
Auf der Bildungsmesse didacta in Köln zeigt der Stuckateur David Reingen Kindern und Lehrern, wie er arbeitet. Die Kinder können Formen abgießen und die blumigen Gebilde aus Mörtel, die man aus Altbauwohnungen kennt, anschließend mitnehmen. Auch der Maurer Sebastian Wichern zeigt mit Klinker und Mörtel, was er so kann.
Stuckateure? Maurer? Auf einer Bildungsmesse? Das scheint erstmal widersprüchlich, geht es doch in so gut wie jeder Bildungsdiskussion um Akademisierung als Vorbereitung auf die Berufswelt von Morgen. Und die ist laut Mehrheitsmeinung voller Mathematiker, Physiker, Programmierer und Ingenieure – aber sicher nicht voller Stuckateure.
Christoph Igel vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz sieht das anders. „Die Jobs werden ja nicht einfach verschwinden“, sagt der Leiter des Center for Learning Technology. Was man bei der ganzen Debatte um die Digitalisierung immer vergesse, sei, dass sie aus der Industrie komme, so Igel. Er befasst sich seit mehr als 20 Jahren mit dem Thema.
Diese Tech-Jobs werden im Jahr 2020 gesucht
Der Business Analyst baut Brücken zwischen den Fachbereichen eines Unternehmens und dessen IT. Dazu untersucht er Geschäftsprozesse und Anforderungen der Fachbereiche und kommuniziert sie der IT-Abteilung, um die Umsetzung so reibungslos wie möglich zu gestalten. Dabei muss der Business Analyst über sehr gute kommunikative Fähigkeiten verfügen, da er sowohl die Perspektive des Unternehmens als auch die der Kunden verstehen und einbeziehen muss.
Cloud-Computing wird für IT-Unternehmen immer wichtiger. Daher steigt auch der Bedarf an Fachkräften die eine effektive Integration der Cloud fördern. Cloud-Architekten sind in der Lage sowohl die Unternehmensseite zu berücksichtigen, als auch die technischen Herausforderungen zu meistern.
Das Berufsfeld der Datenarchitekten gehört der IT-Architektur an. Der Data Architect identifiziert und beschreibt in Geschäftsprozessen zugehörige Daten und ihre Beziehungen. Zu den alltäglichen Aufgaben gehören Datenanalysen, Datenmodellierung, Datenintegration oder die Optimierung von Datenbanken. Der Bedarf an Datenarchitekten nimmt stetig zu.
Data Artists sind die Künstler in der Tech-Welt. Sie gestalten visuelle Hilfsmittel wie Graphen, Charts und Infografiken um komplexe Daten und Auswertungen für die anderen Unternehmensbereiche und Kunden verständlich zu machen. Erfolgreiche Data Artists vereinen Kenntnisse aus der Wissenschaft, Mathematik und Datenverarbeitung mit kreativen Fähigkeiten und Kompetenzen im Umgang mit Gestaltungsprogrammen.
Mit den wachsenden Mengen an Daten steigt auch der Bedarf diese zu strukturieren. Damit befasst sich das Berufsfeld der Data Scientists, in Deutschland bekannt als Datenanalytsen. Mit Hilfe von Algorithmen extrahieren sie die für das Unternehmen nützlichen und verwertbaren Informationen aus den Datenmassen. In den USA ist die Ausbildung zum Data Scientist bereits sehr beliebt, in Deutschland steht sie noch relativ am Anfang. Datenanaylsten fühlen sich in der Mathematik und Statistik wohl. Sie arbeiten mit Datenbanken, Netzwerktechniken und Programmierungen.
Der Datenbankadministrator befassen sich mit den Datenbanksystemen eines Unternehmens. Dabei gilt es zum einem die Informationssysteme zu installieren, konfigurieren, betreiben, überwachen und pflegen. Zum anderen betreibt der Datenbankadministrator das sogenannte Changemanagement.
Auch der Information Broker, zu Deutsch Informationsvermittler befasst sich mit den entstehenden Datenmassen im Netz. Sein Berufsfeld ist aus der Verfügbarkeit von Online-Datenbanken entstanden. Für den Information Broker gibt es zwei mögliche Einsatzgebiete: zum einen kann er gegen ein Honorar die Recherche von Informationen übernehmen um Datenbanken zu "füttern", zum anderen kann er als Inhouse-Experte in einem Unternehmen tätig sein und die betrieblichen Datenbestände aufstocken. Ein professioneller Information Broker benötigt fundiertes fachliches und methodisches Wissen.
