




Soll ich das Jobangebot annehmen? Zum Vorstellungsgespräch lieber die rote oder die blaue Krawatte? Oder lieber gar keine? Bei der Arbeit und im Privatleben treffen wir täglich zigtausend Entscheidungen von mehr oder weniger großer Tragweite. Manche fallen uns leicht, manche schwer. Mal entscheiden wir nach bestem Wissen und Gewissen, mal aus dem Bauch heraus, nach einer Kosten-Nutzen-Analyse oder nach dem Eene-mene-mu-Prinzip. Jedenfalls glauben wir, das wir das tun.
Hirnforscher jedenfalls sind zu dem Ergebnis gekommen, dass Entscheidungen im Gehirn längst gefallen sind, wenn wir noch Alternativen abzuwägen glauben. John-Dylan Haynes, Leiter des Berlin Center for Advanced Neuroimaging, ist überzeugt, dass es mit dem freien Willen gar nicht so weit her ist.
Bereits 2008 führten Forscher vom Leipziger Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, an dem Haynes damals arbeitete, ein Experiment durch: Sie baten Versuchsteilnehmer, sich zu entscheiden, ob sie einen Knopf mit der linken oder der rechten Hand drücken wollen und beobachteten dabei deren Hirnaktivitäten mittels eines Kernspintomographen. Die Studienteilnehmer sagten, sie hätten sich entschieden und drückten gut eine Sekunde später den Knopf. Durch Messungen der Aktivität im vorderen Hirnbereich konnten die Wissenschaftler aber schon sieben Sekunden vorher sagen, welche Hand die Testperson einsetzen würde. Denn lange bevor wir eine Entscheidung treffen, laufen im Gehirn schon die Drähte heiß – das kann ein Kernspintomograph sichtbar machen. Das ist möglich, weil je nach Denkvorgang im Gehirn der Sauerstoffverbrauch steigt oder fällt.
Wann Überzeugungen zu Handlungen führen
Ohne einen erkennbaren, individuellen, hohen und relativ sicheren Gewinn, ändert kein Mensch sein gewohntes Verhalten. Dieser Gewinn muss und sollte nicht nur materiell sein. Materielle Belohnungen wirken schnell und sättigen schnell. Sozialer Gewinn (zum Beispiel Anerkennung) wirkt nachhaltiger. Die einzige nicht sättigende Belohnung ist die intrinsische, die man sich selbst gibt.
Ins Blaue hinein ändern wir unser Leben nicht gern. Die Umsetzung der Neuerung muss daher klar vorgezeichnet und praktikabel sein.
Pioniere können und wollen nur die wenigsten Menschen sein. Die meisten anderen brauchen Vorbilder, denen sie nacheifern können. Und die müssen vor allem glaubwürdig sein.
Die erwartbaren Widerstände gegen das neue Leben sollten nicht zu groß sein. Das Festhalten an Gewohntem trägt eine starke Belohnung in sich. Der Anreiz muss doppelt so stark sein, wie die Bremskräfte.
Das gleiche Ergebnis erzielten Haynes und seine Kollegen bei einem deutlich komplexeren Experiment: Sie baten Probanden, sich eine Sportart vorzustellen. Noch bevor die Teilnehmer sich bewusst gemacht oder ausgesprochen hatten, für welchen Sport sie sich entschieden hatten, hatte ihre Gehirnaktivität sie verraten. Im Fachmagazin "Nature Neuroscience" wurde damals darüber berichtet.
"Von unseren Entscheidungen glauben wir in der Regel, dass wir sie bewusst fällen. Diese Annahme ist mit unserer Studie infrage gestellt", kommentierte Haynes. Schon 1979 belegte der amerikanische Neurophysiologe Benjamin Libet mittels einer Hirnstrommessung bei Probanden, dass sich das Gehirn entscheidet, kurz bevor wir es bewusst wissen.
