Bildung US-Autor will Mathe vom Lehrplan streichen

Viele US-Schüler fallen durch ihre Matheprüfungen. Nun erklärt ein Professor im Ruhestand, Algebra sei eigentlich völlig überflüssig für die Zukunft der Jugendlichen - und plädiert für die Streichung vom Lehrplan.

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Anfang 2016 testete die Düsseldorfer Landesregierung den Lernstand von Achtklässlern. Die Aufgaben waren zum großen Teil geradezu lächerlich einfach. Die Bildungspolitik betrügt sich selbst.
von Ferdinand Knauß

Wozu braucht man eigentlich Algebra? Diese Frage stellen sich in den USA zurzeit nicht nur viele frustrierte bis verzweifelte Schüler, sondern auch Lehrer und Professoren. Auslöser der Debatte ist das Buch eines Politikwissenschaftlers. Er bezeichnet Algebra als unnötiges Hindernis, an dem jedes Jahr Millionen Schüler scheiterten. Sie verließen dann ohne Abschluss die Schule oder das College.

„Einer von fünf jungen Amerikanern schließt die High-School nicht ab“, erklärt Andrew Hacker, Autor des Buchs „The Math Myth and Other STEM Delusions“ („Der Mathemythos und andere Täuschungen“). „Das ist eine der schlechtesten Quoten in der entwickelten Welt. Warum? Hauptsächlich, weil sie Algebra in der neunten Klasse nicht schaffen.“ Nur in fünf Prozent aller Berufe würden Algebra oder andere fortgeschrittene Mathematik benötigt. Der emeritierte Professor am Queens College fordert daher Lehrpläne, die sich stärker auf Statistik und ein grundlegendes Zahlenverständnis konzentrieren. Und weniger auf (y-3)2 = 4y-12. „Hilft Algebra dabei, den Haushalt der Bundesregierung zu verstehen?“, fragt er.

Mit diesen Aussagen fordert er natürlich den Widerspruch vieler Lehrer und Professoren heraus. Mathe müsse einfach besser unterrichtet werden, fordern sie. „Jede Studie, die ich bisher zu Arbeitnehmern in vielen Bereichen gesehen habe, zeigt, dass man Formeln verstehen muss, dass man Beziehungen verstehen muss“, sagt Philip Treisman, Professor für Mathematik an der Universität von Texas. „Algebra ist ein Werkzeug, um sein Wissen über Arithmetik zu festigen.“

Striche zählen und Werte ablesen

Bill McCallum ist Professor an der Universität von Arizona und war entscheidend an der Entwicklung einer Didaktikreform beteiligt, den sogenannten Common Core State Standards. Er lehnt eine mögliche Einteilung der Schüler in einen Algebra-Zweig und einen Nicht-Algebra-Zweig strikt ab. Seine Begründung: „Man kann sagen, dass nur ein gewisser Prozentsatz der Kinder Algebra auch anwenden wird, aber wir wissen nicht, welche Kinder das sein werden.“

In New York City, dem größten Schulbezirk der USA mit 1,1 Millionen Schülern, bestanden im vergangenen Jahr nur 52 Prozent der Schüler die Tests in Algebra I. Sie schnitten damit ähnlich ab wie Gleichaltrige im ganzen Land. Die Schulbehörden in New York wollen jedoch von einem Verzicht auf Algebra nichts wissen. Sie haben stattdessen die Initiative „Algebra für alle“ ins Leben gerufen und wollen nun schon in der fünften Klasse, also vor der Einführung von Algebra, in Mathe besser auf die Schüler eingehen.

„Wir glauben an hohe Standards“, erklärt Carol Mosesson-Teig, Direktorin für Mathematik in der Schulbehörde. „Und wir glauben, der beste Weg, den Schülern zu dienen, besteht darin, die Lehre zu verbessern.“

Für den 18-jährigen Isaiah Aristy kommt diese Hilfe zu spät. Er hat zwei Mal den Test in Algebra I gemacht und ist beide Male durchgefallen. Aristy geht ins Community College in Manhattan und wünscht sich eine Karriere bei der Polizei. In Mathe war er immer gut - bis Algebra kam. „Als es mit X und Y und den grafischen Darstellung losging, wurde ich immer schlechter“, erzählt er. „Aber wir müssen doch gar nicht lernen, was X und Y ist. Wann im Leben schreiben wir auf ein Stück Papier „X und Y muss so sein“?“

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Aber Aristry muss nicht einfach Algebra I wiederholen. An seinem Community College wie an etwa 50 anderen wird eine Alternative angeboten: Quantway, entwickelt von der Carnegie-Stiftung zur Forderung der Lehre. „Darin sind grundlegende Algebra-Konzepte enthalten, aber man lernt nicht, wie man Polynome faktorisiert oder komplizierte Gleichungen löst“, erklärt Fred Peskoff, Vorsitzender des Fachbereichs Mathematik.

Projektleiterin Karon Klipple sagt, die Stiftung habe Quantway 2011 entwickelt, weil so viele Studenten das Community College wegen Algebra abgebrochen hätten. 60 bis 80 Prozent der Studenten benötigten vertiefenden Mathe-Unterricht und die meisten fielen bei den Tests durch. „Dort sterben dann ihre Hoffnung und ihre Ambitionen“, erklärt Klipple. „Sie gehen zum College, um sich ein besseres Leben aufzubauen und sie werden gestoppt von der Mathematik.“

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