Hinter dem IT-Architekten verbirgt sich ein Informatiker mit speziellem Wissen. Er erarbeitet Planungs- und Orientierungsrahmen, anhand derer sich IT-Projekte erfolgreich realisieren lassen. Besonders wichtig ist der ständige Abgleich zwischen der Ist- und der Soll-Architektur eines Unternehmens.
Der IT-Auditor analysiert und bewertet IT-gestützte Geschäftsprozesse hinsichtlich ihrer Effizienz und Qualität, möglicher Risiken sowie der Einhaltung interner und externer Vorgaben. Er nutzt in seiner Arbeit Reports, um sicherzustellen, dass die Prüfungsziele effizient erreicht werden. Gleichzeitig beurteilt er die Risiken und Kontrollen des internen Kontrollsystems.
Das Berufsfeld des IT-Beraters ist weit gestreut. Im Allgemeinen beratet er Unternehmen im Bereich der Informationstechnik. Dies ist in der IT-Branche, in unterschiedlichen Wirtschaftsunternehmen oder in der öffentlichen Verwaltung, sowie bei Verbänden und Organisation möglich. Der IT-Berater benötigt Kenntnisse aus den Bereichen Informatik, Softwaretechnik und Betriebswirtschaft.
Größere Betriebe verfügen über Computeranlagen, mit denen Daten innerhalb des Unternehmens ausgetauscht werden können. Für deren Funktionsfähigkeit ist der Netzwerkadministrator zuständig. Er konfiguriert, betreibt, überwacht und pflegt Datennetze für Computer sowie integrierte Telekommunikationsnetze für Telefonie, Videokonferenzen oder Funknetze.
Der Requirements Engineer bewegt sich ähnlich wie der Business Analyst im Anforderungsmanagement. Sein Ziel ist es ein gemeinsames Verständnis zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber hinsichtlich des zu entwickelnden Systems zu erreichen.
Der SAP-Berater ermittelt die Anforderungen von Unternehmen an die betriebswirtschaftliche Software SAP und führt diese in Unternehmen ein. In einem weiteren Schritt bildet er die Angestellten in der Nutzung der Software aus. Dazu ist der Berater nicht bei SAP angestellt. Er arbeitet direkt beim Anwenderunternehmen, bei einem IT-Dienstleister, bei Unternehmen für Softwareentwicklung oder auf selbstständiger Basis.
Der Sicherheitsspezialist versucht Datenlecks zu vermeiden und eine Strategie zur IT-Sicherheit zu entwickeln. Security-Spezialisten werden in jedem Unternehmen benötigt, welches eine komplexe IT-Infrastruktur hat.
das Service-Level-Management, zu Deutsch Dienstgütemanagement befasst sich mit der Definition, Überwachung und Optimierung von Dienstleistungen in der IT-Branche. Der Service Level Manager ist verantwortlich die Leistungen der IT in Einklang mit den geschäftlichen Erwartungen zu bringen.
Der Software Engineering Specialist beschäftigen sich mit dem Design, der Entwicklung, der Instandhaltung und Evaluation von Software-Systemen.
Systemanalytiker, die im IT-Bereich arbeiten, modellieren Geschäftsprozesse und erstellen auf der Basis von Analysen die Anforderungen an IT-Systeme, die sie in Form von Anforderungsmodellen darstellen. Die Unterstützung eines Systemanalytikers ist vor allem dann von großer Bedeutung, wenn Prozessabläufe komplizierter werden. Die Hauptaufgaben eines Systemanalytikers bestehen darin, die Umsetzung und Installation von IT-Systemen fachlich zu begleiten sowie bereits bestehende anzupassen. Zudem müssen sie auch kommunikative Fähigkeiten bei Verhandlungen und Beratungen mit Kunden unter Beweis stellen.
Ein Testmanager prüft IT-Systeme, die sich noch in der Vorbereitungsphase befinden. Er ist für die Konzeption, Planung, Steuerung und Prüfung des Prozesses zuständig. Außerdem dirigiert er den Testprozess, indem er sowohl Vorgesetzte als auch Kunden stetig auf den neuesten Stand bringt, was Qualität und Fortschritte des Systems betrifft.
