Berufseinstieg in der Krise Absolventen brauchen langen Atem

Während die Hörsäle leer bleiben, absolvieren Studierende derzeit Vorlesungen, Seminare und sogar Prüfungen ausschließlich digital. Dabei sorgen sich viele über ganz reale Probleme: Zum Beispiel, ob sie in der aktuellen Krise in den Arbeitsmarkt einsteigen sollten.  Quelle: dpa

Für viele Studierende sollte dieses Sommersemester das letzte werden. Doch das Coronavirus stellt sie vor eine schwierige Wahl: Schließen sie ihr Studium ab - und starten mitten in einer Rezession in den Arbeitsmarkt? Oder sitzen sie die Krise an der Uni aus?

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Normalerweise ist der Start in ein neues Semester für Studierende eine aufregende Zeit. Wer gerade erst anfängt, lernt die Hochschule kennen und sich in einer neuen Stadt zurechtzufinden. Wer schon länger studiert, freut sich, nach den Ferien die Kommilitonen wiederzusehen oder auf die hoffentlich guten Klausurergebnisse.

Normal ist derzeit allerdings wenig an deutschen Universitäten und Fachhochschulen. Die Kontaktbeschränkungen, um die Coronapandemie einzudämmen, treffen auch die akademischen Institutionen hart. Darunter leiden besonders die Studierenden, die sich gerade auf ihre berufliche Laufbahn vorbereiten, wie eine aktuelle Umfrage des Personaldienstleisters Studitemps und der Universität Maastricht unter 15.500 Studierenden zeigt. 

Mehr als die Hälfte der Befragten erwartet, dass Prüfungen nicht stattfinden können, mehr als 70 Prozent rechnen mit Vorlesungsausfällen. Ebenfalls die Mehrzahl glaubt, dass die Beschränkungen die Prüfungsvorbereitungen erschweren werden - und dass sie durch all diese Probleme insgesamt länger studieren werden. Gerade für diejenigen, die in diesem Semester ihren Abschied von der Hochschule geplant haben, stellt sich nun die Frage: Sollten sie in Krisenzeiten auch unter erschwerten Bedingungen den Abschluss erzwingen und auf den Arbeitsmarkt starten? Oder lohnt es sich, die Zeit an der Uni noch etwas länger zu strecken?

Jetzt doch den Master machen?

Eckhard Köhn sieht im zweiten Weg die bessere Strategie. Der Geschäftsführer von Studitemps glaubt, dass die Studierenden nicht nur wegen ausgefallener Prüfungen und Vorlesungen ein verlängertes Studium erwarten. Einige Studierende, die eventuell nur einen Bachelor machen wollten, würden sich das angesichts der wirtschaftlichen Situation nochmal überlegen, schätzt Köhn. „Der Jobeinstieg wird vermutlich schwieriger werden. Da hängen viele wohl lieber noch zwei Semester mehr im Bachelor oder gleich einen Master dran, statt zwei Jahre auf Jobsuche zu gehen." 

Insgesamt glaubt Köhn, werde sich der Einstieg in den Arbeitsmarkt für Absolventen in den nächsten Jahren anders gestalten. Dabei wittert er eine Chance für sein Unternehmen. Studitemps vermittelt Studierende und Absolventen entweder direkt an Auftraggeber oder stellt sie an und überlässt sie für einzelne Projekte an Kunden. Gerade für die Krise sei das ein gutes Konzept.

Dass das Coronasemester eine Herausforderung wird, da ist sich Ruth Stock-Homburg sicher. Studierende sollten dennoch versuchen, das Beste aus der Situation zu machen. „Den Kopf in den Sand stecken hilft hier wenig“, sagt die Professorin für Marketing und Personalmanagement an der TU Darmstadt, die auch in der Jury des diesjährigen Supermaster-Wettbewerbs der WirtschaftsWoche sitzt. Über eine möglicherweise längere Studiendauer sollten sich die Absolventen aber nicht sorgen. Vielmehr zählten Dinge wie das Studienprofil, Engagement neben dem Studium und natürlich die Persönlichkeit. Erzwingen sollte man deshalb nichts in diesem Semester. „Gerade wenn man aufgrund von Vorerkrankungen zur Risikogruppe gehört, sollte man Gesundheit voranstellen“, sagt die Professorin.

