Für mentale Spitzenleistung gilt zunächst das gleiche wie für körperliche Spitzenleistung: Sie ist kein Dauerzustand, sondern das situativ abrufbare Ergebnis eines langfristig ausgewogenen Dreiklangs – aus guter Ernährung, genügend Bewegung und ausreichend Schlaf.
Zum Autor
Hans Werner Hagemann ist Managing Partner der Munich Leadership Group (MLG), einer Trainings- und Beratungsfirma mit Schwerpunkt auf Führung und Innovation. Außerdem ist er Co-Autor des Buches “The Leading Brain“.
Niemand würde auf die Idee kommen, einen 100-Meter-Sprinter möglichst viele Läufe hintereinander in Höchstgeschwindigkeit absolvieren zu lassen, um ihn dadurch zu einer neuen Bestzeit zu bringen. Lustlosigkeit und Burnout wären die wahrscheinlichen Folgen.
Daher sollte das Ziel von Führungskräften auch nicht sein, möglichst pausenlos mentale Spitzenleistung zu erzeugen oder sie von ihren Mitarbeitern und Teams zu fordern. Sondern sie exakt dann abrufen zu können, wenn sie gebraucht wird. Genau dabei helfen uns die Erkenntnisse der Neurowissenschaften.
Für mentale Höchstleistung produziert unser Gehirn drei wichtige Substanzen - sogenannte Neurotransmitter - die jeweils unterschiedliche Funktionen haben und gewissermaßen als Team zusammenwirken: Dopamin, Noradrenalin, und Acetylcholin.
Wie in jedem guten Team kommt es dabei auf das richtige Zusammenspiel an. Wie muss man sich nun die einzelnen Wirkstoffe vorstellen, und was genau ist ihre Wirkung?
Dopamin kommt vor allem dann ins Spiel, wenn wir Spaß an etwas haben. Wenn wir uns über etwas freuen, Belohnungen erwarten oder etwas neu und in unserer Wahrnehmung positiv für uns ist.
Dies funktioniert dann besonders gut, wenn wir bei der Beschäftigung unsere eigenen Stärken oder Präferenzen einbringen können. Es kann wie eine Droge wirken: kurz, intensiv, fast süchtig machend.
Tatsächlich brauchen wir in gleichbleibenden Situationen auch immer etwas mehr davon, um den gleichen Effekt zu erzielen: das Gehalt verändert sich nach oben, das neue Smartphone hat etwas mehr Leistung, das neue Auto einige Extras mehr. Dopamin bringt den Spaß in die DNA-Party.
Noradrenalin wird produziert, wenn uns etwas herausfordert. Etwas, das uns ein wenig aus unserer Komfortzone bringt. Das uns leicht irritiert und die Aufgabe für uns besonders spannend macht.
Experimente zeigen, dass optimale Leistung besonders dann möglich ist, wenn wir an unsere Grenzen gehen müssen - und sogar leicht überfordert sind.
Zehn Tipps für mehr Konzentration im Leben
Jeder hat ein riesiges Potenzial und jeder hat gute Ideen. Die Frage ist nur: Wie gut kommen wir da heran, was filtern wir heraus, was halten wir fest? Und wie schnell geben wir auf? Laut gut recherchierten Gerüchten soll es bei einem Brainstorming die 71. Idee sein, die etwas taugt! Und selbst wenn Sie den Gerüchten nicht glauben mögen, glauben Sie mir: Es ist beileibe nicht die erste Idee, die etwas taugt. Halten Sie so lange durch?
Quelle: Hermann Scherers Buch Fokus
Hier geht es um die Tweets, die Sie sich selbst ständig senden und von denen 80 Prozent negativer Natur sind: Klagelieder, Gejammer und im Übrigen nichts als heiße Luft. Dabei kann man trainieren, mit sich selbst positiv zu sprechen. Einfach mal Ideen aufkeimen, aufblitzen, wieder zusammenfallen zu lassen.