Webdesigner arbeiten in der Regel für Software- und Datenbankanbieter oder Multimediaagenturen. Ihre Aufgabe besteht darin, Internet-Auftritte zu betreuen. Während Webdesigner in kleineren Agenturen üblicherweise für Gestaltung, Aufbau und die Verwirklichung des Corporate Designs zuständig sind, übernehmen sie in größeren Betrieben oftmals vorwiegend die Pflege für Layout und Design der Webseiten. Bei weiterführenden Aufgaben stehen ihm dann weitere Sachkundige zur Verfügung.
Nicht ohne Grund heißt es Industrie 4.0 – nicht Büromensch 4.0. Auch der Bankschalter verschwindet nicht ganz durch FinTechs und veränderte Geschäftsmodelle. Trotzdem gibt es Visionen einer menschenleeren Fabrik, in der der Roboter den Werkzeugmacher ersetzt. Das könne er sich in naher Zukunft hierzulande nicht vorstellen, sagt Igel. „Wir führen die Diskussion in Deutschland gerne sehr hysterisch, hängen aber mit der Umsetzung im Vergleich zu anderen Ländern noch hinterher“, kritisiert er.
Mittelstand digitalisiert sich heimlich
Damit das mit dem Hinterherhinken kein Dauerzustand bleibt, dürften nicht nur die 30 großen Konzerne sogenannte Change-Prozesse ins Rollen bringen. Auch kleine Handwerksbetriebe müssen etwas tun – schließlich stellt der Mittelstand die Mehrheit der Unternehmen: Rund 3,62 Millionen Unternehmen - das sind 99,6 Prozent - zählen laut dem Institut für Mittelstandsforschung zum deutschen Mittelstand. Wenn die alle in der analogen Zeit stehen bleiben, dann heißt es für die deutsche Wirtschaft gute Nacht, Marie.
Zustimmung zur Aussage: "Ich kann mir ein Leben ohne digitale Technologien nicht mehr vorstellen"
71 Prozent
81 Prozent
80 Prozent
70 Prozent
73 Prozent
76 Prozent
72 Prozent
71 Prozent
Die gute Nachricht: Sie tun es nicht. Die kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) digitalisieren sich sehr wohl. Nur eben meist ohne Tamtam und hochbezahlten Chief Digitalisation Officer, sondern zur Not dank Einsatz des Schwagers vom Chef, der sich mit E-Commerce auskennt.
Digitalisierungsdebatte geht am Handwerk vorbei
Und schließlich hat sich die Arbeitswelt des Handwerks nicht erst gestern verändert: Maler und Lackierer nutzen heute digitale Anwendungen, um Farben zu mischen, statt wie früher so lange Rot und Gelb zusammenzukippen, bis das gewünschte Orange rauskommt. Wer Metalle, Holz oder Kunststoffe bearbeitet, muss wissen, wie man eine CNC-Fräse für den gewünschten Zuschnitt neu programmiert und lässt dafür nicht erst einen Informatiker einfliegen. Und Stuckateur Reingen kreiert seine Formen mit dem 3D-Drucker.
Auch Maurer Wichern kommt ohne Software nicht aus, wenn er komplexe Muster mauern will. Lageristen und Kommissionierer laufen schon seit Jahren mit Tablet-Computern statt mit einem Klemmbrett durch die Hallen und auch Industriemechaniker und Werkzeugmacher haben neben dem Schraubenschlüssel ein Tablet dabei. Währenddessen sitzen in den Büros dieser Welt immer noch ausreichend studierte Köpfe, die nicht wissen, was eigentlich ein Browser ist.
Trotzdem dreht sich die gesamte Debatte mehrheitlich um sie – obwohl die Nichtakademiker in Deutschland den Löwenanteil stellen. Laut OECD-Daten schreibt sich rund die Hälfte aller Schulabgänger in Deutschland an einer Universität oder Fachhochschule ein. Nicht alle verlassen die Hochschule auch mit einem Abschluss.
Studienanfänger contra Studienabbrecher: In welchen Ländern die meisten Studenten durchhalten
Im Durchschnitt aller OECD-Länder beginnen 67 Prozent aller jungen Menschen im Laufe ihres Lebens ein Studium an, gehen auf eine Meisterschule oder eine andere höhere Berufsbildungseinrichtung. 50 Prozent der jungen MEnschen in den OECD-Ländern schließen dies auch ab.