Kein Mensch handelt rational
Wirtschaftswissenschaftler gehen in der Regel davon aus, dass Menschen die Kosten und Nutzen ihrer Entscheidung rational abwägen, Stichwort „Homo oeconomicus“. Für rationale Betrachtungen von Problemen nutzt der Mensch den präfrontalen Cortex, also die vordere Stirnrinde. Dieses Areal im Gehirn ist allerdings mit dem sogenannten limbischen System verbunden, einer Hirngegend, die für die Gefühle zuständig ist. Selbst wenn es also ganz vernünftig zugehen soll, können wir Gefühle nicht ganz ausblenden.
Lange bevor die Hirnforschung mit bildgebenden Verfahren Entscheidungsprozesse im Gehirn untersuchen konnte, stellte der Schweizer Psychoanalytiker C. G. Jung (1875-1961) die These auf, dass das Beurteilungssystem auf den Dingen beruht, die wir wahrnehmen und den Dingen, die wir empfinden. Diese Daten verarbeiten wir laut Jung sowohl durch Denken, indem wir sie logisch ordnen, als auch durch eine gefühlsmäßige Bewertung. Daraus leiten sich unsere Handlungsoptionen ab. Für eine Entscheidung brauchen wir also eine Information von außen – etwas, das wir sehen, hören, schmecken, fühlen, riechen können – und unser Gefühl: Wie finden wir das, wie bewerten wir etwas aufgrund unserer Erfahrungen?
Das menschliche Gehirn ist darauf ausgerichtet, das ganz schnell zu tun. Als unsere Vorfahren noch nicht in Büros saßen, sondern Mammuts jagten und vor Säbelzahntigern flüchteten, war das überlebenswichtig. Heute verursacht dieser in Jahrtausenden der Evolutionsgeschichte entstandene Überlebensmechanismus so manche Fehlentscheidung. Während früher galt: lieber einmal zu viel die Flucht ergreifen, als gefressen zu werden, kann heute die Fehlentscheidung eines Managers teure Folgen haben.
Dass Menschen Entscheidungen treffen, die sich später als falsch entpuppen, ist aufgrund der Funktionsweise unseres Gehirns unvermeidlich. Nicht nur, dass es blitzschnell Informationen bewertet und mit Gefühlen verknüpft, es erfindet auch Informationen hinzu, die fehlen. Wenn wir uns ein Auge zuhalten, ergänzt das Gehirn die fehlenden Informationen, damit wir ein vollständiges Bild sehen können – auch wenn nur die Hälfte da ist. Was das Sehen anbelangt, ist das sehr nützlich. Allerdings beschränkt sich dies nicht auf das Auge. Oftmals treffen wir Entscheidungen, obwohl wir nur bruchstückhafte Informationen haben, die unser Gehirn für uns zu einem stimmigen Bild ergänzt.
Das macht den Menschen manipulierbar, wie Verhaltensforscher in Studien immer wieder zeigen. Dass das Äußere von Topmanagern immer entscheidender für deren Ansehen ist, bezweifelt heute kein Management-Berater mehr. Der barocke Chef mit Wampe und Schnauzbart ist daher aus börsennotierten Unternehmen weitgehend verschwunden. Investoren, Mitarbeiter und Kunden verhalten sich offensichtlich in dieser Hinsicht ähnlich wie Wähler. Deren Entscheidungen hängen erwiesenermaßen von der äußeren Erscheinung eines Politikers ab. In einer Studie beurteilten Testpersonen Wahlplakate aus der Schweiz. Sie sollten nur anhand des Aussehens der Kandidaten entscheiden, wen sie wählen würden. Obwohl sie nichts über die Politiker und deren Programme wussten, trafen sie nahezu die gleiche Wahlentscheidung wie die echten Wähler. Hier war also offenbar nicht die Vernunft am Werk, sondern nur das Gefühl. „Menschen treffen Entscheidungen meist, ohne Nutzen und Wahrscheinlichkeiten zu berechnen“, ordnete der Psychologe Gerd Gigerenzer vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin das Studienergebnis ein.