Bildung „Deutschland ist auf dem Weg in die Inkompetenz“

„Man muss nur wissen, wo es steht“: Bildungsexperte Hans-Peter Klein kritisiert die Kompetenzorientierung der Bildungspolitik. Das Ziel sei die Hochschulreife für jeden, der einen Text lesen und verstehen kann.

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Bildung: Sinkender Anspruch in Schulen und Hochschulen. Quelle: imago, Montage

WirtschaftsWoche: In Baden-Württemberg, wo die grün-rote Regierung sich im März der Landtagswahl stellen muss, herrscht ein eher „progressives“ Bildungskonzept. Sie halten davon wenig...

Hans Peter Klein: Schaut man in den gerade vorgestellten Bildungsplan 2016 von Baden-Württemberg, liest sich dieser an mehreren Stellen wie eine Glosse oder ein Karnevalsscherz. Hier scheinen selbst in den Ministerien und deren zuarbeitenden Instituten für Qualitätssicherung grundlegende Begrifflichkeiten der Bildungsstandards oder der zugrunde liegenden Legitimationsschrift nicht bekannt zu sein.

Zur Person

Warum?

Für die Naturwissenschaften wurden dort vier Kompetenzbereiche vorgegeben: Fachwissen, Erkenntnisgewinnung, Kommunikation und Bewertung. Auf Seite fünf des Bildungsplans heißt es: „In den Kompetenzbereichen Wirbeltiere, Wirbellose, Pflanzen, Ökologie und Entwicklung des Menschen lernen die Schülerinnen und Schüler Betrachtungsweisen und Konzepte der erklärenden Wissenschaft Biologie kennen“. Einen solchen groben Unfug kann nur jemand schreiben, der sowohl des Faches als auch der Vorgaben in den Bildungsstandards völlig unkundig ist.

Was ist so schlimm an der Vermittlung von Kompetenzen?

Der mit den Bildungsstandards von 2004 eingeführte Begriff der Kompetenz als das Mantra der neuen neoliberalen Bildungsoffensive hat rein bildungsökonomischen Charakter. Kompetenzen sind definiert als Fähigkeiten, mit denen sich in der Schule, im Beruf oder im Leben Probleme lösen lassen.

Das klingt doch zunächst einmal gut...

Es geht in Schulen und Hochschulen nicht mehr darum, etwas zu lernen, was an sich interessant ist oder einen Wert in sich selbst trägt, es geht nicht mehr um die Sachen oder Inhalte selbst, sondern nur noch darum, inwiefern die uns nützen können.

Diese Form eines utilitaristischen Kompetenzbegriffs steht einem wie auch immer gearteten Bildungsverständnis diametral gegenüber, für dessen Voraussetzung das gemeinsame Lernen am gemeinsamen Unterrichtsgegenstand, das tiefgründige Durchdringen des jeweiligen Inhalts und das Auseinandersetzen mit der Sache selbst genuine Bestandteile einer nachhaltigen Vermittlung von Bildung und Wissen sind.

Brauchen wir heute denn heute überhaupt noch eine klassische Bildung mit lehrerzentriertem Unterricht und Fokussierung auf Vermittlung von Bildung und Wissen? Könnte die Kompetenzorientierung nicht doch die richtige Antwort auf die neuen, sich stetig wandelnden  Anforderungen in der Gesellschaft sein?

Nein, das denke ich nicht. Wer nichts mehr weiß, der kann auch nichts und ist zudem darauf angewiesen, dass andere ihm sagen, was richtig ist. Das ist der vorgezeichnete Weg in die Unmündigkeit, den wir eigentlich spätestens seit Immanuel Kant längst hätten verlassen sollen.

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