Unabhängig davon ist der Arbeitsmarkt, auf den die Absolventen bald kommen, kein einfacher. „Wir bewegen uns gerade in eine globale Wirtschaftskrise hinein“, sagt Stock-Homburg. Unternehmen müssten vor allem kämpfen, um den existierenden Mitarbeiterstamm zu halten. Mehr als 700.000 Betriebe hätten Kurzarbeit angemeldet, in der Finanzkrise seien es nur rund 20.000 gewesen. „Es ist zu vermuten, dass die Zurückhaltung von Unternehmen, neue Mitarbeiter einzustellen, noch bis mindestens Ende 2020 anhalten wird, eher länger.“

Dennoch sieht sie in dieser Krise auch ein paar Unternehmen, die von der aktuellen Lage profitieren könnten und dementsprechend neues Personal bräuchten. Bei digitalen Unternehmen, wie Hardwareherstellern, Unternehmen für IT-Infrastruktur oder Kommunikation, aber auch bei manchen Pharmaunternehmen könnten Absolventen Chancen finden, sagt Ruth Stock-Homburg. Ansonsten könnten die Berufseinsteiger für den Anfang auch überlegen, auf digitalen Plattformen wie Upwork oder Twago ihre Arbeitskraft anzubieten, dort würden viele Dienstleistungen nachgefragt, etwa professionelle Übersetzungen, Programmierungen, Web-Designs bis hin zu Konstruktionen. „Ein guter und lukrativer Weg um erste Berufserfahrung zu sammeln und vielleicht sogar ein Einstieg in die Selbständigkeit“, sagt Stock-Homburg.

Einen optimistischen Blick auf die Lage der angehenden Berufseinsteiger hat Hannes Schwandt. Der Ökonom, der an der Northwestern University in Chicago forscht und lehrt, sieht zwar auch, dass durch das Coronavirus eine schwere Krise auf den Arbeitsmarkt zukommt. Aber: „Das ist für uns alle Neuland. Umso wichtiger sind Flexibilität, Offenheit und Mut zu langem Atem“, so Schwandt.

Er muss es wissen, denn er erforscht seit langem ein Phänomen, das Ökonomen „recession graduates“ nennen, also Krisenabsolventen. Dazu vergleichen Wissenschaftler verschiedene Absolventenjahrgänge miteinander und untersuchen Einkommen und Karrierepfade über zehn bis fünfzehn Jahre hinweg. Ein Ergebnis: Die durchschnittlichen ersten Gehälter von Einsteigern in der Krise sind geringer als üblich. „Aber selbst wenn die Rezession schon lange wieder vorbei ist, sieht man diese Einkommensverluste bis zu fünfzehn Jahre später noch in den Daten“, sagt Hannes Schwandt. 

Krisenabsolventen brauchen Offenheit

Das klingt zunächst ernüchternd, doch Hannes Schwandt will diese Ergebnisse nicht als Todesurteil für Karriereambitionen verstanden wissen. Die Gehaltseinbußen seien ein Durchschnittseffekt, keine genaue Vorhersage für jeden einzelnen. „Man ist dem nicht ausgeliefert, sondern kann aktiv bleiben und die möglichen Effekte als besondere Motivation betrachten." Klar sei jedenfalls: Wenn man nicht den optimalen Start hat, dann liegt das nicht an einem selbst, sondern an den schwierigen Umständen. Und wenn sich diese Umstände bessern würden, könnte man die Verluste wieder wettmachen.

von Jan Guldner, Lena Bujak, Mareike Müller

Um daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen, muss man zunächst verstehen, warum Krisenabsolventen überhaupt weniger verdienen. Für den Ökonom Schwandt liegt es daran, dass Unternehmen, für die man normalerweise bestens geeignet wäre, nicht einstellen. Stattdessen fängt man in einer Firma an, zu der die eigenen Fähigkeiten weniger gut passen. Gerade bei besonders guten Absolventen beobachtet er danach viel häufigere Jobwechsel. „Die hangeln sich die Kette wieder hoch, bis sie am Ende da sind, wo sie unter den richtigen Bedingungen schon am Anfang gelandet wären“, so Schwandt.

Diese Erkenntnis kann auch bei der Frage helfen, ob man überhaupt in den Arbeitsmarkt starten will oder die Krise an der Uni aussitzt. Denn wenn ein längerer Verbleib an der Uni bedeutet, dass man als eigentlich fertige Elektroingenieurin noch ein Semester Kulturgeschichte hört oder als Betriebswirt als Gasthörer in Soziologieseminaren sitzt, kann das vielleicht persönlich interessant sein - für die beruflichen Aussichten ist solch ein Extrasemester aber zumindest fraglich. „Ich würde nicht ohne weiteres meinen geplanten Bildungspfad verändern“, so Schwandt. Klar, wenn sich eine zum eigenen Profil passende Weiterbildung ergebe, sei das jetzt eine gute Gelegenheit. Aber grundsätzlich müsse man keine Angst vor dem Weg in den Arbeitsmarkt haben, solange man die Augen offen und nach besser passenden Angeboten Ausschau halte. „Wenn man jetzt nicht im perfekten Job landet“, so Schwandt, „muss es das ja nicht gewesen sein." 

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