




Befreiter Jubel im (Früh-)Sommer hat an deutschen Gymnasien Tradition. Dann gehen mehrwöchige Abiturprüfungen zu Ende, in den allermeisten Fällen mit dem begehrten Reifezeugnis. In einigen Bundesländern werden aber wohl wieder deutlich bessere Noten bejubelt als in anderen. Das heizt den Streit über Wert und Gerechtigkeit des Abiturs an. Und es wirft die Frage auf, ob die für Schule zuständigen Länder auf teils massive Kritik am Abi-Flickenteppich reagieren.
Handlungsbedarf angesichts einer „Abi-Lotterie“ stellte gerade erst „Der Spiegel“ fest. Das Magazin wertete Daten der Kultusministerien und des Statistischen Bundesamtes zu den Abiturgesamtnoten 2006 bis 2013 aus. Ergebnis: Der Anteil der Einser-Abiturienten, aber auch der Durchfaller weicht in manchen Ländern regelmäßig deutlich vom Bundesdurchschnitt ab. These: Mancherorts sind die Startchancen für Numerus-clausus-Studienplatzbewerber klar besser als anderswo.
So schlossen 2013 in Thüringen 37,8 Prozent aller Kandidaten mit der Eins vor dem Komma ab, in Niedersachsen indes mit 15,6 Prozent nicht mal halb so viele (bundesweit: 23,3 Prozent). Auch der Notenschnitt klaffte auseinander - zwischen 2,17 in Thüringen und 2,61 in Niedersachsen.
Verdacht auf "Kuschelnoten" in Thüringen
Den Verdacht, dass im Abi-Wunderland Thüringen Kuschelnoten verteilt werden, weist Bildungsministerin Birgit Klaubert (Linke) auf Nachfrage zurück. Auch in bundesweiten Studien ohne Notenvergleich hätten Thüringer Schüler in den Vorjahren mehrfach vorderste Plätze belegt. Klaubert: „Das Thüringer Schulsystem setzt auf Leistung - und belohnt sie auch.“
Von „Subkulturen“ in einzelnen Schulen und Ländern spricht der Vorsitzende des Wissenschaftsrats, Manfred Prenzel, im „Spiegel“ angesichts der Noten-Spreizung: „Die ostdeutschen Bundesländer haben eine ausgeprägte Tradition, Spitzenleistungen zu fördern und zu honorieren. Andere Länder neigen eher dazu, Abiturienten gleichzumachen, vielleicht aus politischen Gründen.“
Aber nicht nur in Thüringen, fast überall in Deutschland verbesserten sich die Abi-Noten innerhalb der acht Auswertungsjahre. So lag der Einser-Anteil in Berlin 2013 fast doppelt so hoch wie 2006. Geht der begehrten Hochschulreife inzwischen nur noch ein quasi hinterhergeworfenes „Schmalspur-Abi“ voraus, wie Skeptiker behaupten?
Der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger, selbst Schulleiter in Bayern, stichelt: „Die nachweisbare massive Zunahme von Einser-Schnitten liegt sicher nicht daran, dass in Deutschland bei Abiturienten plötzlich eine Leistungsexplosion stattgefunden hat.“
Wenn „sogar renommierte Bildungsforscher wie Professor Prenzel sagen, die Qualität eines Gymnasiums bemesse sich unter anderem nach den Abitur-Durchfallquoten (möglichst niedrig) und den Durchschnitten (möglichst gut), dann ist doch klar, welche Botschaft an die Schulen gesandt wird: Werft niemanden mehr durch und seid nicht knauserig mit Spitzennoten“, so der Chef der Lehrergewerkschaft.