WirtschaftsWoche: Gibt es Menschen, denen Sie von einer Berufsunfähigkeitsversicherung abraten würden?
Gerd Kemnitz: Eigentlich nur Personen, die auch im Falle einer Berufsunfähigkeit von ihren vorhandenen Vermögenswerten leben könnten und zur Erhaltung ihres Lebensstandards nicht auf ihr Arbeitseinkommen angewiesen wären.
Ab wann sollten sich Arbeitnehmer mit dem Thema befassen?
Die Wahrscheinlichkeit, dass ein heute 18-jähriger Bürokaufmann-Azubi innerhalb der nächsten fünf Jahre berufsunfähig wird, liegt statistisch gesehen bei nur etwa 0,4 Prozent. Aber das Risiko, dass er bis zur Vollendung seines 67. Lebensjahres irgendwann berufsunfähig wird, liegt schon bei 34,4 Prozent. Ein BU-Schutz ist für ihn also wichtig.
Sollte dieser Azubi die Police noch während der Lehre abschließen, oder kann er sich damit Zeit lassen?
Abwarten hilft nichts. Schließt der 18-jährige Azubi eine Versicherung mit 1.000 Euro monatlicher Rente mit einer Laufzeit bis zum 67. Lebensjahr ab, bezahlt er bei einem bekannten BU-Anbieter 49 Jahre lang monatlich 33,95 Euro. Wartet er mit dem Vertragsabschluss noch fünf Jahre, würde sich beim selben Tarif der monatliche Beitrag auf 39,15 Euro erhöhen. Dies gilt aber nur, wenn er nicht in der Zwischenzeit irgendwelche Erkrankungen hatte, die den Schutz verteuern würden. Anderenfalls können Risikozuschläge oder Leistungsausschlüsse den Versicherungsschutz deutlich teurer machen.
Kann man später ohne eine neue Gesundheitsprüfung eine höhere BU-Rente vereinbaren?
Bei den meisten aktuellen Tarifen ist dies zu bestimmten Anlässen wie Heirat, Geburt eines Kindes möglich – bei einigen Tarifen innerhalb bestimmter Fristen sogar ohne Anlass. Aber auch wenn der Versicherer auf die Gesundheitsprüfung verzichtet, kann er die Erhöhung der Beiträge trotzdem noch von einer Prüfung des inzwischen ausgeübten Berufs oder Hobbys abhängig machen. Deswegen ist es für junge Menschen günstiger, wenn der Versicherer hier nicht nur auf die Gesundheitsprüfung – sondern generell auf eine Risikoprüfung verzichtet.
Gibt es spezielle Vertragsdetails, auf die Studenten und Azubis besonders achten sollten?
Ein Student bleibt dies ja nicht ewig. Deswegen muss er auf die Kriterien achten, die für ihn auch als Arbeitnehmer, Selbstständiger oder Beamter wichtig wären. Hinzu kommt allerdings, dass die BU-Versicherer bei Eintritt einer Berufsunfähigkeit während des Studiums sehr unterschiedliche Regelungen haben.
Die wichtigsten Fragen zur Berufsunfähigkeitsversicherung
So früh wie möglich und bei guter Gesundheit. Der Abschluss ist bereits für Schüler in Bezug auf ihren späteren Beruf möglich. Die meisten schließen eine Berufsunfähigkeitsversicherung nicht vor Beginn der Lehre oder eines Studiums ab. Je später der Einstieg, desto größer das Risiko, dass bisherige Krankheiten die Prämie verteuern.
Je höher das Risiko einer Berufsgruppe, desto teurer die BU-Prämie bei ansonsten gleichen Konditionen. Die Stufen der Versicherer:
Geringes Risiko: Ärzte, Architekten, Apotheker, Psychologen, Diplomkaufleute.
Normales Risiko: Reise- und Bürokaufleute, Sekretärinnen, Techniker, Verkäufer.
Erhöhtes Risiko: Arzthelferin, Industriemechaniker, Gastwirte, Kfz-Mechaniker.
Hohes Risiko: Betonbauer, Künstler, Krankengymnasten, Maurer, Schornsteinfeger.
Beamte können bei manchen Versicherern eine Dienstunfähigkeitsversicherung abschließen. Sie schützt umfangreicher als die Berufsunfähigkeitsversicherung.
Ja, wenn der Vertrag eine entsprechende Klausel enthält. Wer später etwa einen höher bezahlten Job hat, eine Familie versorgen muss oder als Selbständiger im Ernstfall mehr Geld braucht, kann dann ohne erneute Gesundheitsprüfung seine Prämie erhöhen und so das gewachsene Risiko abdecken.
Versicherte können die Prämien für eine private Berufsunfähigkeitsversicherung in der Einkommensteuererklärung bei den Vorsorgeaufwendungen geltend machen. Bei Bezug einer BU-Rente ist je nach Laufzeit dieser Anteil steuerpflichtig:
1 Jahr - 0 Prozent
2 Jahre - 5 Prozent
5 Jahre - 5 Prozent
10 Jahre - 12 Prozent
15 Jahre - 16 Prozent
20 Jahre - 21 Prozent
25 Jahre - 26 Prozent
Ist für den Versicherer der Studiengang oder der tatsächliche spätere Beruf entscheidend?
Bei einigen Tarifen gilt das Mindestanforderungsprofil eines hypothetischen Zielberufs als versichert, der mit dem Studienabschluss ausgeübt werden könnte. Das kann bei vielen Studiengängen zu unterschiedliche Auffassungen und Streitigkeiten führen.
Meist ist es vorteilhafter, wenn die Berufsunfähigkeit anhand des vor Eintritt des Versicherungsfalls absolvierten Studiums geprüft wird. Und wichtig ist natürlich auch, dass selbst nach einem Abbruch des Studiums der BU-Schutz und die bisherige Prämienhöhe erhalten bleiben.