Insgesamt unterscheiden wir beim Coaching vier Reifegrade. Bei den ersten beiden Reifegraden 1 und 2 gilt es, mehr mit positivem Feedback zu arbeiten, damit der Coachee Vertrauen bekommt – in diesem Fall auch zu sich selbst: Lob, Bestärkung, Zuspruch, wenn Sie etwas Gutes bemerken. Erst bei den erhöhten Reifegraden 3 und 4 können wir verstärkt mit konstruktiver Kritik und hartem Feedback arbeiten.
Je reifer Sie in Bezug auf das Selbstcoaching sind, desto genauer können Sie sich einschätzen. Einsteigern rate ich daher, sich immer dann positiv zu verstärken, wenn Sie einen geraden Gedanken und eine zielführende Tat bei sich entdecken. Erwischen Sie sich dagegen beim Prokrastinieren oder der Inszenierung einer neuen Ablenkung, nehmen Sie das bitte wahr, aber zucken Sie nachsichtig mit den Schultern und passen auf wie ein Luchs, dass Sie den nächsten Schritt in Richtung Ziel nicht verpassen.
Das mag nach Hokuspokus oder Kaffeesatzleserei klingen, aber ist nicht jede neue Idee erst mal scharfsinniger Unsinn? Aus dem, wenn wir die Fantasie spielen und Emotionen zulassen, am Ende häufig eine handfeste Entscheidung wird. Dokumentieren wir, wie wir die letzten Jahre erlebt haben, lassen dann die Vergangenheit ruhen und springen gedanklich in die Zukunft, um unsere Idealposition zu entwerfen, können wir nur gewinnen.
Beim Entscheiden gilt genau das gleiche wie das, was Paul Watzlawick für das Kommunizieren herausgefunden hat: Auch ein Schweigen ist beredt. Auch ein Pokerface spricht Bände. Auch eine unausgefüllte Steuererklärung führt zum Steuerbescheid. Sie entscheiden immer. Und wenn Sie nicht entscheiden, dann werden Sie entschieden – und das ist manchmal entscheidend für Ihr Leben. Daher bin ich überzeugt: Die Qualität Ihres Lebens hängt weniger von den Jas ab, die Sie bereitwillig eingegangen sind, sondern in viel höherem Maße von den Neins.
Dazu eine Übung: Bitten Sie Ihren Gesprächspartner, gelegentlich Negatives, Belangloses, Nicht-zielführendes ins Gespräch einzustreuen, wohl dosiert und nicht zu platt. Stürzen Sie sich darauf, oder schaffen Sie es, die Gegenargumente einfach sein zu lassen? Das wäre eine gelungene Fokussierung!
Wir machen uns oft zu Betroffenen, obwohl wir nur Beteiligte sind. Deshalb rate ich dringend, sich eine Extraportion Gelassenheit anzutrainieren, die Weltmacht mit den drei Buchstaben ICH – und damit auch die Opferrolle – zu verlassen und die eigene Festplatte neu zu formatieren.
Nach der EM ist vor der WM und da können Nichtsportler immer nur wieder lernen: Etwa, wie wir unsere Gedanken und unsere Emotionen auf den richtigen Fokus richten. Schließlich haben alle Sportler bestimmte Rituale, um sich in einen guten Status zu bringen. Das Warmlaufen vor dem Anpfiff, die Dehnübungen vor dem Start, das gegenseitige Anfeuern. Und wenn der Körper faul ist, dann joggt man dennoch eine Runde und schon kommt man in Schwung. Man tut so als ob – und „als ob“ geschieht. Nur: Im Alltag machen wir das nicht, da bleiben wir lieber schlecht drauf. Dabei wäre es doch schön, in der Zukunft eine bessere Version von sich selbst zu sein.
Erinnern Sie sich, wann Ihr Gehirn das letzte Mal das Ich ausblendet hat und Sie ganz in einer Tätigkeit aufgegangen sind? Beim Lesen, Sport oder Meditieren vielleicht? Indem wir unser Ich verlassen und aus uns heraustreten, können wir uns in einen anderen Menschen hineinversetzen. Sogar in uns selbst und uns reflektieren.