Quelle: OECD-Bildungsbericht
Spitzenreiter ist Australien: Hier ziehen 74 Prozent ihr Studium oder ihre Meisterschule auch bis zum Abschluss durch.
In Neuseeland beginnen 92 Prozent eines Jahrgangs ein Hochschulstudium.72 Prozent schließen das Studium auch ab.
71 Prozent der jungen Japaner beenden ihr Studium auch.
In Dänemark fangen 87 Prozent eines Jahrgangs ien Studium an, 62 Prozent bringen es zu Ende.
In Slowenien gehen 74 Prozent der jungen Leute an die Uni, 58 Prozent verlassen sie mit einem entsprechenden Zeugnis.
Auch in Lettland verlassen 58 Prozent der Studenten die Uni mit einem abgeschlossenen Studium.
In den USA schließen 54 Prozent der Studenten ihr Studium auch ab.
53 Prozent derer, die ein Studium begonnen haben, ziehen es auch bis zum Ende durch.
Hier gehen 52 Prozent mit einem Bachelor oder Master von der Uni ab.
In Chile beginnen 89 Prozent der jungen Leute ein Hochschulstudium oder eine Meisterausbildung, 52 Prozent schaffen es letztlich auch.
Nur 55 Prozent der jungen Finnen studieren. Von ihnen beenden 49 Prozent das Studium auch.
76 Prozent der jungen Schweizer gehen an eine Uni, nur 48 Prozent davon schließen das Studium auch ab.
In Großbritannien zieht es 58 Prozent eines Jahrgangs an die Unis und Fachhochschulen, 47 Prozent machen einen entsprechenden Abschluss.
Auch in der Türkei schließen 47 Prozent der jungen MEnschen das Studium ab.
In Tschechien beenden 46 Prozent ihre Unilaufbahn mit einem Zeugnis.
60 Prozent der jungen Slowaken studieren. Den Abschluss machen jedoch nur 45 Prozent der Studenten.
Die Abschlussquote in den Niederlanden und in Norwegen beträgt ebenfalls je 45 Prozent. In beiden Ländern verlassen also 55 Prozent der Studenten die Uni ohne einen Abschluss.
In Portugal gehen zwar 63 Prozent eines Jahrgangs auf eine Universität, dohc nur 43 Prozent der Studenten schließen ihr Studium auch ab.
In Schweden verlassen sogar nur 41 Prozent der Studenten die Uni oder FH mit einem entsprechenden Zeugnis.
Zählt man die jungen Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft mit, beginnen in Deutschland 59 Prozent eines Jahrgangs ein Studium oder gehen auf eine Meisterschule. Doch nur 36 Prozent machen auch einen Abschluss.
In Italien schaffen nur 34 Prozent der Studenten auch einen Abschluss.
Luxemburg ist sowohl bei der Anzahl der Studenten als auch bei den Absolventen Schlusslicht: Nur 19 Prozent eines Jahrgangs beginnen dort ein Hochschulstudium oder vergleichbares. Und nur 16 Prozent schließen das Studium auch ab.
Das heißt: Mindestens die Hälfte der jungen Deutschen macht – wenn auch über Umwege – eine Berufsausbildung. Nur bereiten die offenbar nicht so gut auf die digitalisierte Zukunft vor, wie es sich die Betriebe wünschen. Laut einer noch unveröffentlichten Studie von TNS Infratest im Auftrag von Samsung Electronics sind 69 Prozent der Entscheider in kleinen und mittelständischen Betrieben der Meinung, dass das Ausbildungssystem nicht mehr zeitgemäß ist und sich stärker der Digitalisierung anpassen muss.
Ausbildungsinhalte verändern sich
Wenn der Bäcker die Zutaten für sein Brot nicht mehr selber mischen und abwiegen muss, sondern ein Backprogramm mit den Befehlen für Schokocroissant und Roggenmischbrot schreibt, muss das in der Ausbildung vermittelt werden. Das bedeutet nicht, dass er nicht mehr lernen muss, was in beide Produkte hineingehört und wie viel Mehl es wofür braucht. Das Problem ist, dass viele Lehrlinge aus der Schule kommen und dafür nicht fit sind.
