Auslandsstudium in Coronazeiten Homeoffice statt Honduras

Studieren im Ausland: An der Fachhochschule Venlo studieren auch viele Deutsche. Doch anderswo erschwert Corona den Austausch. Quelle: dpa

Tausende Erasmus-Studenten stehen vor der Frage: Was nun? Das Auslandsstudium kann zur Not zwar auch im Homeoffice stattfinden. Verschieben ist trotzdem oft eine gute Wahl.

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Uni zu, Klausuren abgesagt – für Ben Heiden endete das Auslandsstudium in Birmingham abrupt. Dreimal musste der Berliner, der im Herbst 2019 als Erasmusstudent nach England gegangen war, umbuchen, ehe er am 17. März endlich über London zurück nach Deutschland kam. Das war der Tag, an dem das Auswärtige Amt wegen der Coronapandemie eine weltweite Reisewarnung aussprach. Von seinen Seminaren verpasste der VWL-Student von der Freien Universität Berlin zum Glück nicht viel. „Die letzten Vorlesungswochen waren bereits fast ausschließlich online“, berichtet Heiden. Statt den Abschlussprüfungen könne er von Berlin aus eine Hausarbeit schreiben. Das ist der Vorgeschmack auf das Auslandsstudium in Zeiten von Corona.

Viele Universitäten haben ihre Austauschprogramme vorerst eingestellt. Andere bieten ausländischen Besuchern nur ein Fernstudium im Homeoffice an. Das europäische Hochschulnetzwerk EUF informiert Studenten, welche Universitäten wie verfahren. Stipendien bei Erasmus+ werden nicht zentral, sondern von den jeweiligen Hochschulen koordiniert. Bei vielen steht aber selbst Ende Juni noch nicht fest, wie es im kommenden Wintersemester weitergeht. Auch bei der Freien Universität Berlin bleiben derzeit viele Fragen offen. „Die Rückmeldungen der Partneruniversitäten sind diffus - alle sind sehr mit sich selbst beschäftigt“, berichtet Gesa Heym, bei der FU zuständig für internationale Austauschprogramme. „Aber das ist auch verständlich – nicht überall ist die Gesundheitslage so positiv wie in Deutschland.“

Auslandsstudium mit Einschränkungen

Die FU Berlin hat sich entschlossen, die internationalen Austauschprogramme für das Wintersemester 2020/21 trotz der schwierigen Lage wie geplant anzubieten. „Aus unserer Sicht bestand kein Anlass zu einer pauschalen Absage aller Austauschprogramme“, erzählt Heym. „Natürlich klappt nicht alles, aber so manches doch“, zeigt sich die Koordinatorin zuversichtlich, warnt aber: „Natürlich gibt es Einschränkungen.“ Wer zum Wintersemester an einer ausländischen Hochschule studieren wolle, werde nicht das normale Campus- und Alltagsleben an der Partneruniversität vorfinden. „Aber wir gehen davon aus, dass wir unseren Austauschstudierenden eine Mischung aus Online- und Präsenzveranstaltungen anbieten können“, berichtet Heym. In der aktuellen Lage seien Flexibilität und Geduld gefragt.

Flexibilität bedeutet für die FU auch, die Lage in den Ländern individuell zu betrachten. Von der Universität Zürich etwa haben sich für das Wintersemester elf Studenten angekündigt, vier Studenten der FU sollen an die Schweizer Hochschule wechseln. „Die Grenzüberschreitung wäre nach heutigen Bedingungen möglich, es spricht also überhaupt nichts dagegen, die Studierenden dann auch hier zu empfangen“, sagt Heym. 

Ganz anders sieht es beim Austausch mit den Vereinigten Staaten aus. Zwar haben nicht alle Partneruniversitäten der FU das Wintersemester abgesagt. Aber es kommen andere erschwerende Bedingungen hinzu. „Die US-Botschaft kann eigentlich zurzeit aufgrund eines präsidialen Dekrets die erforderlichen Visa gar nicht ausstellen“, erklärt Heym. Studenten mit dem Ziel USA werde daher grundsätzlich empfohlen, ihren Aufenthalt auf das Frühjahr 2021 zu verschieben.

