Bildungsforscher Volker Ladenthin "PISA gefährdet unser Bildungssystem"

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Bei PISA geht es nicht um soziale Gerechtigkeit

In diesen Ländern ist Studieren richtig teuer
Platz 13: DeutschlandEine Studie der britischen Bank HSBC zeigt, welche Länder für Gaststudenten richtig kostspielig werden. Deutschland landet unter den bewerteten 13 Ländern auf dem letzten Platz. Studenten, die ein Jahr in Deutschland leben und studieren wollen, müssen demnach für das Studium an sich 635 Dollar (etwa 470 Euro) pro Jahr rechnen. Für Miete und Lebenshaltungskosten kommen durchschnittlich noch einmal 5650 Dollar oder 4200 Euro pro Jahr hinzu. Quelle: dpa
Platz 12: SpanienIn Spanien fallen für ausländische Studenten laut der Studie durchschnittliche Kosten in Höhe von 7006 Dollar (5212 Euro) pro Jahr an. Studiengebühren machen davon rund 1000 Dollar aus, der Rest entfällt auf Lebensmittel, Miete oder Kleidung. Wer dagegen zum Studieren für ein Jahr nach Taiwan geht (Platz 11) , muss schon etwas mehr Geld zur Verfügung haben. 8257 Dollar oder 6143 Euro kostet das Studium dort pro Jahr. An Studiengebühren fallen durchschnittlich 3270 Dollar an. Quelle: dpa
Platz 10: ChinaEbenfalls ein beliebtes Ziel für ausländische Studenten ist China. Wer dort zwei Semester an der Uni verbringen möchte, muss mit 3983 Dollar (2963 Euro) Studiengebühren und 4783 Dollar (3559 Euro) Lebenshaltungskosten rechnen. Quelle: AP
Platz 9: RusslandIn Russland kostet das Studium pro Jahr durchschnittlich 3131 Dollar. Hinzu kommen noch einmal gut 6310 Dollar an Lebenshaltungskosten. Insgesamt kostet ein Jahr in Russland Studenten also 9441 Dollar oder 7024 Euro. Quelle: dpa
Platz 8: JapanDeutlich teurer ist das Auslandsstudium in Japan: 19.164 Dollar (14.258 Euro) kostet ein Jahr wohnen, essen und studieren im Land des Lächelns. 6522 Dollar davon sind Studiengebühren, 12.642 Dollar fallen für Lebenshaltungskosten an. Quelle: REUTERS
Platz 7: HongkongNoch einmal fast 3000 Dollar teurer ist das Studium in Hongkong. 22.443 Dollar (16.698 Euro) kostet das Jahr in der Sonderverwaltungszone an der Südküste Chinas. Quelle: REUTERS
Platz 6: SingapurIn Singapur zahlen ausländische Studenten rund 14.885 Dollar Studiengebühren und 9363 Dollar für Miete, Essen und Kleidung. Insgesamt kostet der Aufenthalt also 24.248 Dollar (18.041 Euro) im Jahr. Quelle: dpa

Aber wer sollte daran ein Interesse haben? Sie sagen ja selbst: Auf diesem Weg verlöre schließlich doch wohl vor allem die Wirtschaft, deren Interessen die OECD ja vertritt, an Kraft.

PISA ist für die Ausbildung der Massen da. Für die Massen-Schulen, in denen künftige Arbeitskräfte fit gemacht werden sollen. Es geht um Anpassung und Einübung. Das liest sich dann in einer Empfehlung des Europäischen Rates so: „Die Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenzen der europäischen Arbeitnehmer sind ein wichtiger Faktor für Innovation, Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit in der EU. Zunehmende Internationalisierung, rascher Wandel und die kontinuierliche Einführung neuer Technologien erfordern, dass die Europäer (…) über allgemeine Kompetenzen verfügen, die ihnen die Anpassung an den Wandel ermöglichen.“

Von der Qualifikation der Arbeitgeber ist erst gar nicht die Rede. Es geht um Anpassung. Sie ist das Bildungsziel. PISA will den angepassten Schüler, der ohne nachzufragen das aus einem Text heraussucht, was man ihn suchen lässt, der aber keine eigenen Gedanken zum Text entwickelt. Den, der Mathematik allein zur beruflichen Anwendung braucht, nicht zum Selberdenken. Ich zitiere erneut: „Der Einzelne sollte über die Fähigkeit verfügen, grundlegende mathematische Grundsätze (…) bei der Arbeit anzuwenden.“ Die Leistungselite, die unsere Wirtschaft auch braucht, kann in diesen Schulen natürlich nicht ausgebildet werden. Sie wird sich daher andere Schulen suchen müssen und tut dies seit Jahren ja auch bereits.

Aber es sind doch insbesondere Linke und Gewerkschaften, die auf Basis der PISA-Studien behaupten, unser Bildungssystem sei sozial ungerecht und nicht leistungsfähig genug.

Wenn es bei PISA um Gerechtigkeit ginge, dann hätte man nicht allein auf das Gerechtigkeitsdefizit im Bildungssystem hinweisen dürfen, sondern auf das Gerechtigkeitsdefizit in der Gesellschaft insgesamt. Schulische Probleme sind nicht die Ursache, sondern die Folge von sozialen Gerechtigkeitsdefiziten. Nun wird aber nicht an der Ursache, der Gesellschaft also, gearbeitet, sondern man versucht über das Bildungssystem, Symptome zu unterdrücken. Ohne soziale Gerechtigkeit gibt es aber keine Bildungsgerechtigkeit. Da hilft es dann auch wenig, wenn man nun die Ansprüche für die formalen Schulabschlüsse senkt. PISA-konform natürlich. Oder glauben Sie, dass das dazu führen wird, dass zukünftig ein Altenpfleger genauso bezahlt wird wie der Vorstand der Deutschen Bank?

Außerdem halte ich das Gerechtigkeitsargument für einen populistischen Vorwand, um etwas ganz anderes durchsetzen zu können, nämlich Vergleichbarkeit, Gleichförmigkeit und Standardisierung. Die Ziele von Bildung heißen inzwischen „Bildungsstandards“. Das verdeutlicht vor allem eines: Dass nämlich die OECD überall auf der Welt gleich qualifizierte Arbeitskräfte haben möchte. Warum? Meine Antwort: Damit die Produktion jederzeit problemlos dahin ziehen kann, wo die Lohnstückkosten bei gleichem Ausbildungsstandard der Arbeitskräfte am niedrigsten sind. Siehe Nokia. Um das zu erreichen, müssen Menschen überall gleich qualifiziert sein. Das Schlagwort „Bildungsgerechtigkeit“ dient dabei ausschließlich der „Akzeptanzbeschaffung“, wie ein Staatssekretär mir gegenüber einmal sagte. PISA geht es nicht darum, Voraussetzungen für angemessene Löhne und gerechte Teilhabe aller am gemeinsam erwirtschafteten Wohlstand zu schaffen. Vielmehr geht es um die Begrenzung der Kosten für den Bildungsbereich, die Verkürzung der Ausbildungsphase und eine Reduktion von Bildung auf marktgängige Kompetenzen. „Employability“ heißt das Ziel. Die Standardisierung des Menschen wird so zum bildungspolitischen Programm erhoben und mittels PISA sowie dem Deckmäntelchen der „Gerechtigkeit“ durchgesetzt.

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