Sie ist, desto dringender sollten Sie etwas daran ändern. Fragen Sie sich, wo sich die Fremdbestimmug belastend bemerkbar macht, und notieren Sie, was Sie verändern möchten.
Wir werden in viele Aufgaben und Verpflichtungen hineingezogen und glauben, dass wir uns nicht dagegen wehren können, weil wir nur noch funktionieren und nicht mehr hinterfragen, ob wir es wirklich tun wollen, können oder müssen.
Dadurch wird unsere Aufgabenlast immer größer und führt uns in einen nicht endenden Dauerstress.
Sich darüber klar werden, was Sie wirklich tun wollen, können oder müssen, um dann einen Ausweg aus dem Stress zu finden.
Dieser Schnellcheck mit drei entscheidenden Fragen soll bei ehrlicher Beantwortung helfen, herauszufinden, wo Sie ansetzen können, um einen Burnout zu verhindern. Sie lauten:
Muss ich das wirklich mitmachen oder nicht?
- Muss ich wirklich in diesem Job bleiben?- Muss ich mir das wirklich alles gefallen lassen?
- Muss ich mich wirklich an alle Regeln halten?
Will ich es wirklich oder will ich es eigentlich nicht mehr?
- Will ich meine Ehe wirklich retten oder will ich es eigentlich nicht mehr?
- Will ich wirklich in meiner Firma bleiben oder will ich es nicht mehr?
- Will ich wirklich abnehmen oder will ich es nicht?
Kann ich damit wirklich auf Dauer leben oder kann ich es nicht?
- Kann ich auf Dauer die Spielregeln meiner Firma akzeptieren oder frustrieren sie mich jeden Tag aufs Neue?
- Kann ich es auf Dauer körperlich und seelisch verkraften, die Pflege eines Verwandten zu übernehmen?
- Kann ich die sehr unterschiedlichen Einstellungen in der Partnerschaft auf Dauer aushalten?
Wenn wir bei der Erledigung von Aufgaben ständig gegen unsere inneren Werte verstoßen und keine Motivation verspüren, sie zu erledigen, wird uns das auch nie zufriedenstellend gelingen. Im Gegenteil: Dadurch manövrieren wir uns in einen permanenten Stresszustand, der irgendwann zwangsläufig zum Burnout führen wird.
Die folgende Übung verdeutlicht noch einmal, dass jedes ehrlich gemeinte Nein bei der Beantwortung der drei Fragen die Möglichkeit eröffnet, das bestehende System zu verlassen, neue Weg zu finden und somit dem eigenen Stress entgegenzuwirken.
Stellen Sie sich jetzt die drei Fragen für den Aufgabenbereich, in dem Sie sich fremdbestimmt fühlen oder der Sie belastet. Notieren Sie dann Ihre Erkenntnis.
- Muss ich das wirklich mitmachen oder nicht?
- Will ich es wirklich oder will ich es eigentlich nicht mehr?
- Kann ich damit wirklich auf Dauer leben oder kann ich es nicht?
Motivation durch Selbstvermessung?
Freilich, man kann sich fragen, wohin so eine Selbstvermessung führt. Die Optimierungsjünger der Internetplattform Quentiq zum Beispiel (Slogan: “It’s all about you”) , auf der man seine Arbeit am persönlichen Gesundheitsniveau (“currently jogging”) nicht nur dokumentieren, sondern seinen aktuellen “Health Score” (auf einer Skala von 0 bis 1.000) auch seinen registrierten Freunden mitteilen kann, schwärmen von Motivation und Selbstherausforderung, von wachsendem Gesundheitsbewusstsein und steigendem Wohlbefinden: Der ständige Abgleich mit Daten, das Tracking seiner Aktivität (und Nicht-Aktivität), so das Versprechen, führen zu einem selbst-bewussteren Lebensstil.
Was aber, wenn man sich zu hohe Ziele setzt, seinen eigenen Ansprüchen nicht genügt - und man dank der Technik täglich daran erinnert wird, was für ein großer Versager man ist? Wie wird die neue Volkskrankheit nach dem Burnout heißen? Etwa DAppressiv? Und was, wenn das Self-Tracking in die Hände von Krankenkassen gerät - beziehungsweise zurück in die Hände einer nudge-versessenen Politik, die sich dazu entschließt, das perfekte Leben ihrer Bürger wortwörtlich gesund zu rechnen?
Schlimmer als die Schwiegermutter!





Vor allem aber: Wer verrechnet die Ersparnisse der körperlich ertüchtigten Selbstoptimierer mit den Kosten, die diese Vitalen der Allgemeinheit durch den Dauerbesuch beim Psychologen auferlegen? Denn eines ist doch wohl klar: Die Apps mahnen uns vor allem, an unseren Restmängeln zu arbeiten: Sie sind das, was Sigmund Freud das Über-Ich nannte, eine digitale Form des schlechten Gewissens, die uns an all das erinnern, was wir noch nicht geschafft haben: siebenmal wöchentlich Sport, dreimal täglich Zähneputzen (mit Zahnseide!), fünfmal Obst und Gemüse….
Und dann sollen wir uns noch eine App aufs Handy laden, die uns an die täglichen Alltagspflichten erinnert? Schauen Sie im Internet mal bei “Astrid” vorbei, dem “persönlichen Assistenten”, der sie in “lustiger” Weise daran erinnert, dass sie morgen Putzdienst haben und die Tochter vom Hort abholen müssen! Eine nützliche Organisationshilfe soll Astrid sein? Sie ist schlimmer als die sprichwörtliche Schwiegermutter!





Kutscher oder Esel?
Nun also: Was fangen wir mit dem dem neuen Jahr an? Wollen wir uns mit Apps optimieren? Uns dem Self-Nudging hingeben? Uns ständig steuern, verbessern - uns als Dompteure unserer selbst verstehen, als Kutscher unseres Lebens und als Esel zugleich, weil unsere Freiheit darin besteht, uns Möhren hinzuhalten, denen wir willenlos hinterherlaufen? Oder sollen wir vielleicht doch in 2013 eine Auszeit nehmen, die ausgenüchterte Moderne romantisieren durch eine Kündigung oder eine neue Geliebte, durch ein pralles Leben, ein Sabbatical, einen Klosterbesuch?
Trends
Ach was. Hören wir ganz einfach auf, uns so wichtig zu nehmen. Hören wir auf, unsere Normalität zu pathologisieren, unseren Arbeitsalltag als bloße Last zu empfinden, unsere Freizeit als Zufluchtsort zu verheiligen - und vor allem: unsere kleinen Schwächen immerzu ausmerzen zu wollen.
Hören wir auf, unseren Freunden und Kollegen ständig Erfolg, Kreativität und Vitalität anzudemonstrieren, gestehen wir uns unsere Schwächen zu, unsere kleinen Laster, unsere Niederlagen. Rüsten wir nicht jede Minute mit Effizienz zu, nehmen wir uns Zeit zu Langeweile und Faulheit. Denken wir daran, dass unser Leben 30.000 Tage zählt, 1.000 Monate - erstaunlich, so wenig. Üben wir also nicht Optimierung, Verzicht und quantifizierbares Self-Enrichment - üben wir unser Leben zu nehmen, wie es ist.