Bildungsaufsteiger "Wer aufsteigen will, muss sich von seiner Herkunft trennen"

"Du bleibst, was du bist" - noch immer entscheidet die soziale Herkunft über unsere Aufstiegsmöglichkeiten. Die Diskriminierung trifft vor allem jene, die sich trotz aller Widerstände nach oben kämpfen wollen.

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Quelle: dpa Picture-Alliance

Seine ganz persönliche Abrechnung mit der Gesellschaft hat Marco Maurer mit „Du bleibst, was du bist“ überschrieben. In seinem Buch versucht der Journalist Antworten zu finden, warum in Deutschland die soziale Herkunft noch immer über den gesellschaftlichen Aufstieg entscheidet.

Obwohl die Problematik seit Langem bekannt ist, ändert sich nichts: Von 100 Kindern aus Akademikerfamilien gehen 77 an die Hochschulen, während es von 100 Arbeiterkindern nur 23 schaffen. Marco Maurer ist eine dieser Ausnahmen: Das Abitur machte der Sohn einer Frisörin und eines Kaminkehrers auf dem zweiten Bildungsweg, nachdem ihm seine Grundschullehrer nur eine Empfehlung für die Hauptschule ausgesprochen hatten. Anschließend studierte er und besuchte die Deutsche Journalistenschule.

Die beliebtesten Abschlüsse

In seinem Buch kommt er nun zu dem Ergebnis, dass die Chancen im deutschen Bildungssystem ungleich verteilt sind – und kritisiert vor allem die Trennung der Schüler bereits nach der vierten Klasse in leistungsstarke und eher leistungsschwächere Schüler, die oft auch eine Trennung entlang der sozialen Klassen bedeutet. Denn Kinder aus sozial bessergestellten Familien landen überproportional häufig auf Gymnasien, während Kinder aus eher bildungsfernen Familien oder sozialschwachem Umfeld deutlich seltener eine Gymnasialempfehlung erhalten. Nur die wenigsten Eltern aus bildungsfernerem Milieu stellen Nachfragen, weil die Schule für sie keine Einrichtung ist, die Bildung vermittelt, sondern nicht selten ein notwendiges Übel darstellt. Für Kinder bedeutet das vor allem mangelnde Unterstützung – oftmals verbunden mit einem fehlenden emotionalem Halt und finanziellen Engpässen.

Die Länder mit der höchsten Akademikerquote
Platz 10: IrlandBevölkerungsanteil mit Hochschulabschluss: 39,7 ProzentIm Jahr 2012 haben knapp 40 Prozent der Iren zwischen 25 und 64 Jahren eine universitäre Ausbildung. Das resümiert die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (kurz: OECD) in ihrem Bildungsbericht 2014. Deutschland hingegen schafft es nicht unter die Top Ten: Nur 28 Prozent haben einen Tertiärabschluss – also ein abgeschlossenes Studium oder einen Meister. Der OECD-Durchschnitt liegt dagegen bei knapp 33 Prozent. Quelle: AP
Platz 9: NeuseelandBevölkerungsanteil mit Hochschulabschluss: 40,6 ProzentDie weltweite Finanzkrise hat sich in Neuseeland nicht wirklich bemerkbar gemacht: Während die Zahl der Studenten in vielen Industriestaaten zwischen 2008 und 2011 zurückgegangen ist, steigt sie in Neuseeland weiter an und liegt bei knapp 41 Prozent. Im Jahr 2011 investieren neuseeländische Studenten im Durchschnitt knapp 11.000 US-Dollar in ihre Hochschulausbildung. Quelle: dpa
Platz 8: GroßbritannienBevölkerungsanteil mit Hochschulabschluss: 41,0 ProzentA-Level-Studentin Tabitha Jackson (r.) freut sich mit ihren Kommilitoninnen über ihren Abschluss am Brighton College. 41 Prozent der britischen Bevölkerung hat einen Hochschulabschluss. Ein Studienjahr in Großbritannien kostet rund 16.000 US-Dollar. Quelle: REUTERS
Platz 7: AustralienBevölkerungsanteil mit Hochschulabschluss: 41,3 ProzentEin Surfer springt mit seinem Brett in die Wellen vor Sydney. Auch „Down Under“ hat eine gut qualifizierte Bevölkerung, die deutlich über dem OECD-Durchschnitt liegt: 41,3 Prozent der Erwachsenen haben einen Universitätsabschluss. Pro Jahr muss ein australischer Student etwa 16.000 US-Dollar für seine Ausbildung zahlen. Quelle: AP
Platz 6: KoreaBevölkerungsanteil mit Hochschulabschluss: 41,7 ProzentJunge koreanische Studentinnen feiern ihren Abschluss an der privaten Sookmyung Universität in Seoul. In Korea haben 41,7 Prozent der erwachsenen Bürger einen Hochschulabschluss. Ein Studienjahr kostet knapp 10.000 US-Dollar. Quelle: dpa
Platz 5: USABevölkerungsanteil mit Hochschulabschluss: 43,1 ProzentVon allen 30 untersuchten Staaten ist ein Studium in den USA am teuersten: Rund 26.000 US-Dollar muss ein Student dort pro Jahr an einer Universität zahlen. Dennoch kann fast jeder zweite Erwachsene einen Hochschulabschluss vorweisen. Auf diesem Foto ist der Campus der Georgetown University in Washington zu sehen. Quelle: AP
Platz 4: IsraelBevölkerungsanteil mit Hochschulabschluss: 46,4 ProzentDieses Bild zeigt die israelische Universität Beerscheva, die auch als Ben-Gurion University of the Negev bekannt ist. Auch Israels Bevölkerung ist mit einem Anteil von 46,4 Prozent Hochschulabsolventen überdurchschnittlich gut ausgebildet. Pro Jahr investiert ein israelischer Student im Durchschnitt knapp 12.000 US-Dollar in seine Ausbildung. Quelle: dpa