Sicher, es wird auch beklagt, dass es an Höflichkeit mangelt und allgemein mit der Bildung bergab geht. Aber dass die Jugend verwöhnt, dumm und faul ist, ist schon seit Sokrates‘ Zeiten eine gängige Beschwerde. Neu hinzugekommen ist das fehlende technische Verständnis: Nachdem die Kinder zu Hause lernen, wenigstens beim Essen das Smartphone wegzulegen, gibt es in vielen Schulen überhaupt keine Erziehung in Sachen Gadgets.
Entsprechend können die angehenden Fachkräfte zwar super mit Facebook und Youtube umgehen, aber bei Excel und anderer Arbeitssoftware hört es auf. 18 Jahre lang war das Tablet schlicht ein Spaßgerät und dann soll man auf einmal damit arbeiten? Das kann nicht gut gehen.
Betriebe sehen Schulen in der Pflicht
Das merken auch die Betriebe. Eines der Ergebnisse der Samsung-Umfrage: 90 Prozent der Unternehmen sehen die Schulen in der Pflicht, Grundlagen für die digitale Kompetenz zu schaffen. Zwar ist sich mehr als die Hälfte aller Befragten darin einig, dass die Stärkung digitaler Kompetenzen auch ihr eigener Job ist. Doch der Grundstein müsse in der Schule gelegt werden.
Die sind davon noch ziemlich weit entfernt – an sehr vielen Schulen sind Smartphones und Tablets sogar verboten. Dabei könnte man die durchaus sinnvoll einsetzen. „Die Kinder haben Übersetzungs-Apps und Google Earth auf dem Handy und schleppen dann Atlas und Wörterbuch im Ranzen zur Schule, der deshalb 18 Kilogramm wiegt“, bemängelt FDP-Fraktionschef Christian Lindner bei seinem Besuch auf der didacta. Das habe doch nichts mehr mit Inhalten zu tun. Um nicht zu sagen: Schön, dass Schüler lernen, Straßenkarten zu lesen, die es im Alltag nicht mehr gibt, man sich aber weigert, ihnen den Umgang mit Navigationssoftware beizubringen.
"Ausprobieren und Erfahrungen sammeln"
Dass und wie es anders gehen kann, zeigt etwa Benjamin Seelisch auf der didacta. Er ist Englisch- und Biologielehrer am Neuen Gymnasium Rüsselsheim. Die Schule wird seit 2013 über die Initiative „Digitale Bildung neu denken“ von Samsung unterstützt und gilt bundesweit als Vorreiterschule für den digitalen Unterricht. Besagte Initiative fördert seit 2013 die Digitalisierung des Unterrichts auf spielerische Weise: Schulen können sich mit digitalen Projekten bei dem Wettbewerb "Ideen Bewegen" bewerben. Ausgewählte Projekte bekommen für sechs Wochen ein komplett ausgestattetes digitales Klassenzimmer von Samsung, konkret Samsung School Solution, zur Verfügung gestellt und können damit „einfach mal ausprobieren und Erfahrungen sammeln“, wie Steffen Ganders, Head of Corporate Affairs bei Samsung, erklärt.
So wächst das Geschäft mit dem E-Learning
Umsatz der E-Learning-Unternehmen in Deutschland: 346,1 Millionen Euro
Quelle: Statista
Umsatz: 417,2 Millionen Euro
Quelle: Statista
Umsatz: 456,4 Millionen Euro
Quelle: Statista
Umsatz: 512,9 Millionen Euro
Quelle: Statista
Umsatz: 582,1 Millionen Euro
Quelle: Statista
Man wolle junge Menschen fit machen für den sinnvollen Umgang mit Technologie und technischen Geräten und fördere deshalb sowohl Schulen und Hochschulen als auch Projekte der beruflichen Bildung und im außerschulischen Bereich. Und das ist nötig, wie Lehrer Seelisch sagt. Er verweist auf die ICILS-Studie aus dem Jahr 2014, wonach Achtklässler in Deutschland in punkto kompetente Internetnutzung nur im Mittelfeld liegen. Zumindest ein Drittel hat nur rudimentäre Kenntnisse im Umgang mit neuen Technologien. Eine vernünftige E-Mail schreiben, etwas suchen? Fehlanzeige.