Aber Vorsicht: es ist ein sehr schmaler Grat zur Frustration. In dem Moment nämlich, in dem wir die Herausforderung als Bedrohung erleben, passiert der gegenteilige Effekt: wir erleben Angst, die zu einer deutlichen Verminderung der Leistung führt. Die Kunst besteht daher darin, sich selbst so gut zu kennen oder kennenzulernen, dass die situative Überforderung konstruktiv bleibt. Noradrenalin bringt die Spannung in die DNA-Party.
Acetylcholin sorgt schließlich dafür, dass wir nicht abgelenkt sind und den Fokus behalten. Haben Sie mal ein Baby beobachtet, das sich mit einem kleinen Spielzeug beschäftigt? Nichts und niemand kann es davon ablenken; es studiert dieses Spielzeug völlig fokussiert - wenn es sein muss, stundenlang - mit allen Sinnen. So lernt es, intensiv und nachhaltig.
Mehr Acetylcholin, bitte!
Führungskräfte leben dagegen in einer Welt der Ablenkung: klingelnde Telefone, vibrierende Handys, mit Glockenton eingehende E-Mails. Ständige Unterbrechungen durch neue und dringendere Themen, die rasch erledigt werden müssen. Mehr Acetylcholin würde uns helfen! Acetylcholin bringt die Konzentration mit zur DNA Party.
Mit diesen drei Mechanismen lässt sich die Leistung von Führungskräften, Mitarbeitern und Teams steigern:
Der Fun-Faktor
Sorgen Sie für Spaß bei dem, was Sie tun. Erkennen Sie das Neue und das Belohnende in Ihrer Aufgabe. Wenn Ihnen das vielleicht zunächst schwerfällt, dann stellen Sie sich vor, Sie erklären diese Aufgabe so interessant wie möglich einem guten Freund (wahlweise Ihrem 10-jährigen Sohn, Ihrem neuen Lebenspartner) und möchten ihn dafür begeistern. Sie werden sich wundern, welche interessanten verdeckten Aspekte Sie an Ihrer Arbeit entdecken und welche neuartigen Dinge sich plötzlich auftun. Dies funktioniert besonders gut bei Routinen, die mit der Zeit langweilig geworden sind.
Echte Arbeitsfreude statt mantraartiger Selbstmotivation - so geht's
Wenn wir etwas Neues in Angriff nehmen, sind wir hellwach und lebendig. Herausforderungen stellen deshalb eine ausgezeichnete Glücksquelle dar. Wir können Zusammenhänge erforschen, wir lernen, wir gehen Risiken ein, müssen improvisieren, erfinderisch sein, Hindernisse aus dem Weg räumen usw. Das Erleben steht im Vordergrund. Wer so arbeitet, denkt nicht daran, zwischendurch auf die Uhr zu sehen und der Feierabend kommt überraschend.
Quelle: Diplom-Psychologin Marion Lemper-Pychlau
Das, womit sich der Geist beschäftigt, das wächst. Konzentrieren wir uns auf all die Faktoren, die Anlass zur Unzufriedenheit geben, dann wächst unweigerlich die Unzufriedenheit. Empfinden wir hingegen Dankbarkeit für die Dinge, die in Ordnung sind, wächst die Zufriedenheit. Alles nur eine Frage der Wahl...
Als soziale Wesen sind wir auf nährende Beziehungen angewiesen. Gerade im beruflichen Stress tut es gut, öfter mal ein Lächeln und ein aufmunterndes Wort geschenkt zu bekommen. Eine lockere Plauderei, gemeinsames Lachen, ein bisschen Anteilnahme – es braucht nicht viel, um Verbundenheit herzustellen. Jeder kann damit anfangen, solch eine Kultur der Freundlichkeit und des gegenseitigen Wohlwollens zu etablieren. Ein wenig Wärme im rauen Tagesgeschäft ist ein wertvoller Wohlfühlfaktor.
