




"Generell wirken Medikamente bei jedem anders", erklärt Boris Quednow, Professor für Experimentelle und Klinische Pharmakopsychologie an der Psychiatrischen Universität Zürich. "Das ist bei Kopfschmerzmitteln so und erst recht bei Psychopharmaka." Eine hohe positive Standardwirkung gebe es daher nicht. "Substanzen wie Metylphenidat, Amphetamine und Modafinil verändern in erster Linie den emotionalen Zustand, erzielen, dass man sich besser fühlt. Doch das Gedächtnis wird dadurch nicht entscheidend verbessert, der IQ schon erst recht nicht." Laut Quednow versüßt es das Lernen bestenfalls - und das in Kombination mit einem nicht zu unterschätzenden Abhängigkeitspotential: "Einer von zehn trägt das Risiko abhängig zu werden." Die Crux sei zudem, dass diese Substanzen auch nur dann wirken und etwa konzentrierter, motivierter und wacher machen, wenn zuvor ein echtes Defizit vorherrsche. "Bei guten Studenten kann die Einnahme sogar kontraproduktiv sein und die Lernerfolge abschwächen“, erklärt der Experte. „Generell neigen Studenten auch dazu, sich durch die Einnahme dieser Substanzen zu überschätzen."
Klaus Lieb von der Uni Mainz weiß um den hohen Placebo- und Erwartungseffekt solcher Mittel, und auch er warnt vor den Gefahren einer Abhängigkeitsentwicklung. "Diese Substanzen gibt es ja nicht erst seit gestern, aber unsere gegenwärtige Gesellschaft ist ein zunehmend hoher Faktor für Medikamentensucht geworden. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, die sich selbst überdreht und nicht mehr runterkommt." Philosoph und Psychologe Stephan Schleim, derzeit mit einer Professur an der Universität Groningen, mahnt ebenfalls zur Vorsicht: "Wir wissen bis dato nicht, was diese Substanzen über längere Zeit mit uns machen." Die Langzeitfolgen seien nicht erforscht. "Man muss leider sagen, dass es im Wissenschaftsbetrieb dafür auch wenig Anreiz gibt, dies zu tun. So eine Studie müsste mindestens zehn Jahre laufen." Das bedeute: viel Müh', wenig Ehr'.
Hirn-Biologismus, neue Elterngeneration und das Internet
Gehetzt, gedopt und gemein – diese neuen Studenten-Attribute allein auf Bologna-Reform und Globalisierung zu schieben, sei zu kurz gegriffen. Darin sind sich Experten aus Forschung und Praxis einig. „Heute lässt sich neurobiologisch angeblich so gut wie alles begründen. Es gibt kaum einen Vortrag ohne ein schönes, anschauliches Hirnmodell“, erklärt Psychologe Rainer Holm-Hodulla. „Wir leben in einer Zeit, in der der Biologismus, oder besser, der Hirn-Biologismus vorherrschend ist.“ Der Griff zur Tablette sei da viel naheliegender, um das Gehirn zu stimulieren als etwa einen Spaziergang zu machen oder eine Mozartsonate zu hören. „Dabei liegt es auf der Hand, dass Freiräume und kulturelle Aktivitäten die Leistung stärken.“ Engführung und Überstrukturierung bewirkten das Gegenteil. „Es gibt nicht nur immer mehr, die sich wie in einem Hamsterrad fühlen, sondern auch immer mehr, die sich da auch hineinzwängen.“
Hochschule
"Viele laden sich in den ersten Semestern oft viel zu viel auf und kommen dann schnell an ihre Grenzen. Keiner muss zwingend nach sechs, sieben Semestern hier fertig sein", erklärt Jürgen Blank, Geschäftsführer im Fach Wirtschaftswissenschaften der TU Kaiserslautern. Ginge es nach ihm, würde er gern das 0. Semester einführen. "Die Studierenden werden immer jünger. Wir müssen ihnen Zeit zugestehen, sich zu orientieren. Es ist doch kein Scheitern, wenn man das Fach wechselt, oder etwas anderes macht." Den neuen übersteigerten Ehrgeiz führt Blank auch auf eine veränderte Elterngeneration zurück: "Die haben unsichere Jobs und Arbeitslosigkeit schon selbst kennen gelernt und wollen, dass es ihre Kinder besser haben."
Professor Boris Quednow führt die neuen Medien ins Feld: „Wir leben in einer Zeit, in der sich keiner mehr mit seiner sozialen Nische abfinden will. Durch Blogs, Facebook und Youtube fühlt sich schnell jeder als Star, der reich und berühmt sein kann. Aber die Realität sieht anders aus.“
*Name wurde von der Redaktion geändert