Beispielaufgabe Kompetenzstufe III im ICILS-Test
Die Aufgabenstellung lautete: "Gehe zur WebDocs Internetseite". Diesen Text lasen die Schüler in einer E-Mail, in der die URL als Klartext angegeben war. Das bedeutet, dass kein direkter Link zum Anklicken hinterlegt war.
Die Schüler mussten also die Adresse in den Webbrowser eingeben - entweden durch Kopieren und Einfügen, oder indem sie den Text abtippten. Danach mussten sie die Navigation aktivieren - durch Drücken der Enter-Taste oder durch das Anklicken des grünen Pfeils neben der Adressleiste im Browser.
Mit der Aufgabe sollten die Kinder ihr Wissen zur Nutzung von Computern unter Beweis stellen. Die Aufgabe erfordert sowohl Wissen über den Umgang mit URL-Adressen als auch Anwendungskompetenzen: Eine gewünschte Seite aufrufen, indem die Adresse an der richtigen Stelle im Browser platziert wird.
Die Hälfte der Schüler (50 Prozent) war in der Lage, diese Aufgabe zu lösen. International waren es 49 Prozent.
An seiner Schule werden deshalb klassische Inhalte mit modernen Geräten gelehrt. Selbst die Tafeln sind digital – Kreide und Schwamm gibt es nicht. „Unsere Schulleiterin sagt immer ‚Pech gehabt, die Tafel war zuerst da‘, wenn sich jemand beschwert." Auch Ganders ist überzeugt, dass sich digitale Technik und klassische Lehrinhalte vereinbaren lassen. Ob das zu analysierende Gedicht oder Goethes Meisterwerk Faust nun in einem Reclam-Heftchen stehen oder auf einem Display, das auch im Mathe- oder Sportunterricht verwendet werden kann, mache für den Lernerfolg keinen Unterschied. Lesen und verstehen passiere schließlich im Kopf, ist sich Ganders sicher.
Selbst die Gefahr, dass die Jugendlichen statt zu lernen mit ihrem Tablet Quatsch machen, besteht laut Seelisch nicht. Die Geräte sind vernetzt und der Lehrer sieht, wenn einer seiner Schützlinge statt bei Wikipedia bei Facebook surft. Davon abgesehen lernen junge Menschen das Autofahren ja auch im modernen Golf und nicht in einem Ford Modell A, damit der Fahrschüler nicht vom Radio abgelenkt wird.
800 Millionen Euro Anschaffungskosten
Selbst Eltern fordern mittlerweile, dass Schulen in Deutschland die digitale Bildung vorantreiben. Bleibt nur ein Problem: Die Digitalisierung der Bildung kostet Geld. Zwar sind Tablets wesentlich billiger als Laptops, sodass heute schon die flächendeckende Versorgung aller Schulen mit entsprechenden Geräten nur noch halb so teuer wäre, wie noch vor zehn Jahren. Aber nach Igels Erfahrung ist trotz ausgeglichenem Haushalt auch die geringste Summe noch zu hoch. „Mit Bildung lassen sich keine Wahlen gewinnen“, sagt er. Und erzählt, wie binnen drei Jahren aus einem Landesprojekt, dem er beratend zur Seite stand, aus „flächendeckender Versorgung aller Schulklassen mit Tablets“ die „Pilotierung in ausgewählten Schulen“ wurde.
Der Verband BITKOM geht im Übrigen davon aus, dass es 600 bis 800 Millionen Euro kostet, alle acht Millionen Schüler in ganz Deutschland mit Tablet-Computern auszustatten. Zum Vergleich: Bundespräsident Joachim Gauck ist im aktuellen Bundeshaushalt mit 0,03 Milliarden Euro eingeplant – würde Herr Gauck also drei Jahre ehrenamtlich arbeiten, wären die Anschaffungskosten locker drin. Da vermutlich weder er noch seine Amtsnachfolger zugunsten von digitalen Geräten auf ihre Bezüge verzichten werden, bleibt es also wie gehabt: Politik, Lehrer und Ministerien sind bei digitalem Unterricht so lange mit Verve dabei, wie die Fördertöpfe voll sind.
Danach geht das Tablet zurück an den Förderer und die Schüler schreiben wieder von der Kreidetafel ab.