In der Arbeitswelt geht es den meisten um Gewinn und groß ist die Befürchtung, man könnte zu kurz kommen. Dahinter steht die unreflektierte Überzeugung, dass wir um so glücklicher sein werden, je mehr wir bekommen. Diese Überzeugung ist falsch. Denn wir sind alle Opfer des Gewöhnungseffekts: Was auch immer wie bekommen, wir gewöhnen uns daran und wollen dann um so mehr. So werden wir zu Getriebenen.
Beständiger hingegen ist das Glück des Gebens, ebenfalls eine Erfindung der Evolution. Wenn wir etwas für andere tun, nutzt das häufig mehr uns selbst als dem Empfänger unserer Wohltaten. Die Natur belohnt Selbstlosigkeit mit Glücksgefühlen, weil sie früher einmal unmittelbar dem Überleben der Art diente. Der Mechanismus funktioniert auch heute noch hervorragend. Und ganz nebenbei erweist sich großer Einsatz oft auch als sehr förderlich für die eigene Karriere...
Fremdbestimmung ist der Arbeitsfreude abträglich. Das Gefühl, nur ein Befehlsempfänger zu sein, lässt kein Glück zu. Wir können in solch einer Situation jedoch zum versierten Detektiv für Spielräume werden. Kleine Spielräume finden sich immer. Es ist sehr beglückend, sie auf persönliche und eigenwillige Weise zu nutzen. Wir wollen gestalten und der Welt unseren eigenen Stempel aufdrücken – das liegt in unserer Natur. Auch wenn es nur im Kleinen geschieht, so fühlt es sich doch sehr gut an.
Der Fear-Faktor
Gehen Sie an Ihre Grenzen. Spüren Sie den vollen Einsatz Ihres Wissens und Könnens. Setzen Sie sich bei Routineaufgaben selbst unter Zeitdruck, indem Sie sich vorstellen, bereits in einer Stunde stehe der Kunde in Ihrem Büro und wolle eine umfassende Information. Oder rechnen Sie gedanklich damit, dass Sie im Laufe des Tages plötzlich unvermittelt für ein anderes Projekt Zeit aufwenden müssen, die Ihnen am Abend fehlt. Oder dass von der Erledigung dieser Aufgabe ein Großteil Ihres Bonus oder die Gunst wichtigen Person abhängt. Je genauer Sie sich dies vorstellen, desto besser die Wirkung. Wagen Sie etwas: versuchen Sie, auf neuen Wegen zum Ziel zu kommen. Halten Sie ihre Standardpräsentation beim nächsten Mal nur mit zwei von fünf geplanten Folien, und ersetzen Sie dann beim übernächsten Mal noch die sowieso viel zu kleingedruckte Schrift durch Storytelling.
Der Fokus-Faktor
Reduzieren Sie die mögliche und tatsächliche Ablenkung bei Ihrer Beschäftigung auf ein Minimum. Schließen Sie die Zimmertür, schalten Sie das Handy ab (ja, abschalten, nicht nur stummschalten – das ist für das Gehirn ein großer Unterschied, da das Handy ja immer noch blinken oder vibrieren kann und neue Nachrichten noch immer eintreffen können). In Meetings wirkt es Wunder, wenn alle Teilnehmer die Handys abschalten. Sie werden die neue Qualität der Gespräche genießen, auf die sich die anwesenden Gehirne jetzt ganz anders konzentrieren. Sie werden feststellen, dass die Zeit für das Meeting sinkt und Produktivität und Zufriedenheit signifikant steigen.
Wenn Sie Familienbilder vor sich auf dem Schreibtisch stehen haben, dann stellen Sie diese lieber in das Regal hinter Ihnen. Leise Instrumentalmusik kann helfen, sich zu konzentrieren, das haben Experimente mehrfach gezeigt – probieren Sie es für sich aus. Schaffen Sie sich 20-Minuten-Blöcke voller Konzentration auf eine Aufgabe, indem Sie sich ganz bewusst und für niemanden erreichbar von der Hektik des Tagesgeschäftes zurückziehen: terminieren Sie ein Meeting mit sich selbst! Sie werden staunen, was Sie in 20 konzentrierten Minuten alles erledigen können!