"Kinder aus bildungsferneren Familien haben gelernt, mit Knappheit umzugehen - und das in allen Bereichen", sagt Aladin El-Mafaalani, Professor für politische Soziologie an der Fachhochschule Münster. Ihren Alltag bewältigen sie, aber mit einer Handlungsroutine, die durch kurzfristiges Denken geprägt und eher anwendungs- und handlungsorientiert ist. Dieses Denkmuster lässt sich auch als Management von struktureller Knappheit bezeichnen. "Für diese Kinder ist es wichtig, dass sie wissen, wofür ihre Handlungen und eben auch die Wissensaufnahme gut sind."

In einer Studie, die 2013 mit dem Deutschen Studienpreis ausgezeichnet wurde, hat er mit 40 Extremaufsteigern gesprochen, also Menschen, die sich aus einfachsten Verhältnissen nach ganz oben durchgekämpft haben. Das Ergebnis: Besonders in Deutschland ist der berufliche und gesellschaftliche Erfolg – trotz des Wissens, wo die Fehler liegen - an die soziale Herkunft gebunden. Der Aufstieg ist fast unmöglich: "Wer aufsteigen will, muss sich von seinem Herkunftsmilieu lösen."

Ähnliche Denkmuster, ähnliche Interessen

Menschen, die aus den gleichen sozialen Milieus kommen, sind sich sehr ähnlich - in ihren Denkmustern, ihren Interessen. Eine Schwierigkeit sieht er deshalb noch an einer anderen Stelle: "Wenn Jugendliche nun aber doch Abitur machen oder studieren, verändert sich zumindest ein Teil ihres Alltags - und es findet ein Loslösungsprozess statt." Die sozialen Aufsteiger entfremden sich von ihrer Herkunft, ohne irgendwo anzukommen.

Ein Ergebnis, das auch Katja Urbatsch, Gründerin der Initiative Arbeiterkind.de, erkannt hat. Den Kindern fehle es schlicht an Vorbildern aus ihrem familiären Umfeld: „Wenn man aus einer Familie kommt, in der noch keiner studiert hat, dann müssen sie erst einmal auf die Idee kommen, dass sie studieren können. Wenn sie sich dann für diesen neuen Weg entscheiden, sind sie als Studierender der ersten Generation auf sich allein gestellt, haben aus ihrem Umfeld, niemanden, der ihnen helfen kann und müssen sich alle Informationen und Wege zum und durchs Studium selbst aneignen“, erzählt sie aus ihren Erfahrungen.

Der Weg, den sie nun vor sich haben, ist oft mühsam – manchmal einsam und oft voller Widerstände von Lehrern, Eltern und dem Umfeld, die Wünsche als Hirngespinste deklarieren und die Unterstützung versagen. Deshalb brauchen Bildungsaufsteiger die Hilfe von Mentoren oder Paten, sagt auch El-Mafaalani: Talent, Fleiß und Lernbereitschaft sind zwar eine notwendige Bedingungen für den Erfolg, aber das allein reiche nicht.

An dieser Stelle setzt die Initiative Arbeiterkind.de an, die im Mai 2008 gegründet wurde. Sie hat es sich zum Ziel gesetzt, den Anteil der Nicht-Akademikerkinder an den Hochschulen zu erhöhen und sie in Fragen zum Studium unterstützt und begleitet – mit Paten und Gruppen in ganz Deutschland, die den Aufstieg schon geschafft haben. So wie Katja Urbatsch, die Gründerin der Initiative: „Als ich an der Universität angekommen war, hat mir zunächst das Selbstbewusstsein gefehlt, und ich musste mich in dieser akademischen Welt zurechtfinden. Ich hatte den Eindruck, dass viele meiner Mitstudenten einen größeren Wortschatz hatten, sich besser ausdrücken konnten und auch Unterstützung von ihren Eltern erhalten haben, wenn es um die Vorbereitung auf Referate oder das Schreiben von Hausarbeiten ging.“ Sie aber war auf sich allein gestellt und hat sich sehr unsicher gefühlt, ob sie dazu gehört oder überhaupt gut genug ist.

Auch Buchautor und Journalist Marco Maurer ist in dieser Welt mittlerweile angekommen, hat sich gegen alle Widerstände behauptet. Und hat eine Aussage seines Umfeldes konsequent ignoriert. „Du schaffst das doch eh nicht“.

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