Mit Karl Traubel unterwegs zu sein, heißt zu gehen. Schritt für Schritt, weg vom Lärm, von allem, was stört und ablenkt, vom überflüssigen Gerede, vom Telefon, das pfeift und brummt.
Zum Beispiel auf dem Weg von Balderschwang zur Sennalpe Spicherhalde, an einem Sommernachmittag, auf 1450 Meter Höhe. Dann sagt Traubel nur das Nötigste, zeigt etwa auf den gelben Enzian am Wegrand. Oder er weist auf das Gestein hin, das wie Bauschutt aussieht und im Allgäuer Volksmund Herrgottsbeton heißt. Ansonsten Stille, gut hörbar, begleitet vom knirschenden Kies unter den Sohlen – und vom Läuten der 40 Kuhglocken. Die Kühe werden täglich in der Spicherhalde gemolken für den Bergkäse.
Der Hotelier Karl Traubel, der hier, auf der Spicherhalde, gern in der Stube sitzt, liebt den Käse, eine „Kombination aus Appenzeller und Gruyère“, ein Gaumenkitzel, vor allem, wenn man ihn sich mit einer Beerenauslese im Mund zergehen lässt. In seinem Haus, der Hubertus Alpin Lodge & Spa, drunten in Balderschwang, dem Oberallgäuer Bergdorf, mit 330 Einwohnern Deutschlands höchstgelegene und Bayerns kleinste eigenständige Gemeinde, gehört der Käse zu den Delikatessen. Der Gast kann ihn sogar eintauschen – gegen den Lärm der Welt. Wenn er sein Handy an der Rezeption abgibt, erhält er ein schönes Stück Käse von der Spicherhalde als Gegengabe, „ohne schädliche Strahlung“.
„Funkstille“ heißt das „ganzjährige“ Angebot, eines der am fleißigsten gebuchten, wie Traubel versichert: vier Übernachtungen (ab 695 Euro) inklusive Postkarten-Service – „mal wieder offline die Lieben zu Hause grüßen“. Es ist ein niedlicher Marketinggag, aber mit therapeutischer Absicht. Die Gäste sind eingeladen, sich ein paar Tage auf digitale Diät zu setzen, weg vom ewigen Stand-by, vom mobilen Hochleistungsvirtuosentum via Smartphone und Laptop. Was sie außer einem Stück Käse dafür gewinnen? Im besten Fall ein gesteigertes Gefühl für die Wirklichkeit, für die Gegenwart der Dinge, womöglich für sich selbst – wenn sie es denn bei sich aushalten.
Traubel möchte, dass seine Gäste in der Stille das Sehen wieder erlernen, die Tugend der langsamen Augen. Dass sie Mut zum Innehalten finden, zum gelassenen Ein- und Ausatmen der Gegenwart. Mit diesen Wünschen liegt er im Trend.
Die Einladung zum „elektronischen Fasten“ hat mittlerweile Schule gemacht, gern gekoppelt mit dem Lob der Achtsamkeit. Mit der körperlichen Wellness hat eine kleine Hotelelite, von der Luxusherberge bis zum Landgasthof, die geistig-seelische Wellness entdeckt, die Selbstsorge um das mentale Wohlbefinden. Dazu gehört nicht zuletzt der Sinn für digitale Sendepausen, für die Schonräume der Beruhigung, für die Wohltaten der Stille. Der Weg zur geistig-seelischen Läuterung, so die Idee, führt über den elektronischen Verzicht.
Längst gibt es auch ein Schlagwort dafür: „Digital Detox“, digitale Entgiftung. Es kommt aus Kalifornien, aus dem Silicon Valley, dem Epizentrum der Onlinemania, wo 2012 die ersten „Digital Detox“-Camps entstanden, als Gegenzentren der Stille, mit strengen Abstinenzregeln: Briefpapier statt Handy.
Mit dergleichen Labels hatte Traubel zunächst gar nichts im Sinn, als er vor vier Jahren auf die Idee mit dem Käse-Handy-Tausch kam. Womöglich hatte er einfach nur Mitleid mit den Gästen in der Lobby, die stundenlang, „wie Gefangene“, in „kleine rechteckige Kästen“ starrten oder vorm Eingang hin- und hergingen, „mit gesenktem Blick“, anstatt sich die schöne Allgäuer Gegend anzuschauen. Ja, können die nicht mehr ohne das Gerät zwischen sich und der Welt in die Landschaft schauen?, fragte sich der Hotelier. Müssen die auch im Urlaub „krampfhaft“ die Verbindung halten mit dem Geflimmer der Onlinewelt?