Jeder, der irgendwann in den 2000er Jahren studiert hat oder es heute noch tut, durchläuft die Uni mit einem simplen Dogma im Kopf: Geh ins Ausland! Geh! Wenn du später einen guten Job bekommen will, musst du Praktika vorweisen können, klar, aber eben auch Auslandserfahrung. In jeder Behördenbroschüre ist das zu lesen, auf jeder Jobmesse tönt es einem entgegen. Die Anweisung hat ihre Wirkung nicht verfehlt. Die Anzahl der Studenten, die ein oder zwei Semester im Ausland verbringen, ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen.
Waren Auslandssemester in den Neunzigerjahren noch eine Rarität, sind sie heute Gewohnheit: Rund jeder vierte Student verbringt mindestens ein Semester im Ausland, fast 40 Prozent der Studenten gelten heute als „auslandsmobil“, haben also Studium, längeren Sprachkurs oder Praktikum im Ausland verdient. Mit dem Austauschprogramm „Erasmus“ der EU ist die Sache erst einfacher geworden, dann selbstverständlich. Nicht alle Studenten gehen dabei zwar aus Karrieremotiven ins Ausland und die wenigsten bereuen es später, ob sie beruflichen Erfolg haben oder nicht. Doch fast alle sind sich hinterher sicher, dass es ihnen auch beruflich genützt habe.
Jetzt zeigt sich, dass die Geschichte vom Erfolgsrezept Auslandserfahrung vor allem das ist: eine gute Geschichte. Gerade hat die Hannoveraner Hochschulforschungszentrum HIS eine Studie veröffentlicht, die dem beruflichen Verbleib von Studenten nachgeht. Im Mittelpunkt der Untersuchung des Hochschulforschers Nicolai Netz stand dabei die Frage, ob sich ein Auslandsaufenthalt positiv auf den beruflichen Erfolg ausgewirkt hatte. Dabei wurden sowohl Praktika im Ausland als auch Studienaufenthalte einbezogen. Verglichen wurden die Situation von Studenten, die 2005 ihren Abschluss gemacht hatten, fünf Jahre nach Ende des Studiums.
Die Antwort lautet, mit Ausnahmen: Nein. So hat ein absolvierter Auslandsaufenthalt generell keinen Einfluss darauf, ob ein Student später arbeitslos wird oder nicht, das Risiko ist für beide Gruppen gleich hoch. Auch die Einkommen von international erfahrenen Absolventen unterschieden kaum von denen, die nicht ins Ausland gingen.
Bestenfalls sekundärer Einfluss
Besonders bitter ist diese Tatsache angesichts der Erwartungshaltung vieler Studenten vor einem Auslandsaufenthalt: So erhofft sich der überwiegende Anteil der Teilnehmer an Austauschprogrammen (70 Prozent) davon verbesserte berufliche Perspektiven.
Eine Ausnahme bildeten Studenten geisteswissenschaftlicher Fächer, hier verfügten Absolventen mit Auslandserfahrung über ein deutlich höheres Gehalt als ihre ehemaligen Kommilitonen ohne. Auch Ingenieure und Informatiker verdienen im Mittel etwas mehr, wenn sie während des Studiums im Ausland waren. Zugleich streut in dieser Gruppe das Gehalt aber auch stärker. Auch in diesen Gruppen hat die Auslandserfahrung jedoch einen bestenfalls sekundären Einfluss. Viel wichtiger sind Geschlecht, Fachrichtung und Studienort.
Auch auf die subjektive Einschätzung der beruflichen Situation fünf Jahre nach Studienabschluss hat ein Aufenthalt im Ausland der Studie zufolge keinen signifikanten Einfluss. Stattdessen deutet einiges darauf hin, dass der Auslandsaufenthalt sich vor allem auf die eigenen Ansprüche auswirkt. So sind international erfahrene Studenten fünf Jahre nach Abschluss seltener mit ihrer erreichten beruflichen Position zufrieden, obwohl sich objektiv keine relevanten Unterschiede in der Position feststellen lassen. Dies gilt allerdings nur für Fachhochschulabsolventen.
Dennoch zeigt die Studie nicht nur Ähnlichkeiten, sondern auch interessante Unterschiede zwischen Studenten mit und ohne internationale Erfahrung auf. So ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Student fünf Jahre nach Abschluss in der Wissenschaft arbeitet, deutlich höher, wenn er einen Auslandsaufenthalt absolviert hat. Daraus schließt der Autor, dass sich die Einkommensunterschiede zu einem späteren Zeitpunkt vielleicht doch noch einstellen könnten: Nach einer Promotion ergebe sich im Mittel meist ein höheres Gehalt als ohne.