Das ist aktuell offenbar eine beliebte Strategie. Die Koordinatorin verzeichnet „minütlich E-Mails mit Verschiebungswünschen“ - ihrer Ansicht nach eine gute Entscheidung, unabhängig vom Zielland. „Wir raten den Studierenden durchaus, ihren Aufenthalt vom Wintersemester auf das Sommersemester zu verschieben. Das klappt aber nicht immer.“ Sie gibt zu bedenken, dass die Studenten wegen der abgelaufenen Bewerbungsfristen leider nicht mehr kurzfristig an eine andere Hochschule ausweichen können. Aber wenigstens dürfen die verhinderten Auslandsstudenten an ihrer Heimatuni kurzfristig doch Seminare und Vorlesungen besuchen. So wird das jedenfalls an der FU gehandhabt.

Studenten könnten generell gut beraten sein, vorerst nicht zu sehr in die Ferne zu schweifen. „Sollte die gute Entwicklung der Coronaerkrankungen in der Europäischen Union anhalten, dann bietet eine europäische Hochschule zum Wintersemester oder für 2021 derzeit durchaus eine höhere Planungssicherheit“, empfiehlt Joybrato Mukherjee, Präsident des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). Er erwartet deshalb derzeit keinen dramatischen Einbruch bei den deutschen Austauschstudenten in Europa. Es sei eher damit zu rechnen, dass Studierende den für das Wintersemester geplanten Auslandsaufenthalt ins Sommersemester 2021 verlegen.

Auslandsstudium im Homeoffice

Stipendiaten von Erasmus+, für die das keine Option ist, soll mit flexiblen Lösungen geholfen werden. Bei Einschränkungen durch Corona könne der Aufenthalt im Ausland verkürzt oder gestrichen werden, erläutert Mukherjee. In diesem Fall würden Studenten länger über Online-Kurse unterrichtet. Das Fernstudium im Ausland soll aber auch von der Notlösung zum festen Bestandteil bei Erasmus werden. Geplant ist laut dem DAAD-Präsidenten ein „Blendend Mobility“-Ansatz: Studenten lernen erst online in ihrer Heimat und wechseln dann für drei Monate an die Gasteinrichtung im Ausland. Die finanziellen Zuschüsse werden allerdings nur für den Auslandsaufenthalt gewährt. Ähnliche Stipendien mit einer Mischung aus Online-Studium und Auslandsaufenthalt gibt es laut Mukherjee seit kurzem auch beim DAAD, inklusive der Förderung des Online-Studiums vom heimischen Schreibtisch aus.

Die Digitalisierung macht das Auslandsstudium sogar unter Umständen attraktiver. Nicht alle Studenten können sich einen Aufenthalt in der Ferne leisten, sei es aus Kostengründen oder weil sie sich um Angehörige kümmern. „Für diese Studierenden ist ein Online-Studium beziehungsweise ein virtueller Austausch eine Alternative, um interkulturelle Erfahrungen zu sammeln und sich über Landesgrenzen hinweg zu vernetzen“, betont eine Sprecherin des Bundesbildungsministeriums. 

Viele Studenten scheinen vom reinen Online-Auslandsstudium allerdings nicht überzeugt zu sein. „Wir sehen wenig Interesse, die Studierenden würden lieber ihren Aufenthalt verschieben“, berichtet FU-Koordinatorin Heym.  Ben Heiden, der überstürzt aus Birmingham aufbrechen musste, kann seine Kommilitonen gut verstehen. „Wenn sich die Auslandserfahrung komplett nur auf Zoom-Vorlesungen in anderer Sprache und mit einem anderen Unilogo auf den Folien beschränken, wird das Schönste am Studium in der Ferne, der Kontakt mit den Studierenden und der Kultur vor Ort, fehlen“, sagt der Berliner. „Das wäre dann leider auf keinen Fall mit einem Auslandsjahr vor der Pandemie zu vergleichen.“

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